Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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mit seiner zweiten Frau Elisabeth Freundlich 1950 nach Wien ging, wo er bis zu seinem Tode leben sollte, blieb Jonas in den USA, besuchte später allerdings auf zahlreichen Reisen immer wieder Europa und Deutschland. Auch wenn er es in seinen Erinnerungen nicht erwähnt, geht aus einem Brief an Hannah Arendt hervor, daß er auf einer dieser Reisen gemeinsam mit seiner Frau auch Günther Anders noch einmal getroffen hatte, und auch der Briefwechsel zwischen Jonas und Anders reicht offenbar bis in die späten achtziger Jahre.6

      Im Denken von Günther Anders und Hans Jonas sind einige auffallende Affinitäten, aber auch Differenzen festzustellen. Vor allem zwei Themenkreise erscheinen in diesem Zusammenhang maßgeblich. Beiden Philosophen ging es in einem eminenten Sinn um die Frage nach dem Fortbestand der Menschheit unter den Bedingungen technischer Selbstvernichtungskapazitäten, und beide setzten sich eindringlich mit den Konsequenzen auseinander, die Auschwitz nicht nur für das Denken und Handeln der Menschen, sondern auch für das religiöse Bewußtsein haben müsse. Die Antworten, die beide Fragestellungen bei Hans Jonas und Günther Anders gefunden haben, könnten – trotz gleicher oder ähnlicher Ausgangs- und Erfahrungslage – unterschiedlicher kaum sein.

      Angesichts der Bedrohung der Gattung Mensch versuchte Hans Jonas in seinem späten Werk Das Prinzip Verantwortung (1979), die Frage, warum menschliches Leben auch zukünftig sein solle, auf dem Wege der Metaphysik zu beantworten, indem er aus einer besonderen Seinswürdigkeit des Menschen auf das Erfordernis einer Kontinuität seiner Existenz schloß. Günther Anders hatte dagegen schon Jahrzehnte früher im ersten Band der Antiquiertheit des Menschen (1956) die Frage nach der potentiellen Vernichtung der Gattung reflektiert und dabei allen Versuchen, ein besonderes Seinsrecht des Menschen abzuleiten, eine Absage erteilt. Daß die Fortexistenz der Menschheit nicht zwingend begründbar sei, implizierte für ihn allerdings nicht, daß man sie der Vernichtung preisgeben dürfe. Beide Denker versuchten, die grundlegenden ethischen Maximen für das technologische Zeitalter mittels einer Neuformulierung des kategorischen Imperativs zu bestimmen. Die dabei auftretenden Differenzen sind nicht nur strategisch, sondern auch moralphilosophisch höchst aufschlußreich. Wollte Hans Jonas die „Permanenz echten menschlichen Lebens“ zum Kriterium des Handelns machen, so war für Anders die Menschenverträglichkeit der verwendeten Technologien entscheidend. Und während Jonas mit dem Prinzip Verantwortung eine moralphilosophisch begründete Antwort auf die Bedrohung der Menschheit zu geben suchte, verstand Günther Anders seinen Kampf um den Fortbestand der Gattung Mensch letztlich als ein trotziges Aufbegehren, für das sich angesichts des von ihm diagnostizierten „monströsen“ Charakters des technischen Fortschritts nicht mehr rational argumentieren ließ. Die Denkfiguren nachzuzeichnen, die Jonas und Anders entwarfen, kann nicht nur helfen, die Hintergründe ihrer kontroversen Positionen aufzuhellen, sondern auch einen Beitrag zum Verständnis der entscheidenden Problematik leisten, mit der sich jede Ethik des technologischen Zeitalters auseinandersetzen muß.

      Sowohl Hans Jonas als auch Günther Anders gingen von der These aus, daß die traditionellen philosophischen Moralkonzepte zur Fundierung eines Handelns im Interesse der Menschheit angesichts der destruktiven Tendenzen technischer Naturbeherrschung und vor allem angesichts der Möglichkeit der Selbstauslöschung der Gattung Mensch durch die atomaren Arsenale nicht mehr ausreichten. Jonas verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß alle bisherigen ethischen Entwürfe von den Handlungsmöglichkeiten und dem Erwartungshorizont des einzelnen Subjekts ausgegangen waren und deshalb nicht mehr genügten, um das Problem nachhaltiger Eingriffe in die Natur, die die Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen schmälern oder gar irreversibel schädigen könnten, zu lösen. Die traditionelle Ethik, namentlich die Immanuel Kants, habe den Menschen aufgefordert, in Übereinstimmung mit seiner Vernunft zu handeln, in der sich gleichsam die Idee der Menschheit repräsentiert, und damit das Unmoralische als logischen Selbstwiderspruch definiert. Es liegt aber, so Jonas, „kein Selbstwiderspruch in der Vorstellung, daß die Menschheit einmal aufhöre zu existieren, und somit auch kein Selbstwiderspruch in der Vorstellung, daß das Glück gegenwärtiger und nächstfolgender Generationen mit dem Unglück oder gar der Nichtexistenz späterer Generationen erkauft wird.“ Daß die Reihe der Generationen überhaupt weitergehen, also die Menschheit auch weiterhin existieren soll, stellt angesichts der Destruktionspotentiale moderner Technologien die eigentlich entscheidende ethische Frage dar, und sie ist nicht mit Rückgriff auf eine Individualmoral, sondern nur „metaphysisch“ zu beantworten.7

      Jonas sieht sich also auf Grund der Krise der traditionellen Ethik vor der Herausforderung, einen neuen Imperativ zu formulieren, der den Fortbestand der Gattung Mensch mit im Blick hat und gleichzeitig die implizite Voraussetzung, daß auch zukünftig Leben sein soll, metaphysisch zu begründen vermag. Die Formulierungen, die Jonas diesem Imperativ gegeben hat, haben in den ökologischen und technikkritischen Debatten der achtziger Jahre eine entscheidende Rolle gespielt. An sie ist an dieser Stelle aber in erster Linie zu erinnern, um den Kontrast zur Reformulierung von Imperativen bei Günther Anders hervorzuheben. Jonas formulierte diesen Imperativ unter anderem folgendermaßen: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, oder, negativ formuliert: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftigen Möglichkeiten solchen Lebens.“8 Jonas wollte damit letztlich aussagen, daß wir zwar – aus welchen Gründen auch immer – „unser eigenes Leben, aber nicht das der Menschheit wagen dürfen.“ Dabei war er sich darüber im klaren, daß diese Formulierungen in einer bisher nicht bekannten Form den „Zeithorizont“ zu einem bestimmenden Kriterium ethischen Verhaltens machten, insofern sie die „Zukunft“ zum letzten Sinnhorizont verantwortlichen Handelns erklärten.9

      Der entscheidende Aspekt des neuen kategorischen Imperativs liegt – abgesehen von der Frage, wie sich Begriffe wie „echtes menschliches Leben“ qualitativ in Hinblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen bestimmen lassen – im Versuch von Hans Jonas, die Forderung, die Menschheit solle auch in Zukunft fortexistieren, metaphysisch – das heißt für ihn: ontologisch – zu bestimmen. Die alte, unter anderem auch von Leibniz und Schelling geltend gemachte und von Heidegger aufgegriffene Frage, warum etwas sei und vielmehr nicht nichts, wird auch für Jonas zum Leitmotiv seines Begründungsversuchs, in dessen Zentrum die These steht, daß das Sein gegenüber dem Nichts einen Wert darstellt, der dem Sein einen Vorrang gegenüber dem Nichts einräumt.10 Die Plausibilität dieser These gewinnt Jonas über den Nachweis, daß in der Natur selbst schon Zwecke, die als Werte interpretiert werden können, angelegt sind, woraus er in einem weiteren Schritt folgert, daß „in der Fähigkeit, überhaupt Zwecke haben zu können“, ein „Gut-an-sich“ gesehen werden kann, von dem zumindest „intuitiv“ gewiß zu sagen ist, es sei aller Zwecklosigkeit des Seins unendlich überlegen. Unterstellt man diese als selbstevident verstandene Einsicht als „ontologisches Axiom“, so folgt daraus eine „Selbstbejahung des Seins im Zweck“, der ein emphatisches „Nein zum Nichtsein“ korrespondiert.11 Der Mensch nun, der nicht allein Produkt der Natur ist, sondern dieser reflexiv gegenübersteht, muß dieses „Ja“ zur Maxime seines Handelns und somit nicht nur zu einem Moment seines „Wollens“, sondern auch zu einem „Sollen“ machen: Daß weiterhin Menschen sein sollen, ergibt sich für Jonas letztlich daraus, daß ihrer Existenz und den damit verbundenen Lebensmöglichkeiten ein höherer ontologischer Wert innewohnt als ihrer Nichtexistenz. Angesichts der Bedrohung des Lebens auf diesem Planeten ergibt sich aus seiner Sicht daher zwingend das Konzept einer Ethik der Verantwortung, welche die Erhaltung des Lebens in Hinblick auf seine Zukunftsmöglichkeiten zum Kriterium individuellen wie kollektiven Handelns erhebt.

      Auch für Günther Anders sind die traditionellen Ethiken im zwanzigsten Jahrhundert unhaltbar geworden. Sein Ansatz scheint allerdings radikaler als der von Hans Jonas: „Die bisherigen religiösen und philosophischen Ethiken sind ausnahmslos und restlos obsolet geworden, sie sind in Hiroshima mitexplodiert und in Auschwitz mitvergast worden.“12 Mit diesem Diktum hat Anders die Situation der Moral in einer Weise gekennzeichnet, die keine Möglichkeit läßt, aus der Tradition der Moral und den ethischen Reflexionen der Vergangenheit noch einen entscheidenden Nutzen für die Gegenwart zu ziehen, auch nicht im Sinne der Ableitung einer neuen Verantwortlichkeit.

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