Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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Lehre vom Widerstandsrecht schwerlich als Denker gepriesen werden, der zur Demokratisierung der Deutschen beigetragen hat.

      Die meisten dieser Merkmale sind bei Heidegger unschwer wiederzuerkennen, allerdings in einer neuen Mischung, die erst eigentlich verhängnisvoll wurde.17Sein und Zeit verbindet auf höchst innovative, ja geniale Weise vier philosophische Stränge, die vorher relativ unabhängig voneinander existierten. Erstens setzt Sein und Zeit die transzendentalphilosophischen Reflexionen über die Beziehungen zwischen Subjektivität und Zeitlichkeit fort, wie sie bei Descartes und Kant einsetzen und von Husserl auf ein neues Niveau gehoben worden waren. Zweitens gelingt es Heidegger, anders als dem frühen und mittleren Husserl, von diesen Reflexionen die Brücke zu schlagen zu einer Theorie der Geschichtlichkeit, wie sie das Zentrum der philosophischen Bemühungen Diltheys ausmachte, der für Heidegger meines Erachtens wichtiger war als Husserl. Drittens wird die Zeitlichkeit des Daseins zur Sterblichkeit zugespitzt; damit gelingt es Heidegger, den Tod wieder zu einem zentralen Thema der Philosophie zu machen, was er lange nicht gewesen war, und damit der Philosophie eine neue existentielle Intensität zu sichern. Verbunden wird die transzendentalphilosophische Reflexion viertens mit einer Neubesinnung auf die Seinsfrage: Einerseits ist das Dasein durch eine besondere Beziehung zum Sein ausgezeichnet, andererseits wird das Dasein in die Welt eingefügt und der Weltlosigkeit der Husserlschen Epoché entrissen.

      Das Zusammenführen so unterschiedlicher Ansätze bleibt eine der größten Leistungen der Philosophiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts: An der philosophischen Größe Heideggers, insbesondere an seinem neue Wirklichkeitsschichten erschließenden phänomenologischen Blick, ist – leider! – nicht zu rütteln.18 Aber gerade wegen dieser Größe sind Heideggers Engführungen um so verderblicher. Von besonderer Relevanz ist, daß Heideggers Ansatz die Ethik auflöst. Von einer objektiven Sittenlehre ist bei ihm nicht die Rede; letztlich reduziert sich die Moral auf das Gebot, sich der eigenen Sterblichkeit zu stellen. Dadurch erhält Sein und Zeit zwar den Anschein eines besonderen moralischen Pathos, das freilich um so leerer ist, als es mit keiner der üblichen moralischen Pflichten vermittelt ist. Was bei Heidegger eine Weihe erfahren kann, ist etwa, daß man im Krieg dem Tode ins Auge schaut; eine Theorie des gerechten Krieges freilich wird man bei ihm vergeblich suchen. Ja, mehr noch: Eine solche Theorie ist auf der Grundlage seines Ansatzes gar nicht denkbar. Dies gilt noch mehr für den späten Heidegger, der im Gefolge Diltheys den Gedanken der Geschichtlichkeit zu einer Theorie der Inkommensurabilität der verschiedenen Manifestationen des Seins steigert.19 Mit diesem Ansatz ist die Auffassung unvereinbar, es gebe ein allgemeingültiges Sittengesetz, und noch weniger ist eine eigenständige Ethik innerhalb eines Ansatzes denkbar, in dem eine verantwortliche, autonome Subjektivität vom Sein gleichsam verschluckt wird. Das besonders Irritierende am späten Heidegger ist wiederum, daß sein Denken der metaphysischen Tradition zuzugehören scheint, was einesteils auch wirklich zutrifft, wobei andernteils die entscheidenden Gedanken der metaphysischen Tradition, insbesondere der Zusammenhang zwischen Metaphysik und Ethik, preisgegeben, ja in ihr Gegenteil verkehrt werden: Denn Heideggers Sein ist vollständig wertfrei. Während jeder, der an jener Tradition hängt, in Nietzsche ihren Feind erkennt, ist deren Pervertierung durch Heidegger, weil sie zum Teil in der Sprache jener Tradition erfolgt, viel schwerer zu durchschauen und daher viel gefährlicher. Hinzu kommt, daß der radikale Historismus des späten Heidegger den Glauben an die Fähigkeit der menschlichen Vernunft lähmt, zeitlose Wahrheiten zu erkennen, worin traditionell die Aufgabe der Metaphysik bestand. Nicht um das Sein und seine Strukturen geht es Heidegger nach der Kehre, sondern um die Art und Weise, wie in den einzelnen Epochen das Sein erfahren wird – also um Metaphysikgeschichte, nicht um Metaphysik. Freilich ist es richtig, daß sich in dieser Geschichte der Metaphysik nach Heidegger das Sein selbst enthüllt (so daß seine Philosophiegeschichtsschreibung philosophisch inspiriert bleibt). Das gilt auch und gerade für die Epoche fortgeschrittenster Seinsvergessenheit, nämlich diejenige der modernen Technologie, deren Wesen und Konsequenzen Heidegger in der Tat wie kaum ein anderer, und früher als alle anderen Philosophen, durchschaut zu haben beanspruchen kann – auch wenn er vor ihr, mangels jeder Ethik, nur zu kapitulieren vermochte.

      Worin zeigt sich die Abhängigkeit Jonas’ von Heidegger?20 Sein erstes großes Werk, das zweibändige Gnosis und spätantiker Geist, erschloß eine wenig erforschte Epoche der Geistesgeschichte neu durch die Anwendung von Kategorien, die Jonas der Daseinsanalytik Heideggers entnommen hatte, wie „Verfallen“ und „Geworfenheit“. Nicht minder ist inOrganismus und Freiheit der Einfluß Heideggers mit Händen zu greifen. Etwas überspitzt kann man sagen, daß die organische Seinsform, um die es Jonas geht, eine Verallgemeinerung des Heideggerschen Daseins ist. Die Sorge, so könnte man sagen, ist zwar nicht allen Organismen eigentümlich, aber sie kann sich nur entwickeln auf der Grundlage der organischen Seinsform. Das Vorlaufen zum Tode setzt Sterblichkeit voraus, und die ist nur die Kehrseite des Lebens. Aber warum? Weil das Leben wesentlich prekär ist, und zwar auf Grund seiner Angewiesenheit auf den Metabolismus. Damit freilich ist das Leben durch eine neue Form von Zeitlichkeit vom Anorganischen geschieden: Durch den Energie- und Stoffwechsel ist die Zeitlichkeit dem Organismus gleichsam immanent: Innerhalb einer bestimmten Zeit muß der Organismus ein bestimmtes Quantum an Energie und Materie austauschen, wenn er überleben soll. In einem gewissen Sinne radikalisiert Jonas nur die in Sein und Zeit begonnene Transzendierung der Husserlschen Bewußtseinsimmanenz: „Und so weit Heidegger sich auch von Husserl entfernte, so blieb er doch im Bannkreis der deutschen idealistischen Tradition, die Wirklichkeit dadurch zu erkennen, zu erfassen, philosophisch zu meistern, daß man in sich selber hineinschaut. […] Zum Beispiel das Hungergefühl als eine innere Sensation, das läßt sich phänomenologisch beschreiben, wie das so ist, wenn man Hunger empfindet. Was man aber durch keine Bewußtseinsanalyse und keine Daseinsanalyse herauskriegt, ist, wieviel der Mensch zum Beispiel nötig hat, um am Leben zu bleiben.“21

      Analog ist auch imPrinzip Verantwortung die erschließende Kraft der Daseinsanalytik Heideggers unverkennbar. Insbesondere die Theorie der Verantwortung im zentralen vierten Kapitel atmet den Geist von Sein und Zeit. Von den drei Merkmalen, die Jonas dem Begriff der Verantwortung zuschreibt – Totalität, Kontinuität und Zukunft –, haben die beiden letzteren mit Zeitlichkeit zu tun, und insbesondere wirkt der Vorrang, den Heidegger der Zukunft zuweist, bei Jonas nach: Die Abschnitte IV und V des vierten Kapitels loten die Bedeutung der Zukunft für den Begriff der Verantwortung aus. Entscheidender noch ist Jonas’ Beharren darauf, daß es Verantwortung nur für Seiendes von organischer Seinsweise geben könne, denn nur dieses sei wesentlich gefährdet und vergänglich. Zwar erkennt Jonas eine Verantwortung des Künstlers für sein Werk an, aber auch diese gebe es nur angesichts möglicher menschlicher Rezipienten des Werkes, und im berühmten Konfliktfall sei selbstverständlich das Kind vor der Sixtinischen Madonna aus dem brennenden Haus zu retten.22 Im allgemeinen gelte: „Nur das Lebendige also in seiner Bedürftigkeit und Bedrohtheit – und im Prinzip alles Lebendige – kann überhaupt Gegenstand von Verantwortung sein.“23 Gegen die platonische Bevorzugung des Dauerhaften, auf deren Grundlage Verantwortung nicht zum zentralen Begriff der Ethik habe werden können, betont Jonas: „Aber die Ontologie ist eine andere geworden. Die unsere ist nicht die der Ewigkeit, sondern die der Zeit. Nicht mehr Immerwähren ist Maß der Vollkommenheit: fast gilt das Gegenteil. Dem ‚souveränen Werden’ (Nietzsche) verschrieben, zu ihm verurteilt, nachdem wir das transzendente Sein ‚abgeschafft’ haben, müssen wir in ihm, das heißt im Vergänglichen, das Eigentliche suchen. Damit erst wird Verantwortlichkeit zum dominierenden Moralprinzip.“24 „Nicht sub specie aeternitatis, vielmehr sub specie temporis muß sie die Dinge ansehen, und sie kann ihr Alles in einem Augenblick verlieren.“25 Verantwortung ist für Jonas „das moralische Komplement zur ontologischen Verfassung unseresZeitlich seins.“26

       II.

      In Organismus und Freiheit27 schildert Jonas, wie sein von Heideggers Philosophie inspiriertes Studium der Geschichte der Gnosis ihn allmählich zu der Einsicht brachte, Heideggers Philosophie sei selbst geschichtlich, ihre Kategorien seien also nicht allgemeingültig,

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