Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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und im Grunde wohl auch unausdenkbare Weise in unser Leben als Juden eingegriffen“ haben, so daß sich jüdische Tradition nicht mehr einfach ungebrochen fortschreiben läßt.15 Die Herausforderung der Schoah, aber auch jene der fortschreitenden Säkularisation, betrifft aus Scholems Sicht die drei entscheidenden Grundpfeiler des Judentums: die Autorität der Offenbarung, den Schöpfungsglauben und die Hoffnung auf Erlösung, also genau jene Aspekte, die auch in Jonas’ Reflexion über das Judentum eine entscheidende Rolle spielten.16

      Wie Jonas ging Scholem davon aus, daß der verbindliche Charakter der Offenbarung zerbrochen, die Überzeugung vom Dasein Gottes aber auch unabhängig von einer Offenbarung konkreter Glaubensinhalte denkbar sei. Die Bejahung der Existenz Gottes und daraus abgeleiteter religiöser oder ethischer Folgerungen sei in der Moderne vielfach in philosophische Überzeugungen übersetzt worden und besitze „den Wert von Provokationen, die sich vielleicht im Schmelztiegel des modernen Nihilismus als unauflösbar und zukunftsträchtig behaupten können“.17 Das entspricht nicht nur Jonas’ These vom Fortwirken der jüdisch-christlichen Überlieferung in der westlichen Philosophie,18 sondern auch der Art und Weise, in der er in seinen theologischen Reflexionen Autonomie der Vernunft, Ohnmacht Gottes und Wirksamkeit Gottes im Handeln des Menschen miteinander in Einklang zu bringen versuchte. Obwohl Gott weder durch geschichtsmächtiges Handeln noch durch autoritative Offenbarung in den Lauf der Welt einzugreifen vermag, kann er sich doch hörbar machen: Durch den Geist des Menschen „kann Gott gleichsam Macht zurückgewinnen, ebenso wie er auch scheitern kann durch das Versagen der Menschen. Es ist nicht gesagt, daß Gott Gehör findet in den Seelen und daß die von ihm erleuchteten Propheten sich durchsetzen […]. Aber grundsätzlich gibt es dieses Einfallstor, durch welches das Überweltliche in das Weltliche hineinwirken kann – die einzige Kausalität, die ich Gott noch einräume.“19 Alle „theologischen“ Texte des Philosophen zeugen davon, daß er, wie Scholem, darauf hoffte, daß – trotz Säkularisation – die philosophische Plausibilität zentraler Elemente jüdischen Glaubens wie die Heiligkeit geschöpflichen Lebens und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen kraft des menschlichen Geistes dem nihilistischen Weltverständnis der Gegenwart widerstreiten könne.20

      In der Frage nach der Bedeutung der Schöpfungsvorstellung für das Judentum im säkularen Zeitalter und ihrem Verhältnis zur Hoffnung auf die messianische Erlösung wird die Nähe von Jonas und Scholem besonders eindrucksvoll erkennbar. Ein auffälliges Merkmal der Philosophie von Hans Jonas besteht darin, daß die gegen Ernst Bloch gerichtete Fundamentalkritik utopischen Denkens im Prinzip Verantwortung21 mit einer eindeutigen Distanzierung von der jüdisch-messianischen Tradition korrespondiert, die als eschatologische Flucht vor der Bejahung der Zweideutigkeit und Fragilität geschöpflichen Seins erscheint.22 Diese Haltung hängt vor allem mit der für Jonas’ Ethik charakteristischen starken Akzentuierung der Vorstellung von einem dem Leben selbst innewohnenden Wert – theologisch: die Güte der Schöpfung und die „Heiligkeit“ des Geschaffenen – zusammen, der das „Sollen“, den Imperativ der Bewahrung des Lebens, begründet. Ähnlich ging auch Scholem von der kritischen Beobachtung aus, die Idee der Erlösung habe sich, sei es unmittelbar, sei es in säkularisierten Metamorphosen, „viel nachdrücklicher im Denken weiter Kreise behauptet“ als jene der Schöpfung. „Grade die, die am lautesten von Erlösung und deren Implikationen sprechen, wollen oft am wenigsten von der Welt als Schöpfung hören. Aber daß die Welt Schöpfung sei, einmalige oder kontinuierliche, sich immer erneuernde, ist ein Satz, auf den keine wie immer geartete jüdische Theologie verzichten kann. […] In der Wahl zwischen den beiden Alternativen, der Welt als Schöpfung und der Welt als sich selbst gebärendes Zufallswesen, wird die jüdische Überzeugung von Gott als Schöpfer auch jenseits aller Bilder und Mythen ihren Platz behaupten.“ Jedes lebendige Judentum, wie immer es seinen Gottesbegriff verstehe, müsse darauf beharren, daß die Vorstellung einer Welt, die sich aus sich selber entwickelt habe, zwangsläufig die Auffassung der Sinnlosigkeit der Welt nach sich ziehe.23 Leibniz’ berühmte Frage, warum etwas sei und nicht vielmehr nichts, der auch Jonas im Prinzip Verantwortung nachspürt,24 ist aus Scholems Sicht jedoch nicht unabhängig von der Frage nach Gott zu beantworten. Mögen beide noch darin übereinstimmen, daß „Gott als Schöpfer“ wichtiger sei als „Gott in seiner Eigenschaft als Offenbarer und Erlöser“, ja, daß sich eine Theologie denken lasse, „in der die einzige Offenbarung eben die Schöpfung selber wäre“,25 so wird in Scholems These der Unerläßlichkeit einer spezifisch religiösen Schöpfungsethik für die Herausforderung durch die Technologie ein gewisser Dissens sichtbar. Jonas’ skeptische, aber letztlich positiv bewertete Frage, ob sich eine Ethik der Verantwortung ohne Rekurs auf die religiöse Kategorie des „Heiligen“ wirksam begründen lasse,26 hätte Scholem sehr dezidiert mit dem Hinweis beantwortet, die Forderungen der religiösen Ethik – die „Forderungen der Gottesfurcht, der Liebe zu Gott, der Demut und vor allem der Heiligung, die ohne eine Beziehung zur religiösen Sphäre nicht gedacht werden können“ – stünden „zu einer säkularisierten Welt in Widerspruch“ und seien „in einer rein innerweltlichen Ethik nicht vollziehbar“.27 Für Jonas’ Versuch, Sinn und Wert des Lebens aus einer inneren Teleologie der Natur heraus zu begründen und eine säkulare Tradition der Verantwortung für die „Heiligkeit des Lebens“ zu stiften,28 läßt Scholems Schöpfungstheologie und seine starke Akzentuierung des Gegensatzes religiöser und säkularer Ethik allerdings keinen Raum. Im Gegenteil: Konnte Jonas auf Grund seiner Philosophie des Lebens eine nicht-religiöse Begründung des „Heiligen“ voraussetzen und fordern: „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen“,29 so formulierte Scholem: „Die säkularisierende Rede von der ‚Heiligkeit des Lebens’ ist eine Quadratur des Zirkels. Sie schmuggelt einen absoluten Wert in eine Welt hinein, die ihn aus ihren eigenen Voraussetzungen heraus niemals bilden könnte und welcher versteckt auf eine Teleologie der Schöpfung hinweist, die doch von der rein naturalistischen Weltanschauung geleugnet wird.“30 Könnte man sich einen Dialog von Scholem und Jonas im Himmel vorstellen (eine natürlich angesichts von Jonas’ Interpretation des Todes und des Begriffes der Unsterblichkeit undenkbare Möglichkeit),31 so wäre es mehr als spannend, Zeuge der Konfrontation dieser beiden unterschiedlichen Perspektiven zu werden. Ungeachtet der gegensätzlichen Auffassung, die in den zuletzt angeführten Formulierungen aufscheint, hätte Jonas Scholems Kritik der Schöpfungsvergessenheit der modernen Gesellschaft und seiner Überzeugung, eine „technologische Welt“, die sich hemmungslos optimistisch auf die Beherrschung der Natur stürze, müsse mit der Welt des Judentums zwangsläufig in einen Konflikt „von ungemilderter Vehemenz“ geraten, wohl bedingungslos zugestimmt. Wenn Scholem die Befürchtung äußert, der Mensch wäre in einer solchen Welt unbegrenzter technologischer Macht „ein hilfloses Instrument ihn überrollender Gewalten und zugleich ein atomisiertes, isoliertes Detail, das schutzlos vor Einsamkeit und Sinnlosigkeit steht“,32 so erinnert das unweigerlich an Jonas’ Diagnose der Gefährdung der Würde und Verantwortung des Menschen in einer der Dimension des Transzendenten und des Anspruches der Gottesebenbildlichkeit beraubten säkularen Gesellschaft.33 So verwundert es nicht, daß beide Denker angesichts der Entzauberung des Kosmos und der Welt durch die moderne Naturwissenschaft mit ihrem Hang zur technologischen Bemächtigung die Kategorie der Ehrfurcht, des Heiligen und des Geheimnisses neu zur Geltung zu bringen versuchten – Jonas in seinem persönlichen Glauben an den ohnmächtigen Schöpfergott und dem Hinweis, es gebe „ein Geheimnis, das uns alle über die zeitgebundenen, privaten, persönlichen Stellungnahmen hinaus, die wir geistig und bewußt vollziehen, bindet“,34 Scholem im Verweis auf das Grundgefühl jüdischer Mystik und der eindringlichen Warnung vor ihrem Verlust: „Wenn das Gefühl, daß die Welt ein Geheimnis birgt, je aus der Menschheit entschwindet – ist alles zu Ende. Ich glaube aber nicht, daß es so weit mit uns kommen wird …“35

       II.

      Die vorsichtig-tastende Nähe, wie sie in Jonas’ und Scholems persönlichen Zeugnissen aufscheint, hat sich offenbar nach Jonas’ Übersiedlung nach Kanada 1949 nie wieder eingestellt. Statt dessen sollte es schon bald zu einem Konflikt kommen, der

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