Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

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Gesammelte Werke - Sinclair Lewis

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      »Ich wollte Sie schon so lange immer besuchen, meine Liebe, Sie wissen ja, wir sind Nachbarn, aber ich dachte, ich will warten, bis Sie eingerichtet sind; Sie müssen auch mal rüberspringen und mich besuchen, wieviel hat der große Stuhl dort gekostet?«

      »Siebenundsiebzig Dollar!«

      »Sieb … Christi Barmherzigkeit! Na ja, ich glaub' schon, daß das ganz recht ist für Leute, die sich's leisten können, obwohl ich mir manchmal denke – natürlich, wie unser Pastor einmal in der Baptistenkirche gesagt hat, übrigens, wir haben Sie dort noch nicht gesehen, und natürlich, Ihr Mann ist als Baptist aufgewachsen, und ich hoffe, er wird nicht abtrünnig werden, natürlich wissen wir alle, daß es nichts gibt, keine Begabung und kein Gold und kein Nichts, das Demut und innere Gnade ersetzen kann, und man kann von der anglikanisch-protestantischen Kirche sagen, was man will, aber natürlich gibt's keine Kirche, die mehr Geschichte hat und treuer die Grundsätze des Christentums gewahrt hat als die Baptistenkirche, und – in welcher Kirche sind Sie aufgewachsen?«

      »W–wieso, ich bin als Mädel in Mankato in die Kongregationalistenkirche gegangen, aber mein College war universalistisch.«

      »Also – aber in der Bibel heißt es natürlich, steht's in der Bibel? wenigstens hab' ich's in der Kirche gehört, und kein Mensch bestreitet es, es gehört sich für die kleine Frau, daß sie den Glauben ihres Manns annimmt, wir hoffen also alle, daß wir Sie in der Baptistenkirche sehen werden, und – Was ich sagen wollte, ich meine natürlich ebenso wie Reverend Zitterel, daß das Unglück unserer Nation heute der Mangel an Glauben ist – es gehen so wenig Leute in die Kirche, und am Sonntag fahren sie Automobil, und weiß der Himmel, was sie sonst noch machen. Aber trotzdem glaub' ich, daß das größte Unglück diese schreckliche Geldverschwendung ist, wo die Leute glauben, sie müssen Badewannen und Telephon im Haus haben – Ich hab' gehört, daß Sie die alten Möbel billig gekauft haben.«

      »Ja!«

      »Also – natürlich wissen Sie selber, was Sie zu tun haben, aber ich muß doch dran denken, wie Wills Ma noch hier war und ihm die Wirtschaft geführt hat – die hat mich oft besucht, sehr oft! – Also für die waren die Möbel gut genug. Aber, na na, ich darf nicht brummen, ich wollt' Ihnen nur sagen, wenn Sie merken, daß Sie mit den unruhigen jungen Leuten, wie die Haydocks und die Dyers, nicht auskommen können – und der Himmel allein weiß, wieviel Geld Juanita Haydock in einem Jahr verputzt – ja, also dann wird's Ihnen vielleicht lieb sein, wenn Sie wissen, daß das dumme alte Tantchen Bogart immer da drüben ist, und, weiß der Himmel –« Ein wuchtiger Seufzer. »– ich hoffe sehr, Sie und Ihr Mann werden keine Sorgen haben mit Krankheit und Zank und Geldherausschmeißen und den ganzen Sachen, mit denen so viele junge Ehepaare zu tun haben, und – Aber ich muß jetzt wieder weg, meine Liebe. Es ist mir so ein Vergnügen gewesen und – Kommen Sie ganz einfach mal rüber zu mir, wann Sie wollen. Ich hoffe, Will ist gesund? Mir ist vorgekommen, daß er ein ganz klein wenig spitzig aussieht.«

      Zwanzig Minuten später ächzte Frau Bogart endgültig zur Vordertür hinaus. Carola lief ins Wohnzimmer zurück und riß die Fenster auf. »Das Frauenzimmer hat übelriechende Fingerabdrucke in der Luft zurückgelassen«, sagte sie.

      2

      Carola war verschwenderisch, aber sie versuchte wenigstens nicht, sich von aller Schuld freizumachen und jammerte nicht: »Ich weiß, ich bin schrecklich verschwenderisch, aber ich kann anscheinend nicht anders.«

      Kennicott hatte nie daran gedacht, ihr Haushaltsgeld zu geben. Seine Mutter hatte nie welches gehabt! Als geldverdienende Junggesellin hatte Carola seinerzeit ihren Kolleginnen in der Bibliothek erklärt, wenn sie einmal verheiratet wäre, würde sie sich ein Haushaltsgeld aussetzen lassen, geschäftsmännisch und modern sein. Aber es wäre zu mühsam gewesen, Kennicotts freundlicher Verbohrtheit auseinanderzusetzen, daß sie praktische Haushälterin ebenso sei, wie muntere Spielkameradin. Sie kaufte sich ein Haushaltungsbuch und machte sich ein Budget, das so exakt war, wie eben von einem Budget erwartet werden kann, wenn kein Budget da ist.

      Im ersten Monat war es ein Flitterwochenscherz, auf nette Weise zu betteln, zu gestehen: »Ich habe keinen Cent im Haus, Lieber«, und sich sagen zu lassen: »Du bist ein verschwenderisches kleines Kaninchen.« Doch das Haushaltungsbuch ließ sie erkennen, wie unzuverlässig ihre Finanzgebarung war. Sie dachte darüber nach; ab und zu empörte es sie, daß sie ihn immer um Geld für das Essen bitten sollte, das sie für ihn kaufte. Sie ertappte sich dabei, daß sie Kritik übte an seiner Überzeugung: die spaßhafte Bemerkung, er wolle sie vor dem Armenhaus bewahren, sei einmal als bewundernswerter Witz akzeptiert und müsse sein tägliches Bonmot bleiben. Es war widerwärtig, ihm auf die Straße nachlaufen zu müssen, weil sie vergessen hatte, beim Frühstück um Geld zu bitten.

      Doch sie dachte, sie dürfe ihn »nicht in seinen Gefühlen verletzen«. Er liebte es, der große Herr zu sein, der Geschenke machte.

      Sie versuchte, die Häufigkeit dieser Bitten einzuschränken und wollte sich Konten eröffnen und ihm die Rechnungen zuschicken lassen. Sie hatte gefunden, daß Waren wie Zucker und Mehl am billigsten in Axel Egges ländlichem Laden zu kaufen waren. Sie sagte freundlich zu Axel:

      »Ich glaube, es wäre besser für mich, wenn Sie mir ein Konto eröffnen würden.«

      »Ich verkaufe nur gegen bar«, knurrte Axel.

      Sie fuhr auf: »Wissen Sie, wer ich bin?«

      »Ja, freilich weiß ich das. Der Doktor ist mir gut dafür. Aber das ist ganz einfach eine Regel, die ich mir gemacht hab'. Ich hab' niedrige Preise. Ich verkaufe gegen bar.«

      Sie starrte ihm in das rote unbewegte Gesicht, ihre Finger verspürten den würdelosen Wunsch, ihn zu schlagen, doch ihre Vernunft stimmte ihm zu. »Sie haben ganz recht. Sie sollen Ihre Regel nicht für mich durchbrechen.«

      Ihr Zorn war nicht verloren. Er wandte sich gegen ihren Mann. Sie mußte sofort zehn Pfund Zucker haben, hatte aber kein Geld. Sie rannte die Stufen zu Kennicotts Büro hinauf. An der Tür war ein Zettel, der ein Kopfschmerzmittel empfahl und verkündete: »Der Doktor ist nicht da, kommt zurück um –« Selbstverständlich, die leere Stelle war nicht ausgefüllt. Sie stampfte mit dem Fuß auf, sie lief hinunter zur Apotheke – des Doktors Klub.

      Als sie hineinkam, hörte sie Frau Dyer sagen: »Dave, ich muß etwas Geld haben.«

      Carola sah, daß ihr Gatte und zwei andere Männer da waren, daß alle belustigt zuhörten.

      Dave Dyer schnauzte: »Wieviel willst du haben? Ist ein Dollar genug?«

      »Nein, das reicht nicht! Ich muß Wäsche für die Kinder kaufen.«

      »Na, du lieber Gott im Himmel, die haben doch jetzt schon so viel, daß der Schrank voll ist – wie ich das letztemal meine Jagdstiefel gesucht hab', waren sie überhaupt nicht zu finden.«

      »Das ist mir ganz egal, sie sind ganz zerlumpt. Du mußt mir zehn Dollar geben.«

      Carola merkte, daß Frau Dyer diese Erniedrigung gewohnt war. Sie merkte, daß die Männer, insbesondere Dave, das Ganze für einen ausgezeichneten Spaß hielten. Sie wartete – sie wußte, was kommen würde – es kam. Dave belferte: »Wo sind die zehn Dollars, die ich dir voriges Jahr gegeben hab'?« sah die anderen Männer an und wartete darauf, daß sie lachten. Und sie lachten.

      Kalt und still ging Carola auf Kennicott zu und sagte in Kommandoton: »Ich muß dich oben sprechen.«

      »Wieso – ist was los?«

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