Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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großen Heidegger-Schüler, Hans-Georg Gadamer: Die intensive, philosophisch geleitete Beschäftigung mit der Geschichte mußte die Einsicht in die Geschichtlichkeit des Historismus selbst zur Folge haben. Anders als bei Gadamer führte freilich die Erkenntnis der Geschichtlichkeit des Historismus zu der Anerkennung einer zeitlosen Sphäre als legitimen Gegenstandes der Philosophie.28 Es bleibt Zeichen einer ganz besonderen geistigen Beweglichkeit, daß Jonas auf dieser Grundlage nun eine Neubegründung der Naturphilosophie in Angriff nahm oder, um genauer zu sein, jenes Teils der Naturphilosophie, der vom Organischen handelt. Statt sich wie Heidegger mit den Kategorien zu befassen, die den unterschiedlichen Konstruktionen von Natur in den verschiedenen Epochen der abendländischen Geschichte zugrunde liegen, oder wie die Wissenschaftstheorie den wissenschaftlichen Zugang zur Natur für den einzigen legitimen Zugang zur Natur zu halten, galt Jonas’ Nachdenken der Natur intentione directa – auch wenn in Organismus und Freiheit Reflexionen zur Geschichte der Biowissenschaften weiterhin eine ungewöhnlich große Rolle spielen. Insofern kehrte Jonas zur Phänomenologie seines ersten Lehrers Husserl zurück, und da er gleichzeitig metaphysischen Spekulationen gegenüber offen war,29 konnte er auch mit großer Unbefangenheit etwa auf Aristoteles, Spinoza und Leibniz zurückgreifen.

      Eine sachliche Lektion brachte Jonas aus seinem Studium der Gnosis mit – die Ablehnung jedes radikalen Dualismus. In der Tat ist dies einer der Gründe, warum Jonas sich auf die Philosophie des Organischen warf: Sie interessierte ihn nicht nur aus regionalontologischen Gründen, sondern weil er meinte, in diesem Gebiet Wichtiges für eine allgemeine Seinslehre lernen zu können – eine adäquate Erfassung des Organischen werde etwa eine dualistische Metaphysik nach Art Descartes’ widerlegen.30 Darin besteht nun eine Gemeinsamkeit zwischen Jonas und jenen beiden Denkern, bei denen seine Philosophie des Organischen am ehesten vorgeprägt ist, Aristoteles und Hegel, die beide ebenfalls gegen die Dualismen ihrer Vorgänger Platon und Kant rebellierten. Zwar liegt ein bedeutender Unterschied zwischen Aristoteles und Hegel auf der einen und Jonas auf der anderen Seite darin, daß nur jene ein wirklich umfassendes System der Philosophie vorgelegt haben, das allen Seinsschichten Gerechtigkeit zu erweisen sucht; aber es bleibt richtig, daß auch für Aristoteles und Hegel die Philosophie des Organischen mehr als eine bloß regionale Disziplin ist und Folgen hat für die Gesamtstruktur ihrer Philosophie. In De anima ist die Psychologie biologisch begründet, und nicht ganz zu Unrecht hat ein weiterer Heidegger-Schüler, Herbert Marcuse, in Hegels Philosophie des Lebens den Ursprung seiner Theorie der Dialektik sehen wollen.31 Wie bei Aristoteles und bei Hegel erhebt sich die Geistphilosophie einesteils auch bei Jonas über einer Philosophie des Organischen. Und wie bei beiden Vorläufern ist andernteils auch bei Jonas die Biologiephilosophie insofern auf den Geist hin angelegt, als dem Organischen eine Dimension der Innerlichkeit eignet, die von der kybernetischen Biologie zu Unrecht ausgeblendet worden sei.32 Für alle drei ist der Geist die „natürliche“ Fortsetzung des Organischen, doch ihre Philosophie wird deswegen nicht naturalistisch, weil der Organismus als auf den Geist hin angelegt konzipiert wird. Ja, alle drei Denker sehen im Organismus etwas besonders Werthaftes, ja geradezu eine Manifestation des Göttlichen in der Welt (was bei keinem der drei bedeutet, daß Gott nur innerhalb der Welt zu finden sei).

      Bemerkenswert ist, daß Jonas zwar in jeder Hinsicht die Darwinsche Umgestaltung der Biologie mitgemacht hat, daß er aber gleichzeitig mit Nachdruck, und mit vollem Recht, jene Bestandteile der traditionellen Biologiephilosophie verteidigt, die nur ein oberflächliches Denken als mit dem Darwinismus inkompatibel ausgibt – ich meine etwa die Lehre von der scala naturae.33 Von besonderer Dichte sind seine Überlegungen zum Unterschied von Tier und Pflanze, die nicht nur bei Aristoteles und Hegel,34 sondern auch bei den nur wenig älteren Max Scheler und Helmuth Plessner vorgeprägt sind. Am originellsten sind Jonas’ Analysen zum Wesen des Organischen, die den Metabolismus ins Zentrum stellen, der, wie Jonas wohl wußte, auch in Aristoteles’ und Hegels Biologiephilosophie eine wichtige Rolle spielt,35 allerdings der Teleonomie der Gestalt und der Reproduktion untergeordnet wird. Die Angewiesenheit des Organischen auf die umgebende Welt, von der es sich zugleich unterscheiden und absetzen muß, ist für Jonas eine jener Antithesen, die das Leben ausmachen, wie die „von Sein und Nichtsein, von Selbst und Welt, von Form und Stoff, von Freiheit und Notwendigkeit.“36 Hierin liegt eine deutliche Nähe Jonas’ zu Hegels Dialektik, so sehr Hegel das Denken in Antithesen und ihren jeweiligen Synthesen auf die ganze Philosophie ausgedehnt hat und so sehr er über eine Methode apriorischer Begriffsbildung zu verfügen beansprucht, die Jonas’ deskriptiv-phänomenologischem Zugang fremd ist. Der evidente Vorteil des Hegelschen Ansatzes ist, daß er über eine wenigstens ansatzweise Antwort auf die Frage verfügt, wann die Konstruktion eines philosophischen Gebietes vollständig ist.

      Auch wenn Hegels und Jonas’ Philosophie des Organischen sowohl in ihrer Stellung im ganzen der jeweiligen philosophischen Konzeption als auch in zahlreichen Details erstaunlich ähnlich sind, empfand Jonas ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber dem Hegelschen System – hier wirkte vielleicht die frühe Schopenhauer-Lektüre nach.37 Die Verwendung der Dialektik zum Zwecke einer metaphysischen Erfolgsstory hat Jonas besonders im Bereich der Geschichtsphilosophie abgelehnt, weil er keine Möglichkeit sah, den Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts einen Sinn abzugewinnen, ja derartige Versuche als Beleidigung der Opfer – etwa seiner in Auschwitz ermordeten Mutter – betrachtete. „Die Schmach von Auschwitz ist keiner allmächtigen Vorsehung und keiner dialektisch-weisen Notwendigkeit anzulasten, etwa als antithetisch-synthetisch erforderter und förderlicher Schritt zum Heil. Wir Menschen haben das der Gottheit angetan als versagende Walter ihrer Sache, auf uns bleibt es sitzen, wir müssen die Schmach wieder von unserem entstellten Gesicht, ja vom Antlitz Gottes, hinwegwaschen. Man komme mir hier nicht mit der List der Vernunft.“38

       III.

      Nicht nur ein umfassender Systembau, auch die spezifisch transzendentale Denkform ist Jonas fremd geblieben. Zwar spielen Selbstaufhebungsargumente in seiner Kritik am Epiphänomenalismus eine Rolle,39 aber vermutlich hat Jonas auch die Abneigung gegenüber dem Transzendentalismus von Heidegger übernommen, und zwar auf Grundlage der falschen Annahme, transzendentale Argumente führten zum Subjektivismus. Nun zeigt sicher Kants theoretische Philosophie eine Verbindung von Transzendentalismus und Subjektivismus, aber seine praktische Philosophie kann ganz gewiß nicht als subjektivistisch bezeichnet werden. Und in der Tat ist es so, daß die zentralen Intuitionen von Jonas’ Ethik kantianisch sind, auch wenn das angesichts von Jonas’ Polemik gegen den Kantischen Formalismus40 dem Leser von Das Prinzip Verantwortung nicht leicht auffällt. Immerhin hat Jonas vom ersten Satz der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die er früh las, gesagt, er habe „wie ein Donnerwort durch mein Leben geklungen.“41 Es ist dieses Donnerwort, das ihn vor der moralischen und ethischen Paralyse bewahrt hat, die von Heideggers Denken ausging, und ihn befähigt hat, die neben der Diskursethik innovativste ethische Theorie der deutschen Nachkriegsphilosophie vorzulegen, die lange gebraucht hat, um auch nur das Desiderat einer praktischen Philosophie einzusehen.

      Jonas’ bleibende Leistungen in der Ethik bestehen darin, erstens die Objektivität moralischer Verpflichtungen und zweitens ihre Irreduzibilität auf das wohlverstandene Eigeninteresse hervorgehoben zu haben – und dabei handelt es sich um zwei entscheidende Ideen Kants.42 Bei intergenerationellen Verpflichtungen, so Jonas, falle die Reziprozität weg, und allgemein gehe es in der Ethik darum, kategorische, nicht hypothetische Imperative zu fundieren.43 Damit ist der Eudämonismus der aristotelischen Ethik verlassen, und auch die nicht-hypothetischen Imperative des Utilitarismus und der Diskursethik werden in ihrem materialen Inhalt zurückgewiesen, weil Jonas in einem mit der Würde und der Berufung des Menschen erkauften Einverständnis und Wohlgefühl späterer Generationen nicht nur nichts Positives, sondern sogar eine Vergrößerung der Schuld der dafür verantwortlichen früheren Generationen sieht. „Es bedeutet, daß wir im letzten nicht das antizipierte Wünschen der Späteren konsultieren (das unser eigenes Erzeugnis sein kann), sondern ihr Sollen, das nicht von uns gemacht ist und über uns beiden steht. Ihnen ihr Sollen unmöglich machen ist das eigentliche

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