Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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Vision der Erlösung in Qualen zerrann.

      Was bleibt, ist verworfenes Glück.

      (Hans Jonas, dem gnostischen Kollegen, zur Beherzigung beim Abstieg in die Tiefen des Nichts und beim Aufstieg ins noch Unbekanntere freundschaftlich eröffnet von Gerhard Scholem)5

      Jonas antwortete in einem aufgewühlten Dankesbrief vom 4. Februar 1943 aus Haifa:

      „Lieber Scholem, wie soll ich Ihnen danken? Ich bin noch nie so beschenkt worden, und ich werde kaum einen zulänglichen Ausdruck finden für die Bewegung, die ich empfinde, so oft ich das großzügige und großartige Bekenntnis lese, mit dem Sie mich geehrt haben. Ich bin glücklich, daß Sie mein Exemplar dazu gewählt haben, und mehr noch, daß ich nun so im Ernste weiß, was mich und andere so oft als Frage – manche aus ‚Neugierde’ und manche als dringliches, mit dem Phänomen ‚Scholem’ verbundenes geistiges Anliegen – beschäftigt hat. Für mich persönlich könnte ich auch sagen: beunruhigt hat. Denn Sie sind sich ja selber klar darüber, daß Ihre geistige Existenz als solche, nicht nur das Forscherleben mit dem wissenschaftlichen Ertrag, in dem sie sich manifestiert, um sich zugleich dahinter zu verschanzen, eine tiefe Herausforderung an unsere – die ‚verwandelte Zeit’ – enthält; eine Herausforderung, die manches gerne aufnehmen würde, wenn sie nur unverhüllt (darf ich sagen: unzweideutig?), greifbar, sei es in bekenntnishafter, sei es in dialogfähiger Form, ihm entgegentreten würde. Jene Verschanzung im Forschungsgegenstand, legitim wie sie ist (und verpflichtend, wenn nicht durch das Objekt, dann noch durch die Objektivität des Erkennens), lehrend und wehrend in einem, Wink zugleich und Maske (und insofern so etwas wie eine Symbol-Wirklichkeit im echten Sinne) – sie macht es schwer, für die ‚Auseinandersetzung’, die doch unabdingbar darin vorgezeichnet ist, auch nur die ausdrücklichen terms festzustellen. Für die direkte wenigstens: die indirekte muß eben die gleichen ‚symbolischen’ Wege einschlagen, die Ihre Thesis (oder Herausforderung) geht – und diesen Weg immanenter Selbsterklärung und damit verhüllter Rede und Antwort gehen wir andern, jeder auf seine Weise und mit seinen (bescheideneren) Mitteln, in der Tat ja auch, unwillkürlich oder absichtsvoll, – jeder, wenn er sich forschend und deutend der Geschichte in seinem besonderen Thema stellt. Aber das Geheimnis der Beziehung zwischen dem Forscher und seinem Gegenstand, in Ihrem Falle ein berechtigteres Interesse, eine schärfere Frage als in den meisten sonst, ist gerade Ihnen gegenüber, wie Sie wissen, seit langem ein beliebter Gegenstand teils witziger Vermutungen (mit entsprechenden Formulierungen), teils ernsthaften Fragens und Kopfzerbrechens: alle diese aber, meine ich, letzten Endes ein Ausdruck jener Beunruhigung, die ich für mich oben erwähnt habe. All dies ‚lockt’ Sie nicht aus Ihrer Reserve heraus. Welcher Verstehende möchte nicht die Selbstzucht, die Enthaltsamkeit des Forschers und zugleich die Verschwiegenheit, ja Sprödigkeit der Person (in diesem Lichte sehe ich Ihre Gesprächigkeit) ehren und vor der direkten Anfrage zurückscheuen? Aber das Bedürfnis und das Warten bleibt: und es kommen Augenblicke in der Geschichte eines Geistes, wo man nach allen ihm verdankten Erkenntnissen sich ein Bekenntnis wünscht; wo ein Zipfel wenigstens des Vorhanges gelüftet und der latente Standpunkt sich in einer neuen, unmittelbareren Approximation, in der Sprache des Vertrauens, deklarieren möge – um der eigenen und um der befreundeten Seelen willen. Dies hat für mich Ihr Widmungsgedicht getan. Sie werden mir vergeben, wenn ich die einzige würdige Antwort, zu der es mein Gefühl verpflichtet: die Erwiderung von meinem Zentrum her, vorläufig aufschiebe. Ich weiß nicht, ob ich so viel Standpunkt schon in mir kristallisiert habe, und jedenfalls ist für mich die Zeit einem solchen Unternehmen nicht günstig. So begnügen Sie sich bitte für jetzt mit meinem ernsthaften Dank und dem Ausdruck, den ich ihm in diesem Briefe zu geben versucht habe. Als erstes werde ich mich zum Objekt zurückbegeben und in meinen knappen Mußestunden die Kapitel lesen, zu denen ich bisher nicht gekommen war.“6

      Scholems Widmung und Jonas’ Dankesbrief sind einzigartig in der gegenseitigen Öffnung, die sich bei Scholem verhüllter, „symbolischer“, im Medium des Widmungsgedichtes vollzog, während Jonas seine Empfindungen offener aussprach: den Dank, aber auch ein gewisses Leiden an der Distanz und „Sprödigkeit“ eines Freundes, der sich ihm offenbar allzu oft hinter der „Maske“ seiner wissenschaftlichen Forschung verbarg. Zugleich illustrieren diese Texte, was Jonas meinte, als er später in seinen Erinnerungen über das „ungelöste Scholemrätsel“ reflektierte, nämlich über die Frage, die sich auch die nächsten Freunde stellten, „ob Scholem selbst ein gläubiges Verhältnis zum Judentum hatte“: „Was glaubte er, wie viel wollte er glauben, konnte es aber nicht? Niemals hat er sich darüber deutlich erklärt“.7 Was Jonas in seinem Brief als „Verschwiegenheit“ des Forschers beschreibt, die er in der Widmung mit den Anspielungen auf religiöse Suche, Faszination von mystischen Texten, Ernüchterung und bleibender Fremdheit andeutungsweise durchbrochen sah, haben andere Scholem als Ausweichen vor klaren Antworten hinsichtlich seines Verhältnisses zur religiösen Tradition und säkularen Moderne vorgeworfen. Die Deutungen seiner Haltung zum Judentum oszillieren zwischen der These, er habe die Kabbala völlig distanziert und aus säkularer Perspektive als historische Erscheinung betrachtet und der Auffassung etwa Theodor W. Adornos, „der mystische Funke [müsse] in ihm selbst gezündet haben“,8 sowie Ernst Simons Vermutung, hinter Scholems Schweigen von Gott verberge sich ein Bekenntnis zu ihm – nämlich als „indirekte Mitteilung“.9 Scholem selbst brachte seine Haltung erstmals in späteren Zeugnissen zur Sprache, etwa in seinem Essay „Einige Betrachtungen zur jüdischen Theologie in dieser Zeit“ aus dem Jahr 1973 und in einem 1973/74 geführten biographischen Interview.10 In diesem Gespräch distanzierte sich Scholem vom Atheismus und bekannte sich dazu, „daß ich ein religiöser Mensch bin, weil ich mir meines Glaubens an Gott sicher bin“.11 Er gab zu verstehen, daß er trotz seines streng wissenschaftlichen Zuganges zur Mystik zumindest das Grundgefühl der Kabbalisten teile – „daß es in der Welt ein Geheimnis gibt“.12 Es klingt – natürlich ohne daß dies intendiert gewesen wäre – fast wie eine späte Antwort auf Jonas’ Reaktion auf den Widmungstext des Jahres 1943, wenn Scholem auf die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Glaube in seiner Erforschung und Lehre der Geschichte der Kabbala erwiderte:

      „Doch daß ich über die Kabbala nicht nur als ein historisches Kapitel sprach, sondern aus einer dialektischen Distanz, aus gleichzeitiger Identifizierung und Entfernung, resultierte wohl aus meinem Empfinden, daß es in der Kabbala einen lebendigen Kern gab, daß sie Dinge in einer jener Generation entsprechenden Form zum Ausdruck brachte, die sich aber vielleicht auch in anderer Form in etwas anderem und in einer anderen Generation hätten ausdrücken können. Jenseits aller Tarnungen, Masken und philologischen Spiele, in denen ich mich auszeichne, hat mich wohl etwas Verborgenes dieser Art angetrieben. Ich kann verstehen, daß etwas Derartiges sich in den Herzen meiner Zuhörer – unter den Säkularen – entzündete, wie es sich auch in mir entzündet hatte.“13

      Es gibt keine Zeugnisse dafür, daß Scholem diese Antwort und vor allem das Zugeständnis der ja auch von Jonas angesprochenen „Tarnungen“ und „Masken“ diesem gegenüber persönlich formuliert hätte. Ohne daß ersichtlich wäre, ob Scholem und Jonas nach ihren in den Gedichten und Briefen aus dem Jahre 1942/43 vorsichtig formulierten Andeutungen den Faden des Gespräches über Religion, Glauben und Zweifel jemals wieder aufgenommen haben, läßt Scholems Essay von 1973 eine überraschende Nähe zu Jonas’ Denken feststellen. Trotz mancher unterschiedlicher Akzente, die schon darin begründet liegen, daß der Jerusalemer Gelehrte aus einem weit tieferen Fundus jüdischer Gelehrsamkeit schöpfen konnte, gelangten beide Denker – wohl unabhängig voneinander und doch um die gleichen Fragen ringend – zu sehr ähnlichen Einschätzungen. Wie Jonas, der zeitlebens ein zwiespältiges Verhältnis zur jüdischen Tradition hatte, das sich zwischen grundsätzlicher Bejahung und Zurückweisung zentraler Elemente bewegte,14 bekennt Scholem, nicht zu „diesen Glücklichen“ zu gehören, die eine „positive Theologie eines unverrückbaren Judentums“ besitzen – allenfalls könne er Fragen aufwerfen. Zu diesen Fragen zählen, abgesehen von jener nach der Autorität der Tradition, vor allem die nach der „Stellung des Judentums und seiner Überlieferung in einer säkularisierten und

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