Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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Weiterwohnlichkeit der Welt - Группа авторов

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Theodizee auf: „Nach Auschwitz können wir mit größerer Entschiedenheit als je zuvor behaupten, daß eine allmächtige Gottheit entweder nicht allgütig oder (in ihrem Weltregiment, worin allein wir sie erfassen können) total unverständlich wäre. Wenn aber Gott auf gewisse Weise und in gewissem Grade verstehbar sein soll (und hieran müssen wir festhalten), dann muß sein Gutsein vereinbar sein mit der Existenz des Übels, und das ist es nur, wenn er nicht all-mächtig ist.“32 Im Gegensatz zu Anders, für den die Vernichtung des europäischen Judentums und die Bombardierung von Hiroshima letztlich einen negativen Gottesbeweis darstellten, zog Jonas aus ganz ähnlichen Prämissen einen völlig anderen Schluß. Nicht Gottes Nicht-Existenz wird in der Katastrophe des jüdischen Volkes sichtbar, sondern seine vollkommene Ohnmacht: „Durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott […], nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein.“33 Mit großartigen, ergreifenden Worten skizzierte Jonas das faszinierende und erschreckende Bild eines Gottes, der zu schwach ist, um in das von ihm initiierte Weltgeschehen noch einzugreifen, aber dennoch um die Liebe der Menschen für sein Schöpfungsprojekt wirbt: „Aus Gründen, die entscheidend von der zeitgenössischen Erfahrung eingegeben sind, proponiere ich die Idee eines Gottes, der für eine Zeit – die Zeit des fortgehenden Weltprozesses – sich jeder Macht der Einmischung in den physischen Verlauf der Weltdinge begeben hat; der dem Aufprall des weltlichen Geschehens auf sein eigenes Sein antwortet nicht ‚mit starker Hand und ausgestrecktem Arm’, wie wir Juden alljährlich im Gedenken an den Auszug aus Ägypten rezitieren, sondern mit dem eindringlich-stummen Werben seines unerfüllten Zieles.“34

      Der schwache, ohnmächtige Gott: Das ist zweifellos auch ein naher Gott, der paradoxerweise leichter verständlich erscheint als ein allmächtiger deus absconditus. Schwach zu sein, nicht eingreifen zu können und trotzdem geliebt werden zu wollen – das ist nicht nur nachvollziehbar, das ist vor allem zutiefst menschlich. Nach Auschwitz, so die These von Jonas, haben wir keine Möglichkeit, Gott anders als in dieser Gestalt zu denken. Glauben hieße heute, an diesen schwachen Gott glauben und ihm gleichsam, indem man selbst versucht, das Projekt der Schöpfung zu verbessern, zu Hilfe zu eilen und alles zu tun, damit er an sich selbst nicht verzweifeln muß. Doch, so könnte man fragen, setzt nicht dieses Ansinnen, daß der Mensch sich mitleidig in den ohnmächtigen Gott einfühlen soll, jene Hybris der Gottähnlichkeit voraus, die seit dem Sündenfall als Ursprung des Bösen gilt? Und schließt sich in einer Theologie des schwachen Gottes nicht ein Kreis, der mit einer letztlich technisch induzierten Selbstermächtigung des Menschen begonnen hat und nun zur Ohnmacht des Allmächtigen führt?

      Dort, wo Hans Jonas trotz Auschwitz und trotz der Atombombe einen Gott, an dem er nach eigenen Angaben letztlich nie gezweifelt hat,35 auch um den Preis der Ohnmacht retten wollte, hielt Anders das Festhalten an einem solchen Glauben letztlich – und dies scheint der entscheidende Punkt zu sein – mit der Würde des Menschen für nicht mehr vereinbar. Daß Anders im Gegensatz zu Jonas demonstrativ darauf verzichten wollte, den Sinn menschlichen Lebens metaphysisch zu begründen, motivierte auch seinen radikalen Atheismus, für den Auschwitz und Hiroshima so etwas wie letzte, furchtbare Bestätigungen darstellen. In letzter Instanz war aus seiner Sicht nicht nur die Existenz des Menschen unbegründbar, sondern auch der Sinn seines Lebens. Der in der populären praktischen Philosophie so beliebten „Sinnfrage“ hatte Anders stets eine harte und konsequente Absage erteilt. Schon in den frühen Studien zur Philosophie Heideggers heißt es: „Säkularisiert man das Dasein, so begibt man sich der Möglichkeit einer Sinn-Philosophie. […] Denn der Sinnbegriff ist ohne Transzendenz ‚sinnlos’. […] Wir haben keinen Sinn. Denn ‚Sinn’ hat nur das Unfreie.“36 Nur solche Dinge haben einen Sinn, deren Zweck von jemandem bestimmt ist und über die verfügt werden kann. Das Leben des Menschen, auch das der Gattung Mensch, hätte nur dann einen Sinn, wenn es von einer übergeordneten Instanz als Zweck, als Mittel für etwas anderes ausersehen wäre. Dem Leben einen Sinn geben, hieß für Anders immer, sich seiner Freiheit und damit der Möglichkeit der Selbstbestimmung zu berauben, also „für“ etwas anderes oder für jemand anderen dazusein.

      Später hat Anders diese in der Auseinandersetzung mit Heidegger entwickelte Kritik des Sinnbegriffs in einer Analyse der „Antiquiertheit des Sinns“ verallgemeinert: „‚Sinn haben für …’ bedeutet (immer): heteronom sein, Mittel für einen Zweck sein, unfrei sein. Ist es wirklich so gewiß, daß Sinn-Haben ein Ehrenprädikat, und daß keinen Sinn zu haben, ein Manko ist? Läuft nicht vielleicht letztlich unsere Suche nach Sinn auf Suche nach Dienstbarkeit hinaus, auch wenn wir diesen Sinn (weil wir ihn nicht finden) ‚tief’ nennen …?“37 Darüber hinaus wies Anders darauf hin, daß die philosophische Tradition fast nie nach dem „Sinn von Positivem“ gefragt hatte, sondern immer nur nach dem Sinn von Leid, sich also an den Negationen des Lebens entzündete, deren „Dasein“ mit dem „Willen Gottes“ nicht hatte vereinbart werden können und deshalb Rechtfertigung erforderte. Die modisch gewordene Sinnfrage erweist sich also als die „säkularisierte Version der Theodizee-Frage.“ Sie ist die „getarnte Rechtfertigungsfrage des Atheisten.“ Will man keinen Gott annehmen, der mit den Menschen etwas „im Sinn“ haben könnte, so gibt es auch keine vorgeordnete Bestimmung oder Funktion des Menschen. Mit dem „Tod Gottes“, so Anders, sei auch der „Tod des Sinns“ zu proklamieren: Wir sind „Nichtgemeinte“, die „ungesteuert durch den Ozean des Seienden treiben.“38

      Gerade gegenüber diesem „Nichtgemeintsein“ hat Hans Jonas Widerspruch angemeldet: „Ich bin jedoch zutiefst davon überzeugt, daß der reine Atheismus falsch ist, daß es darüber hinaus etwas gibt, was wir nun vielleicht nur noch mit Hilfe von Metaphern zur Sprache bringen können, ohne das jedoch die Gesamtsicht des Seins unverständlich wäre.“39 Jonas’ Verantwortungsethik ist theoretisch deshalb auch von dem Bestreben, die „Gesamtsicht des Seins“ zu verstehen, nicht zu trennen. In ihren praktischen Konsequenzen ähnelt sie allerdings der voraussetzungslosen praktischen Moral von Günther Anders: Beide Konzeptionen sind von großer Skepsis gegenüber dem technischen Fortschritt getragen, beide Konzeptionen fürchten um die Zukunft des Menschen. Philosophisch wäre an dieser Stelle weiterzufragen, welchen Stellenwert Begründungsversuche oder deren Verweigerung und die Konzeption von Transzendenz oder deren Verneinung für das praktische Handeln, dem es um den Menschen geht, eigentlich besitzen. Denn eine entscheidende Frage müssen beide Denker schließlich offenhalten: die Frage nach dem, was letztlich das Menschengemäße genannt werden könnte. Das „echte menschliche Leben“, dessen Permanenz Jonas einfordert, bleibt im Konkreten so unbestimmt wie das Kriterium, an dem Günther Anders die „Antiquiertheit“ des Menschen abliest. Die Schärfe und Luzidität, mit welcher die einander so ähnlichen und dennoch so differenten Freunde ihre Positionen vorgetragen haben, enthebt uns nicht der Aufgabe, angesichts jeder neuen Technologie und angesichts der fortgesetzten oder jederzeit fortsetzbaren nuklearen Hochrüstung die Frage danach, was es heißen kann, als Mensch menschlich zu leben, immer wieder neu zu stellen.

      Christian Wiese

       Zwiespältige Freundschaft: Reflexionen über Hans Jonas und Gershom Scholem

       I.

      Am 15. August 1940 trug Hans Jonas bei einem feierlichen Anlaß im Hause Salman Schockens in Jerusalem einen köstlichen Text mit dem Titel „Aus einem ungedruckten Fragment zum ‚Zauberberg’ von Thomas Mann“ vor. Ganz im Stile des Dichters zeichnete er darin – in der Gestalt des „Fremden“ – ein lebendiges Bild seines Freundes und zionistischen Mitstreiters Gershom Scholem, während er sich selbst als Settembrini stilisierte:

      „Als die Vettern sich der Wegbiegung näherten, wurden sie auf das anschwellende Stimmengetön einer Unterhaltung aufmerksam, die offenbar in lebhaftestem, um nicht zu sagen heftigstem Gange war und bei der ihres Freundes Settembrini vertraute und wohllautende Stimme nur mit Mühe sich gegen ein rücksichtsloseres Organ von ganz unhumanistischer Streitbarkeit und sturzbachähnlicher Redefülle und -geschwindigkeit

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