Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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philosophische Leben Deutschlands ausging. Er hat eine Generation im Denken erzogen, er hat den Ruhm gekannt und starb vereinsamt in einer verwandelten Umwelt, die ihm nicht einmal mehr Nachrufe widmet. Gegenüber diesem Schweigen im Lande seines Wirkens ist es eine Ehrenpflicht für uns, seiner hier zu gedenken. Er selbst, der das Judentum in jungen Jahren verlassen hatte, ein deutscher Professor war, sich ganz und gar als Diener der europäischen Wissenschaft, als Sachwalter des abendländischen Kulturerbes fühlte, hätte gewiß nie daran gedacht, daß in Jerusalem getan würde, was in Freiburg unterlassen wird. Die Tatsache, daß heute ein Schüler, der vor Jahren zu seinen Füßen gesessen hat, vom Jerusalemer Sender in hebräischer Sprache zu seinem Gedenken sprechen darf, ist für sich selbst ein Symbol für unsere Zeit.“16

      Das Leiden an der Verfemung, Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden, die Jonas in der öffentlichen Ächtung Husserls exemplarisch in ihrer ganzen Härte zum Ausdruck kommen sah, verschärfte sich noch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, die für ihn ganz im Zeichen des Kampfes gegen den Nationalsozialismus standen. Unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf Polen meldete sich der Philosoph freiwillig für den Dienst in der britischen Armee, um gegen die Nazis zu kämpfen. Am 7. September 1939 schrieb er an die Leitung der britischen Streitkräfte in Palästina: „In view of the fact that the British Empire is now engaged in a war against Nazi Germany which is bound to last – to quote the words of the Prime Minister – ‚till Hitlerism is destroyed’, as a Palestinian and former German Jew I am eager to take up arms against the enemy of my people and not only to assist the British Forces in Palestine but to fight as a soldier on the Western front in Europe. I should be grateful to you if you would let me know where I am to enlist for military training.“17

      Jonas’ politische Beurteilung der Lage zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und die Gefühle, mit denen er das Geschehen in Europa von ferne beobachtete, kommen auf unvergleichliche Weise in einem bewegenden, hellsichtigen Dokument aus diesen Tagen der ersten Kampfhandlungen zur Sprache, in dem er die jüdische Jugend in Palästina aufrief, sich aktiv – und zwar in einer eigenen jüdischen Armee! – an der militärischen Bekämpfung Deutschlands zu beteiligen. Der Text mit dem bezeichnenden Titel „Unsere Teilnahme an diesem Kriege. Ein Wort an jüdische Männer“18 zeugt von der Leidenschaft, mit der Jonas für die vom Tod bedrohten Juden in Europa eintrat, dem Entsetzen, das ihm die Drohung einer weiteren Expansion Hitler-Deutschlands einflößte, und der Entschiedenheit, mit der er ganz selbstverständlich die Verantwortung der bis dahin vom Zugriff der Nazis verschonten Juden in Palästina für das Schicksal des gesamten jüdischen Volkes einforderte. Er beginnt mit den Worten:

      „Dies ist unsere Stunde, dies ist unser Krieg. Es ist die Stunde, auf die wir mit Verzweiflung und Hoffnung im Herzen diese tödlichen Jahre gewartet haben: die Stunde, da es uns vergönnt sein würde, nach dem ohnmächtigen Erdulden jeder Schmach und jedes Unrechts, jeder physischen Beraubung und moralischen Schändung unseres Volkes, endlich unserem Todfeind Auge in Auge, mit der Waffe in der Hand zu begegnen; Genugtuung zu fordern; bei der großen Abrechnung unsere Rechnung, die die erste war, mit gleichzustellen; und an der Niederwerfung des Weltfeindes, der zuerst der unsere war und es bis zuletzt sein wird, aktiv mitzuwirken. Dies ist der Krieg, durch den allein dies Übel wieder aus der Welt geschafft werden kann; ohne den es fortgewuchert wäre ohne Maß und Grenze, unsere Vernichtung in seiner Spur: darum ist es unser Krieg. Wir haben ein Erstlingsrecht an ihm und eine Erstlingspflicht. Wir haben ihn mitzukämpfen, da er für uns mit gekämpft wird. Wir haben ihn in unserm Namen, als Juden, mitzuführen, da sein Ergebnis unsern Namen wiederherstellen soll. Unsere Opferbereitschaft in ihm darf nicht geringer sein als die der Söhne derjenigen Staaten, die jetzt dem Hitlerismus den Krieg angesagt haben. Individuelle Würde, nationale Ehre und politische Überlegung gebieten gleicherweise unsere volle Teilnahme an diesem Krieg. Sie ist uns Pflicht und muß einem Manne, der diesen Namen verdient, Bedürfnis sein.“19

      Die Entstehungsgeschichte und die politischen Hintergründe dieses einzigartigen Textes, der im Kontext der bei Ausbruch des Krieges innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Palästina entbrannten Diskussion mit Blick auf die Stellung zum Krieg in Europa zu verstehen ist, sind an anderer Stelle beleuchtet worden.20 Seine Wirkung blieb, wie Jonas selbstkritisch eingestand, mehr als begrenzt, da er in deutscher Sprache verfaßt war und somit wenig Verbreitung fand. Zudem handelte es sich letztlich um eine private Initiative, die aus der Sicht der zionistischen Führung zunächst sogar im Gegensatz zu den Sicherheitsinteressen der jüdischen Gemeinschaft in Palästina stand. Auch die Vertreter Großbritanniens und Frankreichs standen der Idee einer eigenständigen Jüdischen Legion zunächst völlig ablehnend gegenüber. Erst 1944 entstand – dank der Unterstützung Winston Churchills – offiziell die Jewish Brigade Group, die schließlich als eigenständige Kampftruppe der britischen Armee im östlichen Mittelmeer, in Nordafrika und in Italien eingesetzt wurde.21

      Ungeachtet der Wirkungslosigkeit des Aufrufes von Hans Jonas handelt es sich um ein faszinierendes Dokument, das persönliche Leidenschaft mit einer außergewöhnlichen politischen Klarheit verbindet. Der Text bringt exemplarisch die tiefe Verletzung der noch rechtzeitig nach Palästina entkommenen deutschjüdischen Emigranten angesichts der Entwürdigung des deutschen Judentums durch Entrechtung und Terror sowie sein ohnmächtiges Ausgeliefertsein an den Vernichtungswillen der Nazis zur Sprache. Dieser Ohnmacht setzt Jonas die Wirklichkeit des Zionismus entgegen, der „das Ghettovolk zur Nation“ gemacht, es „als Subjekt in die Völkerarena geführt“ und so „zum Wagnis selbsthandelnder geschichtlicher Existenz verpflichtet“ habe.22 Es sei deshalb die ureigenste Pflicht der Juden Palästinas, für die Rettung der europäischen Juden zu kämpfen. Jonas’ Wissen darum, daß das Judentum als Gegenprinzip und „metaphysischer Feind“ des Nationalsozialismus bei einem deutschen Sieg dem Untergang geweiht war,23 spricht für die Illusionslosigkeit, mit der er nicht nur bis dahin die Nazi-Verfolgung wahrgenommen hatte, sondern auch – lange vor der Wannsee-Konferenz – erahnte, mit welcher Zwangsläufigkeit sie auf eine Politik des totalen Völkermordes hinauslief. Bis dahin war es ein „einseitiger Krieg“ gewesen, in dem Juden ohnmächtig hinnehmen mußten, was ihnen zugefügt wurde:

      „Erinnern wir uns: Tausende jüdischer Existenzen vernichtet, tausende jüdischer Herzen gebrochen, tausende jüdischer Menschen geplündert, gequält, verjagt; in den Selbstmord getrieben; wie Vieh verfrachtet und ins Nichts gestoßen. Denkt an die Flüchtlingsschiffe mit ihrer Verzweiflungsfracht, diese Höllenvision unseres Jahrhunderts. Denkt an Schanghai. Zusehen mußten wir, wie unser Name geschändet, unsere Werte erniedrigt, unsere Synagogen verbrannt, unser Heiligstes entweiht wurde. Wo wir Bürger waren, hat man uns unter das Tier erniedrigt und jeder Bube durfte uns bespeien – wir mußten es dulden! Selbst die wehrlosen Seelen unserer Kinder sahen wir als Opfer dieses wahrhaft satanischen Hasses in ihrer Blüte geknickt. Eingebrannt in unsere Seelen lebt dieser Schmerz und kann nicht schweigen. Und keine Gegenwehr war möglich, nicht einmal der Versuch eines Kampfes! Preisgegeben waren wir der frechsten Macht, die zu unserm Elend noch den Hohn fügte.“24

      Wie ein Leitmotiv zieht sich durch den Text die Forderung, um der eigenen Selbstachtung willen den Beweis dafür zu führen, „daß wir nicht Parias sind, die nur ohnmächtig ihren Grimm herunterschlucken“, und die eigene Ehre wiederherzustellen.25 Wenn Jonas in diesem Zusammenhang von einem „‚bellum Judaicum’ in des Wortes tiefster Bedeutung“ sprach, der im Gegensatz zu jenem der Antike „nicht ein Krieg der Katastrophe, sondern ein Krieg unserer Rettung aus der jüdischen Katastrophe, nicht Juda gegen die Welt, sondern Juda mit der Welt gegen den Weltfeind“ sein sollte, so brachte er unüberhörbar den tiefen Zusammenhang zur Sprache, den er zwischen dem Schicksal des jüdischen Volkes und den Interessen der westlichen Demokratien gegenüber einem Sieg des „Nazi-Prinzips“ und des „Kults der menschenverachtenden Macht“ erkannte.26

      Noch deutlicher werden Jonas’ Motive in einem Brief an seinen nach Hawaii entkommenen Cousin Gerry, in dem er im Sommer 1941 Rechenschaft über seine politischen Überzeugungen und seine seelische Verfassung seit dem Verlassen Deutschlands ablegte.27 In diesem sehr persönlichen Schreiben, in dem sich Jonas „die

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