Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Bevor sie des Konzertes ganz müde waren, führte Carola sie in einer Polonaise ins Eßzimmer, zu blauen Schalen mit Chow Mein, mit Litschi-Nüssen und eingezuckertem Ingwer.
Niemand außer dem großstädtischen Lebemann Harry Haydock hatte bisher von anderen chinesischen Gerichten als Fleisch-Sui gehört; mit angenehmen Zweifeln wagte man sich durch die Bambusschößlinge zu den goldgelben, gebackenen Nudeln des Chow Mein vor; Dave Dyer lieferte mit Nat Hicks einen nicht sehr komischen chinesischen Tanz; und man lärmte und war zufrieden.
Carola ließ sich ein wenig gehen und merkte, daß sie empörend müde war. Sie hatte alles auf ihren schwachen Schultern getragen. Sie konnte nicht mehr weiter. Sie sehnte sich nach ihrem Vater, der bei solchen Gelegenheiten ein Künstler gewesen war. Sie dachte daran, eine Zigarette zu rauchen, um die Leute zu entsetzen, und ließ den furchtbaren Gedanken fallen, bevor sie ihn noch ganz zu Ende gedacht hatte. Sie war neugierig, ob man die Leute dazu bringen könnte, nur fünf Minuten lang von etwas anderem zu reden als dem Winterverdeck von Knute Stamquists Ford, oder der Bemerkung, die Al Tingley über seine Schwiegermutter gemacht hatte. Sie seufzte: »Ach, lassen wir sie in Frieden. Ich hab' genug gemacht.«
Sie schlug ihre behosten Beine übereinander und kuschelte sich behaglich über ihrem Tellerchen Ingwer zusammen; sie fing Pollocks still gratulierendes Lächeln auf und belobte sich dafür, daß sie den bleichen Anwalt ein wenig aufgemuntert hatte; sie bereute den ketzerischen Gedanken, daß außer ihrem Gatten noch ein anderes männliches Wesen existiere; sie sprang auf, suchte Kennicott und flüsterte ihm zu: »Glücklich, mein Herr und Gebieter? Nein, es hat nicht viel gekostet!«
»Die schönste Gesellschaft, die es bis jetzt hier gegeben hat, nur – schlag deine Beine in dem Kostüm nicht übereinander. Man sieht deine Knie zu deutlich.«
Sie ärgerte sich. Seine Plumpheit verdroß sie. Sie ging zu Guy Pollock und sprach mit ihm über chinesische Religion – nicht, daß sie auch nur das geringste von chinesischer Religion wußte, aber er hatte ein Buch darüber gelesen, wie er an einsamen Abenden in seinem Büro überhaupt mindestens ein Buch über jeden Gegenstand gelesen hatte. Guys kümmerliche Reife wurde in ihrer Phantasie zu farbiger Jugend; sie durchstreiften eine Insel im Gelben Meer des Geplauders, bis sie merkte, daß die Gäste mit jenem Husten begannen, der in allen Sprachen bedeutet, daß man nach Hause und schlafen gehen will.
Während man ihr versicherte, es sei »die netteste Gesellschaft von der Welt gewesen – weiß Gott! so gescheit und originell«, lächelte sie herzzerreißend, drückte Hände, machte viele passende Bemerkungen über Kinder, sagte, man solle sich nur warm einwickeln, sprach über Raymies Gesang und Juanita Haydocks Beherztheit bei Spielen. Dann wandte sie sich müde um und fand Kennicott in einem Haus voller Stille, Krümchen und Fetzchen von chinesischen Kostümen.
Er rief: »Ich sag' dir, Carrie, du bist wirklich ein Prachtkerl, und wahrscheinlich hast du auch recht damit, daß die Leute aufgeweckt werden müssen. Jetzt, wo du ihnen gezeigt hast, wie man so was macht, werden sie nicht mehr ihre alten Gesellschaften mit den ›Nummern‹ und den ganzen Sachen geben. Nein! Rühr' nichts an! Du hast genug getan. Geh hinauf ins Bett, ich räum' schon auf.«
Seine klugen Arzthände streichelten ihr über die Schulter, ihr Ärger über seine Plumpheit war vergessen.
5
Aus der Wochenschrift »Der Unverzagte«:
»Eines der reizvollsten gesellschaftlichen Ereignisse der letzten Monate fand Dienstag abend gelegentlich des Einzugsschmauses von Dr. und Frau Kennicott statt, die ihr entzückendes Heim in der Poplar Street neu eingerichtet haben, das jetzt ganz modern gehalten ist. Der Doktor und seine junge Frau empfingen ihre zahlreichen Freunde, und eine Anzahl neuer Unterhaltungen wurde zum besten gegeben, darunter ein chinesisches Orchester in echt orientalischen Originalkostümen, welches der Herausgeber dirigierte. Angenehme Erfrischungen in echt orientalischem Stil wurden gereicht, und man sagte einstimmig, daß man sich köstlich unterhalten habe.«
6
Eine Woche später gaben die Dashaways eine Gesellschaft. Der Kreis der Leidtragenden rührte sich den ganzen Abend nicht vom Fleck, und Dave Dyer lieferte die »Nummer« vom Norweger und der Henne.
Sechstes Kapitel
1
Gopher Prairie arbeitete angestrengt für den Winter. Ende November und den ganzen Dezember schneite es täglich; das Thermometer zeigte Null Grad und konnte auf zwanzig oder dreißig Grad Kälte fallen. Der Winter ist im nördlichen Mittelwesten keine Jahreszeit, er ist eine Industrie. Vor jeder Tür werden Schneewehren aufgerichtet. In jedem Block sah man die Hausbesitzer – Sam Clark, den reichen Herrn Dawson, alle außer dem asthmatischen Ezra Stowbody, der extravagant genug war, einen Jungen dafür anzustellen – gefährliche Leitern hinaufsteigen, Winterfenster herbeibringen und sie in den Gewänden im zweiten Stock einschrauben. Während Kennicott seine Fenster einsetzte, tanzte Carola drinnen in den Schlafzimmern umher und bat ihn, die Schrauben nicht zu verschlucken, die er wie ein absonderliches falsches Gebiß im Mund hatte.
Das allgemeine Wintersignal war das Faktotum der Stadt – Miles Bjornstam, ein großer, dicker Junggeselle mit rotem Schnurrbart, überzeugter Atheist, Polemiker in allen Läden, ein zynischer St. Nikolaus. Die Kinder liebten ihn, und er schlich sich von der Arbeit weg, um ihnen unwahrscheinliche Geschichten vom Pferdehandel, von Seefahrten und Bären zu erzählen. Die Eltern der Kinder lachten entweder über ihn oder haßten ihn. Er war der einzige Demokrat in der Stadt. Er rief sowohl Lymann Cass, den Müller, wie den finnischen Heimstättner vom Verlorenen See beim Vornamen. Er war als der »Rote Schwede« bekannt und wurde für nicht ganz normal gehalten.
Bjornstam konnte mit seinen Händen alles machen – Pfannen löten, Automobilfedern schweißen, erschrockene Fohlen beruhigen, an Uhren basteln, Schiffe schnitzen, die zauberhafterweise in Flaschen gingen. Jetzt war er auf eine Woche Generalkommissar von Gopher Prairie. Er war außer dem Monteur bei Sam Clark der einzige Mensch in der Stadt, der sich aufs Installieren verstand. Alles bat ihn, die Heizungen und die Wasserleitungsrohre nachzusehen. Er eilte bis in den späten Abend, bis zehn Uhr, von Haus zu Haus. Eiszapfen von geborstenen Leitungsrohren hingen am Saum seines braunen Hundefellmantels; seine Plüschkappe, die er im Haus nie abnahm, war eine undefinierbare Masse aus Eis und Kohlenstaub; seine Hände waren rissig; er kaute an einem Zigarrenstummel.
Aber gegen Carola war er höflich. Er bückte sich, um die Heizung zu untersuchen; er richtete sich auf, sah an ihr herunter und stotterte: »Ihre Heizung muß ich in Ordnung bringen, ganz wurscht, was ich sonst noch zu tun hab'.«
Die Farmer kamen auf selbstgemachten Schlitten in die Stadt, in den rohen Schlittenkästen hatten sie Bettdecken und Heuballen.
Pelzmäntel, Pelzmützen, Pelzfäustlinge, Überschuhe, die fast bis an die Knie reichten, zehn Fuß lange gestrickte graue Schals, dicke Wollsocken, Segeltuchjacken, die mit weicher gelber Wolle wie mit Flaumfedern gefüttert waren, Mokassins, rote Flanellpulswärmer für die aufgesprungenen Handgelenke der Jungen –