Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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sich dann allerdings sehr wohl Schlüsse ziehen, die Auskunft darüber geben, an welchen Maßstäben sich das Handeln orientieren müßte, soll der Anspruch auf Humanität – und das heißt auch bei Anders schlicht: auf den Fortbestand des Menschen – nicht vollends aufgegeben werden.

      Günther Anders verzichtet jedoch im Gegensatz zu Hans Jonas prinzipiell darauf, eine Moral, die die Existenz der Gattung Mensch zum Ziel hat, philosophisch zu begründen. Gerade weil seiner Auffassung nach der Gattung Mensch keine bevorzugte ontologische Stellung zukommt, läßt sich auch und gerade angesichts der Bedrohung der Menschheit eine Ethik nicht ontologisch-metaphysisch deduzieren. In den anthropologischen Entwürfen seiner jungen Jahre hatte Anders den Menschen als weltfremdes, ja weltloses Wesen bestimmt, das im Gegensatz zum Tier in keine Welt eingepaßt ist, sondern sich Welt immer erst schaffen muß, was allerdings keine ontologische Sonderstellung bedeutet, sondern als belastende Exterritorialität, als „Pathologie der Freiheit“ zu diagnostizieren ist.13 Die noch bei Kant formulierte Ansicht, nur dem Menschen komme eine Zweckhaftigkeit zu, der gegenüber alles andere in der Natur zu einem Mittel werden könne, so daß der Mensch das Ziel, das Telos der Natur sei, hat Anders immer wieder bestritten, zumal er darin das Manko der abendländischen Ethik erblickte.14 Aus der Position des Menschen in der Welt läßt sich seine Wertigkeit ebensowenig ableiten wie aus einer vermeintlichen Hierarchie des Seins, die Anders nicht mehr gelten lassen wollte. Wohl aber resultiert aus der „Pathologie der Freiheit“, daß der Mensch ein Wesen ist, das nicht nur die Möglichkeit der Entscheidung besitzt, sondern geradezu dazu gezwungen ist. Weil wir nicht vollständig in unserem Handeln determiniert sind, sind wir mit Freiheit, das heißt aber mit der Notwendigkeit konfrontiert, bestimmte Handlungen zu wählen oder zu unterlassen. Diese Freiheit erschien Anders durchaus als eine Form von Zwang, die dem Menschen die Unausweichlichkeit des Sollens schlechthin auferlegt: „Es bleibt uns gar nichts anderes übrig: wir müssen sollen.“ Daß der Mensch sich Gesetze, Regeln, Normen geben muß, da die natürlichen Instinkte nicht ausreichen, war für Anders in erster Linie eine Not, keine Tugend. Immanuel Kants Apotheose des Sittengesetzes wurde interessanterweise gerade deshalb zum Gegenstand der Kritik: „Die philosophische […] Grundfrage muß die nach den Bedingungen der Nötigkeit sein, nicht die transzendentale nach den Bedingungen der Möglichkeit.“15 Anders griff damit übrigens einen Gedanken aus seiner frühen Auseinandersetzung mit Heidegger auf, dem er in der Studie über dessen Scheinkonkretheit vorgeworfen hatte, nur nach den Bedingungen der Möglichkeit der Freiheit, nicht aber nach der „Bedingung der Nötigkeit“ gefragt zu haben.16

      Diese Nötigung zum Sollen und damit die wie auch immer geartete prekäre Möglichkeit zur Freiheit sah Anders allerdings durch Entwicklungen gefährdet, die dazu geeignet waren, das Sollen aufzuheben. Die Ideologie und Vernichtungspraxis des Nationalsozialismus verstand Anders etwa als den Versuch, den Menschen auf eine vorgegebene Natur, auf ein Seiendes, festzuschreiben und auf diese Weise aus einem Sollen ein Müssen zu machen: „Wenn ein Seiendes (der Arier) von Natur aus und unwiderruflicherweise das Gute verkörpert und ein anderes Seiendes (der Jude) gleichfalls von Natur aus und unwiderruflich das Böse, dann ist kein Platz mehr gelassen für Freiheit (der Wahl zwischen Gut und Böse), und das ebenfalls unwiderruflicherweise; und ebenso unwiderruflicherweise ist dann kein Raum mehr übrig für das ‚Sollen’, das nun gewissermaßen zwischen Sein und Müssen zerquetscht wird.“ Unter solchen Bedingungen wird der Kantische Begriff der Pflicht pervertiert. Hatte Kant die Pflicht zu handeln noch als die Forderung verstanden, sich an einer dem kategorischen Imperativ folgenden Vernunft zu orientieren, sich also bei jeder Handlung zu überlegen, ob die zugrundeliegende Maxime für alle Menschen gelten könne, so wurde Pflicht bei den Nazis nun zu dem Phantasma, tun zu müssen, was die Natur verlangt. Anders hat dies knapp und präzise in einer Weise formuliert, die wohl auch für andere, ähnlich gelagerte Ontologisierungen des Guten und Bösen gilt: „Wo Müssen herrscht, darf kein Sollen sein.“17

      Günther Anders ging es demnach um die Analyse jener Faktoren, die – obwohl fallweise sogar Produkt der Freiheit menschlichen Handelns – dieses selbst wiederum bestimmen. An anderer Stelle formulierte er diese Frage folgendermaßen: „Sei moralisch, obwohl du, daß Sollen sein soll, nicht begründen kannst, nein sogar für unbegründbar hältst.“18 Zu dem oben Gesagten ergibt sich dabei kein Widerspruch, da der Mensch – als das zum Sollen gezwungene Wesen – aus diesem Sollen nicht ableiten kann, daß er selbst in einem ontologischen Sinn sein soll. Daß er als Mensch sollen muß, bedeutet nicht, daß er als Mensch auch sein soll. Oder anders ausgedrückt: Zwar ist der Mensch durch seine spezifische Existenz zur Moral genötigt, doch seine Existenz selbst läßt sich ebensowenig aus der Moral ableiten wie man letztere philosophisch begründen kann. Als Konsequenz aus diesen Überlegungen postulierte Anders einen „moralischen Nihilismus“. Ethik bleibt in diesem Sinne letztlich ein „utopisches“, das heißt unmögliches Unterfangen. Daß die Existenz der Gattung Mensch nicht positiv begründet werden kann, bedeutete für Anders allerdings nicht, daß sie deshalb nicht sein soll. Aus seinem moralischen Nihilismus machte er kein anthropofugales Programm, denn so wenig sich begründen läßt, warum menschliches Leben sein soll, so wenig folgt daraus das Gegenteil. In den Ketzereien bekannte sich Anders in bezug auf die Begründbarkeit der Moral und auf die Existenz des Menschen deshalb zu einem doppelten Nihilismus, betonte jedoch, dieser habe ihn als handelndes Wesen nie beeinflußt. Anders zog also aus seinem Nihilismus keine praktischen Konsequenzen, sondern beließ es bei der Provokation, daß er als Nihilist mit „eiserner Inkonsequenz“ auf dem Überleben der Menschheit beharrte.19 Die Frage, welchen Sinn es haben solle, daß es eine Menschheit gebe und nicht vielmehr keine, ist für Anders „höchstens im Bereich der theoretischen Vernunft sinnvoll (auch wenn unbeantwortbar), für die praktische Vernunft dagegen uninteressant. Den Moralisten geht sie nichts an. Er begnügt sich mit dem Vorletzten.“20 Das Leben der Menschen bedarf, um als lebenswert verteidigt zu werden, keines metaphysischen Sinns. Der Sinn des Lebens ist deshalb als Fundament für die Letztbegründung einer Moral ebenfalls ungeeignet. Für seinen praktischen Kampf um das Überleben der Menschheit benötigte Anders keine Begründung. Auch wenn ihn die theoretische Einsicht in die prinzipielle Unmöglichkeit dieser Begründung metaphysisch verzweifeln ließ, so durfte dies für das Handeln keine Bedeutung haben: „Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an.“21

      Jenseits der Frage nach einer philosophischen Letztbegründung der Ethik war Günther Anders jedoch genauso konkret an der Moralfrage interessiert wie Hans Jonas. Es ging ihm schließlich nicht nur um die ethische und geschichtsphilosophische Frage der denkbar geworden atomaren Selbstvernichtung der Menschheit, sondern auch darum, auf welche Weise der technologische Fortschritt das Leben der Menschen entscheidend veränderte. Die Sorge, die Möglichkeiten der Technik könnten weniger einen Zugewinn an Freiheit, als vielmehr eine schleichende Dehumanisierung zur Folge haben, beschäftigte Anders ebenso intensiv wie Jonas. Im Gegensatz zu diesem reagierte er darauf jedoch nicht mit einer neuen Verantwortungsmoral, sondern verlagerte das Moralproblem in die Struktur des Technischen selbst. Während die konventionellen Vorstellungen von Moral, wie sie nicht zuletzt auch in den gegenwärtigen Debatten um Gentechnik und Bioethik zum Ausdruck kommen, noch immer davon ausgehen, es bedürfe moralischer Normen und Richtlinien, die den Umgang mit den durch den technischen Fortschritt eröffneten Möglichkeiten regeln, insistierte Günther Anders in einer radikalen Umdeutung der moralischen Grundsituation auf der Erkenntnis, daß nicht etwa unsere moralischen Maximen den Gebrauch der Geräte steuern, sondern vielmehr die Maximen der Geräte uns die Richtlinien des Handelns vorgeben. Das bedeutet nicht nur, daß alles, was technisch möglich ist, schließlich auch verwirklicht werden wird, sondern auch, daß das, was erlaubt, geboten oder verboten ist, einzig davon abhängt, was die Geräte und die Technologien zulassen. Deshalb konnte Anders postulieren, im technologischen Zeitalter sei de facto ein „kategorischer Imperativ“ wirksam, der stärker als jedes Sittengesetz das tatsächliche Handeln der Menschen bestimme: „Handle so, daß die Maxime deines Handelns die des Apparats, dessen Teil du bist oder sein wirst, sein könnte“ – oder negativ formuliert: „Handle niemals so, daß die Maxime deines Handelns den Maximen der Apparate, deren Teil du bist oder sein wirst, widerspricht.“22

      Die

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