Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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Weiterwohnlichkeit der Welt - Группа авторов

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längere Zeiten unter Wasser bleibt […]. Ein schon nicht mehr hörbarer Einwurf Settembrinis, vielleicht nur der Versuch zu einem solchen, war soeben mit dem leidend-ungeduldigen Ausruf ‚Wenn sie mich doch nur ausreden ließen!’ von dem Fremden zum Schweigen gebracht worden, der dann auch ohne Aufenthalt, wenn auch keineswegs in fließender, sondern vielfach von gezogenen Vokalen und Flickworten wie ‚Dingsda’ unterbrochener Rede die so geschaffene Alleinredefreiheit zu nutzen fortsetzte. Nein, ein Dialog, wie ihn sich die alten Protagonisten des Wechselgesprächs bei uns hier oben so oft in pädagogischer Absicht vor lernbegieriger Jugend geliefert hatten, war das nicht. Von jenem bei aller Schärfe eleganten Duell nach ungeschriebenen Regeln, bei dem mit angestrengter Höflichkeit oder auch mit verhaltener Schadenfreude der Eine den Andern ausreden ließ, um dann mit wohltemperierter Stimme zu gesetzter Gegenrede anzuheben, gewiß, dabei des gleichen Vorzuges wie jener sich versehen zu dürfen – kurz, von der schätzenswerten Konvention gesitteter Gesprächskunst, nach Settembrini der Mutter der Freiheit und des Fortschritts, konnte hier nicht wohl die Rede sein. ‚Sieh da, Freund Settembrini in Nöten’ dachte Hans Castorp und beschleunigte mit erfreuter Spannung den Schritt, während er den widerstrebend mithaltenden Joachim daran erinnerte, wie sie an beinah eben dieser Stelle zum ersten Mal dem kleinen scharfen Naphta in der Gesellschaft Settembrinis begegnet waren. Alsbald wurden sie auch des Paares ansichtig, und Hans Castorp konnte seine Neugierde in betreff des Fremden im Näherkommen befriedigen. Sagten wir ‚des Fremden’? In der Tat, eine fremdartigere Erscheinung war selten hier oben gesehen worden. Auf langen Beinen daherschreitend, die bei jedem Schritt eine leichte Auswärtsbewegung beschrieben, so daß sie der ganzen Gestalt eine Art von Schlingern mitteilten; mit langen Armen und riesigen Händen gestikulierend, wobei die eine noch ihr besonderes Spiel mit einem Gegenstande trieb, der sich bei näherem Zusehen als ein in rastlosem Zwirbeln abwechselnd zu einem Röhrchen gerollter und wieder entrollter Papierstreifen erwies; den Oberkörper leicht vorgebogen und den Kopf aus dem Nacken nochmals vorgeschoben; mit Ohren, deren Ausmaße denen der anderen Extremitäten nicht nachstanden – hatte die Gestalt des Fremden trotz des im gesitteten Abendlande üblichen Sakko-Anzuges, mit der sie bekleidet war, wohl infolge ihrer vielfältig schlenkerigen Bewegungen etwas so Phantastisches, und wir möchten sagen, Flatterndes an sich, daß es die Freunde kaum gewundert hätte, wenn er bei einbrechender Dämmerung wie eine Fledermaus schwärzliche Flügel entfaltet und sich schaukelnden Fluges über das in Dunkel sinkende Tal hin entfernt hätte.

      Vorderhand aber ereignete sich nichts dergleichen, wenn auch der Inhalt der Rede, in der der Fremde begriffen war, seltsam genug war und auch bizarrere Möglichkeiten als diese in den Bereich des Erwartbaren und sozusagen Selbstverständlichen zu rücken schien. ‚Bekanntlich’, so hörte Hans Castorp ihn gerade sagen, ‚bekanntlich haben Gespenster keinen Umriß.’ Hier gelang es Settembrini, mit feiner Würde die Feststellung anzubringen, daß ‚bekanntlich’ die Vernunft von Gespenstern nichts wisse, auch nichts davon zu wissen wünsche und glücklicherweise mit diesem mittelalterlichen Aberglauben, der so lange den Menschen geschändet, endgültig aufgeräumt habe – wenigstens, so fügte er noch hinzu, für alle diejenigen, denen Fortschritt und Ehre des Menschen am Herzen lägen. Befremdlicherweise antwortete der Unterredner auf diese mit edler Wärme vorgebrachten Worte, die gleichsam an sein besseres Ich zu appellieren und eine höhere Gemeinsamkeit über den Standpunkten anzurufen schienen, mit dem einzigen Worte ‚Backobst!’ – dessen möglicher Zusammenhang mit dem verhandelten Gegenstande den Freunden schlechterdings unverständlich blieb, das aber jedenfalls auf irgendeine Weise, trotz der Untadelhaftigkeit des in Rede stehenden Erzeugnisses der Fruchtverwertungsindustrie, von Herrn Settembrini mit Recht oder Unrecht als eine nicht eben schmeichelhafte Kennzeichnung seiner Einrede empfunden wurde, wie die flüchtige, auf Gekränktheit schließen lassende Bewölkung seiner angenehmen Züge bewies. Diesen Anflug von Verstimmung überwand er indessen sofort mit Eleganz, als er jetzt daran ging, die Herren miteinander bekannt zu machen – was denn also im Gehen und halben Stehenbleiben mit verbindenden Handbewegungen und unter Scherzreden seitens Settembrinis geschah, wobei er den Stand des Vorzustellenden nach italienischer Art möglichst pomphaft herausstrich …“1

      Dieser Text legt auf lebendige Weise Zeugnis ab von einer aufrichtigen, von Humor, Ironie und der Begegnung starker Charaktere geprägten Freundschaft. In seinen Studienzeiten in Berlin hatte Jonas Scholem einmal von ferne auf einer turbulenten zionistischen Versammlung beobachtet und ihn schon damals als „ungemein eigenwillig denkende, originelle und aufs tiefste von geistigen Motiven durchdrungene Persönlichkeit“ wahrgenommen.2 Nachdem Jonas Deutschland im August 1933 endgültig verlassen hatte, knüpfte er an diesen Kontakt an und bat den auf Grund seiner Studien zur jüdischen Mystik bewunderten Kollegen um ein Empfehlungsschreiben, das dieser ihm bereitwillig ausstellte. Scholem empfand seinerseits bereits zu dieser Zeit große Achtung vor Jonas’ philosophisch-religionsgeschichtlicher Interpretation der spätantiken Gnosis und bescheinigte ihm „ein ungewöhnliches Talent zur scharfen Fassung und Durchleuchtung überaus schwieriger Gedankenkreise“, nicht ohne ihn offenbar brieflich auf die mangelhafte Rezeption seiner eigenen Arbeiten hinzuweisen – ein Thema, das später dringlicher werden sollte, hier aber lediglich vorsichtig anklang.3

      Der Jerusalemer PILEGESCH-Kreis, über den Jonas in seinen Erinnerungen so anschaulich berichtet,4 ein schabbatlicher Debattierclub, in dem neben ihm und Scholem vor allem der Physiker Shmuel Sambursky, der Orientalist Hans Jakob Polotsky, der Altphilologe Hans Lewy und der Publizist George Lichtheim in deutscher Sprache miteinander ernste und weniger ernste Diskussionen führten, ermöglichte wenig später, nach Jonas’ Übersiedlung nach Palästina im Jahre 1935, die intellektuelle Begegnung der beiden Gelehrten, aus der bald eine intensive Freundschaft erwuchs. Sie war getragen von wechselseitiger Achtung und einem humorvollen Miteinander, wie es sich in dem oben angeführten „literarischen“ Text widerspiegelt. Andere – ernstere – Zeugnisse deuten auf eine im gemeinsamen Forschungsinteresse an der Welt der Gnosis und frühjüdischen Mystik gründende intensive Nähe, hinter der jedoch bei genauer Betrachtung eine bleibende Distanz aufscheint, die symbolisch vielleicht im lebenslang aufrechterhaltenen „Sie“ zum Ausdruck kam. So hatte etwa Scholem 1942 seinem Freund eine Ausgabe seines soeben erschienenen Buches Major Trends in Jewish Mysticism mit folgender Widmung geschenkt: „Dem gnostischen Kollegen / zum warnenden Geleit / beim ferneren Abstieg / in die Tiefen des Nichts / widmet diesen kleinen Traktat / über Mystik und Dialektik / freundschaftlich / der analysierende und / nicht-analysierte Autor. G. Scholem, Jerusalem 8.3.1942.“ Am 15. Januar 1943 – Jonas war zu dieser Zeit mit der britischen Armee nahe Haifa stationiert – ließ Scholem ihm ein weiteres Exemplar mit einer zweiten Widmung zukommen. Sie enthält ein vorsichtig angedeutetes Bekenntnis Scholems über die Wirkung der Auseinandersetzung mit der jüdischen Mystik auf sein eigenes Denken. Seinem Freund Jonas gestattete er damit einen kurzen Blick in ansonsten völlig verborgene Seelenlandschaften:

      In die alten Bücher ging ich hinein –

      Mich dünkten die Zeichen groß.

      Ich blieb zu lange mit ihnen allein,

      Ich konnte nicht mehr los.

      Die Wahrheit hat den alten Glanz,

      Doch das Unglück stellt sich ein:

      Das Band der Geschlechter bindet nicht ganz,

      Das Wissen ist nicht rein.

      Verworrnes Gesicht von der Fülle der Zeit

      Habe ich heimgebracht.

      Ich war zum Sprung auf den Grund bereit,

      Aber habe ich ihn gemacht?

      Die Symbole der Väter sind hier formuliert;

      Der Kabbalist war kein Narr.

      Doch was die verwandelnde Zeit gebiert

      Bleibt fremd

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