Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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daß er Heideggers Anregungen an die Weltphilosophie fruchtbar zu machen gewußt hat und gleichzeitig aus der Sackgasse ausgebrochen ist, in die dessen Denken die Philosophie geführt hatte. Dies gelang ihm, indem er – nicht etwa direkt, sondern auf „Umwegen“, nämlich durch die Sache selbst, wie sie sich ihm in seiner Auseinandersetzung mit den modernen Biowissenschaften und den ethischen Problemen ihrer technischen Folgen offenbart hatte – die entscheidenden Prinzipien der Kantischen Ethik und der Hegelschen Philosophie des Organischen neu gedacht und auf die gegenwärtige Situation angewandt hat. Für jemanden, der – wie der Autor dieses Aufsatzes – die These vertritt, daß bestimmte Grundtypen der Philosophie in regelmäßiger Folge wiederkehren,6 war das Wiedervorstoßen eines Schülers Heideggers zu den Positionen der klassischen deutschen Philosophie – und zwar nicht aus historistischer Gelehrsamkeit heraus, sondern aus immanenten Problemen der Gegenwart selbst – eine hochwillkommene Bestätigung jener allgemeinen Theorie der Philosophiegeschichte und der mit ihr verbundenen Hoffnung auf eine Erneuerung der Tradition des objektiven Idealismus.

      Das, was Hans Jonas für das deutsche Bildungsbürgertum letztlich so interessant machte, war, daß er mit einer Unbefangenheit und Originalität Metaphysik betrieb, wie sie in Deutschland gerade aus politischen Gründen kaum mehr möglich war: Man mußte gleichsam US-Amerikaner sein, um sie sich zu erlauben, so wie man sich seine Kritik an „liberale[n] Naivitäten“7 und seine Gedanken über die konstitutionelle Vernachlässigung der kommenden Generationen in der modernen Demokratie8 nur gestatten konnte, wenn man 1933 Deutschland mit dem Gelöbnis verlassen hatte, „nie wiederzukehren, außer als Soldat einer erobernden Armee.“9 Vielleicht liegt darin einer der wichtigsten Gründe für die Anziehungskraft des Jonasschen Denkens: Mit der nahezu unüberbietbaren Abscheulichkeit von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus sind alle jene politischen und intellektuellen Alternativen zum westlichen Typus wohlfahrtsstaatlicher Massendemokratie und ihrer konsenstheoretischen Legitimation disqualifiziert worden, die in den ersten drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Ländern erwogen worden waren. Das ist einerseits nur zu verständlich; es ist wirklich kaum möglich, etwa eine Biographie Stefan Georges zu schreiben, ohne auf die Tatsache einzugehen, daß Georges Elitismus manchen Nationalsozialisten faszinierte.10 Aber wenn man mit Jonas Hitler für einen Zufall hält,11 dann stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir heute etwa Nietzsche, George und Heidegger bewerten würden, wäre Hitler nicht zur Macht gekommen. Es mag durchaus sein, daß in einigen jener Alternativen, die mit dem Totalitarismus logisch nicht im mindesten verknüpft sind, Ideen enthalten waren, von denen man gerade angesichts der enormen Schwierigkeiten der modernen Demokratien, mit den Umweltproblemen fertigzuwerden, lernen kann. Jonas hat mit einer solchen Möglichkeit erstaunlich unbefangen gerechnet, und die Dankbarkeit der Öffentlichkeit seinem Werke gegenüber hat sicher auch mit dem Gefühl zu tun gehabt, hier würden wieder Alternativen zur politischen Korrektheit des Mainstream offengehalten, von denen die Freiheit und die Weite des geistigen Austausches auch dann profitieren können, wenn man schließlich zu dem Ergebnis kommt, daß sie abzulehnen sind.

      Im folgenden will ich erstens das Heideggersche Erbe bei Jonas erörtern (I) sowie den Bruch mit Heidegger in der Naturphilosophie (II) und in der Ethik (III) diskutieren, wobei auf die sachliche Verwandtschaft mit Hegels und Kants Theorien einzugehen ist. Da ich eine genauere sachliche Analyse von Jonas’ Philosophie an anderer Stelle vorgelegt habe,12 kann ich es mir hier ersparen, Jonas’ Argumentationen im einzelnen darzulegen und zu analysieren. Mir geht es in diesem Text nur um den geschichtlichen Ort von Jonas’ Denken. Das Thema gestattet es zugleich, die Frage zu streifen, ob es etwas wesentlich „Deutsches“ in der Philosophie der zu diskutierenden Denker gibt.

       I.

      Provozierend läßt sich sagen, daß für einen großen Teil der Weltöffentlichkeit mit Heideggers Werk die klassische deutsche Philosophie ad absurdum geführt worden war. So, wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Rede von einem deutschen „Sonderweg“ verbot und Adenauers wahrlich geschichtliche Leistung darin bestand, Deutschland endgültig in Westeuropa einzubinden, so war es nach der extremen Eigenwilligkeit des Heideggerschen Denkens – und zwar noch unabhängig von dessen Verstrickung in den Nationalsozialismus – für deutsche Intellektuelle unbedingt geboten, sich in viel intensiverer Weise um die Rezeption insbesondere des angelsächsischen Denkens zu bemühen, als dies im neunzehnten Jahrhundert geschehen war, in dem Schopenhauer einer der wenigen Philosophen gewesen ist, der etwa David Hume gründlich studiert hat. Jürgen Habermas ist der Reeducation-Philosoph der Bundesrepublik gewesen (insofern ist, auch wenn er das wohl nicht gerne hören wird, seine Rolle in der Philosophie derjenigen Adenauers in der Politik wesensverwandt), und Karl-Otto Apels Peirce-Buch13 war prägnanter Ausdruck dieser Wendung zum Westen (einschließlich der USA). Die Metaphysikkritik Apels und Habermas’, die durch ihre These (oder besser: deren besondere Interpretation) von den drei Paradigmen der Ersten Philosophie abgestützt wurde,14 war wohl auch als Beitrag zur Überwindung der Isolation der deutschen Philosophie intendiert, weil sie das Gespräch mit Pragmatismus und analytischer Philosophie ermöglichte und zu einer intersubjektivitätstheoretischen Rechtfertigung der Demokratie führen sollte. Nur ein deutscher Philosoph wie Jonas, der seit 1933 in englischsprachigen Ländern gelebt hatte, konnte es sich leisten, weiterhin die analytische Philosophie zu ignorieren (viel lernte er freilich von dem Briten Alfred N. Whitehead).

      In der Tat kann man einräumen, daß ein starkes Interesse an Metaphysik und ein wesentlich geringeres Interesse an der Rechtfertigung von Demokratie, wenn nicht gar ihre klare Ablehnung, zwei wichtige Merkmale der deutschen Philosophie bis 1945 waren und daß Heidegger diese Tendenzen nur bis zur Unerträglichkeit gesteigert, aber keineswegs neu geschaffen hat. Natürlich ist der erste Teil dieser Aussage problematisch, weil es keinen Nationalgeist an sich, also unabhängig von den Individuen gibt, in denen er sich manifestiert. Aber es ist trotzdem richtig, darauf zu verweisen, daß in bestimmten Kulturen bestimmte Eigenschaften sich eher finden als in anderen, was auch immer die Ursachen dafür sind. Ich will hier nicht der Frage nachgehen, ob etwa die Ausgrenzung einer deutschen Philosophie im Mittelalter mehr ist als eine bequeme, aber letztlich willkürliche Grenzziehung15 – klar ist, daß spätestens seit der Verwendung des Deutschen als philosophischer Fachsprache im achtzehnten Jahrhundert eine eigene deutsche Nationalphilosophie existiert.

      Den meisten ihrer Vertreter ist folgendes gemeinsam: Erstens sind die religiösen Wurzeln der klassischen deutschen Philosophie stark, stärker als etwa in Frankreich. Gleichzeitig ist die deutsche Religiosität intellektueller als etwa die englische oder gar die US-amerikanische: Philosophische Religiosität bedeutet in Deutschland einfach, daß man der Welt auf den Grund kommen will, selbst wo das nicht mit der positiven Religion im Einklang steht. Schon bei Jakob Böhme zeigt sich ein außerordentliches Bedürfnis, unabweislichen Fragen, die mit der Natur Gottes zusammenhängen, mit Mitteln der Vernunft nachzugehen, auch wenn dies von der naiven Orthodoxie abführt, und im Deutschen Idealismus wurde diese Tendenz auch innerhalb der akademischen Philosophie dominierend.16 Da gleichzeitig eine voluntaristische Gotteslehre in Deutschland auf wenig Sympathien stieß, wurde zweitens eine apriorische Konstruktion der Wirklichkeit verlockend: Wenn Gott rationale Gründe für die Schöpfung dieser und keiner anderen Welt hatte, müßte es im Prinzip möglich sein, den Strukturen der Welt durch Nachdenken beizukommen. Auch derjenige große deutsche Philosoph, der dem Empirismus am meisten Zugeständnisse machte, Kant, ist nach britischen Maßstäben selbst im Bereich der theoretischen Philosophie ein weitgehender Aprioriker, ganz zu schweigen von der praktischen Philosophie, in der er Humes Ansatz diametral entgegengesetzt ist. Kants anti-eudämonistische Ethik ist drittens sicher einer der folgenreichsten Programme für die deutsche Philosophie gewesen. Seine Forderung nach unbedingter Konsequenz und die Ablehnung synkretistisch-halbherziger Positionen sind viertens formale Merkmale, die man auch bei einem so antikantischen Denker wie Nietzsche wiederfindet. Nietzsches Wurzeln im Historismus sind offenkundig, und in der Tat kann man in dem besonderen Interesse an der Geschichte ein fünftes Merkmal der deutschen Philosophie erblicken. Vermutlich auf Grund des spekulativen Schwerpunktes hat es die deutsche Philosophie – sechstens –

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