Kleine politische Schriften. Walter Brendel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kleine politische Schriften - Walter Brendel страница 12
Als in den Vereinigten Staaten von Nordamerika Lincoln zum Präsidenten gewählt wurde (1860), lautete die Devise des Nordens: Ablösung der Sklaverei – Expropriation in schonendster Form. Die Sklavenhalter des Südens verschanzten sich in ihr starres »Recht«, wiesen, pochend auf ihre Macht, jeden Kompromiß zurück und entfalteten trotzig die Fahne der Revolution. Die Abschaffung der Sklaverei war eine Lebensfrage für das Volk der Vereinigten Staaten; das Volk nahm den Kampf auf, und nach titanischem Ringen wurden die Sklavenhalter besiegt und die Sklaven ohne Entschädigung emanzipiert. Die Expropriation war verweigert worden – es folgte die Konfiskation.
Die Sklavenhalter und herrschenden Klassen Europas mögen sich die Lehre hinter die Ohren schreiben!
Hier eine kurze Bemerkung:
Man macht unserer Partei häufig den Vorwurf, sie verstehe sich wohl auf die Kritik des Bestehenden, aber sie bleibe die Antwort schuldig, was anstelle des Bestehenden zu setzen sei; wir wüßten wohl zu zerstören, aber nicht wiederaufzubauen. Der Vorwurf ist ein unverdienter und nimmt sich besonders in dem Mund von Männern, die auf ökonomischem Gebiet das laisser faire, laisser aller frz., sinngemäß: Gehen lassen, wie es geht. Doktrin der Manchesterschule.predigen, gar komisch aus. Wer, wie unsere freihändlerischen Bourgeois, den Satz verficht, daß die Gesellschaft die höchstmögliche Vollkommenheit erreichen werde, wenn man die Menschen nur sich selber überlasse, sie in ihrem Kampf ums Dasein nicht durch äußere Einwirkungen und Hemmungen störe, der hat fürwahr nicht das Recht, von einer andern politischen Partei zu verlangen, sie sollt den Zustand, welchen sie erstrebt, in allen Details vorauszeichnen. Die menschliche Gesellschaft ist keine Maschine, die gemacht worden ist und von Zeit zu Zeit mechanisch repariert werden muß. Sie ist ein lebendiger Organismus, der wie eine Pflanze wächst; der gleich der Pflanze gedeiht, wenn er sich in gesunden, seiner Natur entsprechenden Bedingungen befindet; gleich ihr verkommt, wenn sein Wachstum durch schädliche Einflüsse gehemmt ist; und, gleich ihr, sich nur dann wieder erholen kann, wenn diese schädlichen Einflüsse entfernt werden. Die Entfernung der schädlichen Einflüsse ist die Heilung. Die Negation (Verneinung) des Schlimmen ist die Bejahung, die Feststellung des Guten. Das Leben ist die Negation des Todes. Die Geschichte ist eine permanente Negation; Negation der Vergangenheit und Gegenwart, des vergangenen und gegenwärtigen Zustandes. Und nicht bloß die Geschichte der Menschheit, sondern auch die jedes einzelnen Menschen, überhaupt jedes Organismus, ja jedes Dinges. Zerstören und Schaffen ist ein und dasselbe, wo es sich um die Zerstörung des Lebensfeindlichen handelt: das Schlechte zerstören heißt das Gute schaffen. Der Zerstörung des Lebensfeindlichen, soll sie gründlich und von dauernder Wirkung sein, muß dessen Kritik vorhergehen. Die Kritik hat das Schädliche zu zeigen, damit die Praxis es entfernen kann ...
[...] Genug. Ich glaube, in dem Bisherigen den versprochenen Beweis dafür geliefert zu haben,
»daß die Baseler Beschlüsse in dem Stand der Landfrage ihre vollste Berechtigung finden; und
daß das Geschrei gegen die Baseler Beschlüsse nur der Ignoranz oder bösem Willen entspringen kann«.
Es ist mir jetzt nur noch übrig zu zeigen, »daß unsere Partei, wollte sie die Baseler Beschlüsse verleugnen, ihre eigenen Prinzipien, ihr eigenes Programm verleugnen würde«.
Das Eisenacher Programm sagt im dritten Punkt des die allgemeinen Grundsätze enthaltenden Teils (II):
»Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozialdemokratische Arbeiterpartei, unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem), durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter.«
So deutlich als Worte es aussprechen können, ist hier ausgesprochen: erstens die negative Forderung, daß wir die jetzige (kapitalistische) Produktionsweise, mit dem ihr zugrunde liegenden Lohnsystem, das heißt der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital, daß nur ein Teil des Ertrags der Arbeit dem, der sie geleistet hat, zugute kommt, während der andere, größere oder geringere Teil in die Tasche eines sich Arbeitgeber, Meister, Fabrikant, Unternehmer, Pächter, Grundbesitzer, Gläubiger nennenden Individuums fließt, welches die Arbeit nicht geleistet hat und in sehr vielen Fällen überhaupt gar nicht arbeitet. Die jetzige Produktionsweise, welche wir abschaffen wollen, beschränkt sich aber nicht auf die Industrie, sondern herrscht auch in der Landwirtschaft, für welche die nämlichen ökonomischen Gesetze in Kraft sind wie für die Industrie. Die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital ist, wie wir gesehen haben, auf dem Gebiete des Ackerbaus nicht weniger allgemein und intensiv als auf dem Gebiete der Industrie – bei den Kleinbauern in Form von Hypothekenschulden und Wucherzinsen – beim Großackerbau in Form von Hungerlöhnen für den eigentlichen Produzenten; und die Erlösung durch genossenschaftliche Produktion ist darum für den ländlichen Arbeiter ein ebenso dringendes Bedürfnis wie für den städtischen Arbeiter. Daß zur Durchführung der genossenschaftlichen Produktion die Hilfe des Staates notwendig ist, da auf privatem Weg nur kleine, die Opfertätigkeit einzelner beweisende, im ganzen jedoch völlig einflußlose und unfruchtbare Versuche gemacht werden können, ist gleichfalls in dem letzten (10.) Punkt der »nächsten Forderungen« (III) des Eisenacher Programms ausgesprochen, und es ergibt sich somit, daß die Baseler Beschlüsse, weit entfernt, mit unserem Programm im Widerspruch zu stehen, nur dessen Konsequenzen für die landwirtschaftliche Produktion enthalten. In der längeren Abhandlung, welche unser Freund Bebel jetzt im »Volksstaat« veröffentlicht (»Gegen die demokratische Korrespondenz«), wird dies des Näheren nachgewiesen und überhaupt die Landfrage mit großer Schärfe und Gründlichkeit erörtert, weshalb ich auch hier auf diese Ausführungen verweise.
Man hört vielfach die Behauptung aufstellen, die sozialistischen Ideen möchten wohl für die städtischen Verhältnisse, für die eigentliche Industrie passen, seien aber nicht auf die ländlichen Verhältnisse, auf die Landwirtschaft, anzuwenden. Das ist ein Irrtum, der in der unbestreitbaren Tatsache wurzelt, daß die ländliche Bevölkerung sich bisher den sozialistischen Strebungen gegenüber größtenteils entweder gleichgültig oder geradezu feindlich verhalten hat. Diese Gleichgültigkeit, wo nicht Feindschaft, beruht aber nur auf mangelnder Kenntnis der sozialistischen Grundsätze. Die Landbevölkerung wohnt zerstreut; die gesellschaftliche Reibung, die in den Industriemittelpunkten, in den Städten, stattfindet und geistige Funken hervorsprühen läßt, ist auf dem Land nur in geringem Maß vorhanden, wozu noch kommt, daß aus demselben Grund auch die Verbreitung neuer Gedanken auf dem Land weit schwieriger ist als in den Städten, namentlich den großen Städten, die darum allen Feinden des menschlichen Fortschritts, von Ludwig XIV., dem Urheber des berüchtigten »Der Staat bin ich«, bis herunter auf den preußischen Junker Bismarck, ein Dorn im Auge sind. Ebensogut könnte man sagen, die Politik sei nicht für die Landbevölkerung, denn es steht fest, daß das politische Leben auf dem Land durchschnittlich weit weniger ausgebildet ist als in den Städten.
Nicht nur ist der Sozialismus dem Landbau nicht antagonistisch (feindlich), sondern er ist, wie ich gezeigt habe, für seine Fortentwicklung geradezu unerläßlich! Und was die Verwirklichung des Sozialismus angeht, so ist sie für den Landbau sogar noch weit leichter als für die städtische Industrie. Die Gemeinde, das Dorf, ist eine natürliche Assoziation, und mit vollständiger Schonung der bestehenden Eigentumsverhältnisse lassen sich die heutigen Dorfgemeinden in Assoziationen verwandeln, zum unmittelbaren und augenfälligen Vorteil aller Gemeindemitglieder. Die nämlichen Motive, welche bei allen Völkern und bei den hervorragendsten Denkern dem Land einen besonderen, es über Privateigentum erhebenden Charakter verliehen haben: die absolute Notwendigkeit des Landes für alle Menschen und die Einheit und Gleichartigkeit des Landes bei aller qualitativen Verschiedenheit der Bodensorten, erleichtern die Assoziation und machen sie bis zu einem gewissen Punkt selbst unter den heutigen Zuständen relativ