Kleine politische Schriften. Walter Brendel

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trägt –, sie muß schanzen für den Gutsherrn, dem ihre Arbeitskraft gehört, laut »Schein«; und ist das Kind zur Welt gekommen, so darf sie ihm ihre Muttersorge nicht widmen, nicht an die eigene Stärkung denken – sie muß hinaus, das arme Würmchen daheim lassen im Schmutz, mit dem vergiftenden Lutschbeutel im Mund, in der Pflege von kleinen, unverständigen Kindern, die noch zu schwach und unverständig sind, um mit Nutzen ins Joch des Kapitals gespannt zu werden – sie muß hinaus auf den Hof, für den Gutsherrn schanzen, dem ihre Arbeitskraft gehört, laut »Schein« – ihre ganze Arbeitskraft, ihr ganzes Mark bis auf den letzten Tropfen. Bricht sie zusammen, wird sie infolge der Überanstrengung durch eine akute Krankheit schnell weggerafft oder durch ein chronisches Leiden auf das Siechbett geworfen, arbeitsunfähig, sich selbst und den Ihrigen zur Last – nun, »es ist die erste nicht«, der Gutsherr hat nur getan, was »Recht« war, er hat nur auf seinem »Schein« bestanden. Wer will ihn anklagen? Er ist unschuldig wie das neugeborene Kind, dessen Mutter der »Schein« so schlecht bekommen ist, und das vermutlich so klug sein wird, der besten der Welten wieder Valet zu sagen, ehe es zur Vermehrung der Konkurrenz und zur Verschärfung der sozialen Gegensätze beitragen kann. Und verloren hat er auch nichts. Ja, wäre es ein Pferd, ein Ochse, ein Schaf, eine Ziege – das repräsentiert einen Wert, der sich in Geld ausdrücken läßt und der auf das Verlustkonto geschrieben werden muß, falls das betreffende Stück Vieh krepiert oder verunglückt; aber dieses unbefiederte zweibeinige Stück Vieh, das von unvorsichtigen Gefühlsduselern unter die Menschen gerechnet wird, repräsentiert, abgesehen von der Arbeit, die es im Dienste des Kapitals zu verrichten hat, nur einen ideellen, eingebildeten Wert, der sich nicht in klingender Münze ausdrücken läßt; »fällt« dieses zweibeinige Stück Vieh, so erwächst daraus dem Besitzer nicht der mindeste Schaden – es wird durch ein anderes zweibeiniges Stück Vieh ersetzt, ohne daß es nur einen Pfennig aus der gefüllten Tasche zu holen hat.

      Von Erziehung der Kinder kann bei den »Dienstleuten« nicht die Rede sein; die Eltern haben keine Zeit, der »Schein« treibt sie aus dem Hause; und der Schulunterricht ist trotz des Schulzwangs ein so unregelmäßiger – während der Zeit der Feldarbeiten müssen die Kinder, sobald sie stark genug sind, um zu jäten, Vieh zu hüten usw., dem Gutsherrn sich zur Verfügung stellen, das will der »Schein«! – und überdies, soweit Schulunterricht erteilt wird, ein solch mangelhafter, daß er als Bildungsmittel gar nicht in Anschlag gebracht werden kann.

      Was es aber mit dem vielgerühmten »deutschen Familienleben« bei diesen Parias für eine Bewandtnis hat, das mag sich jeder an den fünf Fingern abzählen.

      Noch schlimmer als die »Dienstleute« sind die »Einlieger« dran. Sie sind ganz »freie« Arbeiter, nicht an ein bestimmtes Gut gefesselt, haben kein festes Kontraktverhältnis, sondern arbeiten auf Tagelohn, der sich im Sommer auf elf bis fünfzehn Silbergroschen für die Männer, auf sieben bis zehn Silbergroschen für die Weiber beläuft. Von diesem kärglichen Lohn müssen sie – allerdings ein Kunststück, welches der Sparapostel Schulze in höchsteigener Person schwerlich fertigbringt – so viel »sparen«, daß sie den Winter hindurch, wo es nur selten etwas zu verdienen gibt, davon leben können. Wie man sich denken kann, gelingt dieses Sparkunststück nicht immer, und dann muß der Hungertyphus das gesellschaftliche Gleichgewicht wieder herstellen. Im Winter 1867 auf 68 durchzog dieser Gesellschaftsretter die Provinz Ostpreußen und räumte unter dem Landproletariat, besonders den »Einliegern«, mit erschreckender Gründlichkeit auf!

      Die dritte Klasse des ländlichen Proletariats, das Gesinde, ist gegen den Hungertod gesichert, solange es sich die »Zufriedenheit« der Herrschaft zu erhalten vermag; dieser Vorteil wird aber durch die Intensität des Abhängigkeitsverhältnisses aufgewogen, die schon in den Bezeichnungen »Knecht«, »Magd« zutage tritt. Beständiger Aufsicht unterworfen, die Arbeitskräfte aufs äußerste angespannt, führt das Gesinde das traurigste Sklavenleben. War der Haussklave doch bereits bei den alten Römern der elendste der Sklaven. Der Lohn ist nach den verschiedenen Beschäftigungen ein verschiedener; in den seltensten Fällen erreicht er eine Höhe, die dem Sparsamsten die kärglichsten Ersparnisse möglich macht. Wird der »Knecht«, wird die »Magd«, denen beiläufig der Regel nach das Heiraten, also die Gründung einer »Familie«, von der – selbstverständlich für das »heilige Institut der Familie« fanatisch begeisterten – »Herrschaft« bei Strafe sofortiger Entlassung, das heißt des Hungertods, verboten ist –, wird das Gesinde zu schwach, um den Reichtum der »Herrschaft« in dem von ihr »rechtmäßig« gewünschten Maße vermehren zu können, so wird es sans façon (ohne Umstände) an die Luft gesetzt und mag betteln gehen.

      Die absolute Rechtlosigkeit des Gesindes spiegelt sich am besten ab in den »Gesindeordnungen«, die dem »black code«, dem »schwarzen Gesetzbuch« für die amerikanischen Sklaven, abgeschrieben zu sein scheinen. Das »Gesinde« hat nach denselben bloß Pflichten, die Herrschaft bloß Rechte, darunter das Recht der körperlichen Züchtigung!

      Wie zahlreich die soeben aufgeführten Klassen des ländlichen Proletariats sind, kann ich in Ermangelung statistischen Materials nicht angeben. So viel aber ist gewiß, daß sie, außer in denjenigen Gegenden Deutschlands, wo das Parzellensystem herrscht oder vorherrscht, weitaus die Majorität der ländlichen Bevölkerung bilden.

      Zwischen den Landarbeitern und den Kleinbauern in der Mitte stehen die Häusler (Büdner, Eigenkätner), die ein kleines Häuschen (Kote, Kate) und etwas Land als Eigentum besitzen, von dem Ertrag ihrer paar Morgen jedoch nicht leben können und darum einen Teil des Jahres über für Tagelohn arbeiten müssen. Gerade auf die Grenzlinie des Proletariats verwiesen, sinken sie in dasselbe hinab, sobald längere Krankheit, Mißwachs auf ihrem Gütchen oder ein sonstiger Unfall sie betrifft. Die Klasse der Häusler verschwände sehr rasch, erhielte sie nicht beständigen Zuzug aus der Klasse der Kleinbauern.

      Und nun zu diesen.

      Was ist die Lage unserer deutschen Kleinbauern in den Landstrichen, wo das Parzellensystem herrscht? Führen sie etwa eine so beneidenswerte Existenz? Der Engländer Howitt, der in dem Parzellensystem das zu erstrebende Ideal erblickt, sagt von den Bauern der Pfalz: »Sie arbeiten fleißig früh und spät, weil sie das Bewußtsein haben, daß sie für sich selbst arbeiten. Sie placken sich von Tag zu Tag, jahraus, jahrein; sie sind die geduldigsten, unermüdlichsten und beharrlichsten aller Tiere.« Nicht ein menschliches Leben führen sie nach dem Zeugnis des zu günstiger Beurteilung geneigten Engländers, sondern das Leben von Tieren! Das ist aber zu mild ausgedrückt: Kein Tier ist imstande, die permanente Abrackerung, die Entbehrungen, zu denen diese »freien Grundeigentümer« verurteilt sind, auch nur ein Jahr lang zu ertragen...

      [...] Wer sich einbildet, die Landfrage ließe sich auf Grundlage der heutigen Eigentumsverhältnisse lösen, täuscht sich über die Natur des Übels und kann demzufolge nicht die richtigen Heilmittel anwenden.

      Daß die Lage der ländlichen Arbeiter und des Kleinbauerntums eine ungünstige, sich mehr und mehr verschlimmernde, der Abhilfe dringend bedürftige sei, wird, trotz der Loblieder auf den glücklichen deutschen Bauersmann, die hier und da noch aus dem Mund gutsituierter Gutsbesitzer und gedankenloser Zeitungsschreiber ertönen, von allen sich ernsthaft mit der Sache Beschäftigenden zugegeben, und die meisten unserer Kammern und Regierungen haben es tatsächlich durch gesetzgeberische Maßregeln verschiedentlicher Art anerkannt. Man hat die Nachteile der Güterzersplitterung durch Zusammenlegung der Äcker zu neutralisieren und durch landwirtschaftliche Vereine usw. einen rationellen Ackerbau und eine verbesserte Viehzucht herbeizuführen gesucht, jedoch ohne den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Der Mangel an Kapital läßt sich durch derartige Auskunftsmittel nicht ersetzen. Die Zusammenlegung der Äcker erleichtert dem Kleinbauer deren Bearbeitung, er bleibt aber immer ein Kleinbauer, der durch die Konkurrenz des Großgrundbesitzers und kapitalistischen Gutspächers allmählich erdrückt werden muß; und was nützen ihm die besten Rezepte für rationelle Bewirtschaftung, wenn er nicht Geld hat, sie zu befolgen? Es ergeht ihm wie einem halbverhungerten, an Blutarmut leidenden Proletarier, dem der Arzt Madeirawein, Roastbeef und ein halb Dutzend Eier pro Tag verschreibt. Auf dem Gebiet der Landwirtschaft nicht minder als auf dem der Industrie herrscht heutzutage die

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