Change. Gaurav Gupta
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Die moderne Organisation greift zwar auf Methoden und Erkenntnisse aus vielen hundert Jahren menschlicher Erfahrung zurück, aber sie unterscheidet sich dennoch fundamental von allem, was es vor ihr gab. Neue Technologien, die sich aus der Industriellen Revolution entwickelten, ermöglichten eine wesentlich billigere Produktion und Verteilung von Gütern und schufen bis dahin nie gekannte Massenmärkte. Doch um diese neuen Möglichkeiten nutzen zu können, brauchte man Organisationen von einer Größe und Komplexität, die sich zunächst nur in einigen eng begrenzten Bereichen entwickelten (wie im Textilbereich und bei der Eisenbahn). Diese neue Organisationsform konnte nicht nur die herkömmlichen zwei bis zehn Arbeitskräfte an einem Standort verwalten, sondern sie koordinierte viele Tausende von Menschen, die dazu noch auf bis dahin nie erlebte Weise geografisch verteilt und bezahlt wurden.
Damit diese komplexe Koordination funktionierte und nicht in Chaos ausartete, wurden alle möglichen neuen, formalen Systeme, Richtlinien, Strukturen und Aufgaben erfunden. Die Umsatzplanung wurde als gut strukturierter Prozess eingeführt und der Budgetplanung zugeordnet. Beziehungen zu Vorgesetzten sowie Aufgaben wurden in hierarchische Strukturdiagramme eingetragen und öffentlich sichtbar gemacht. Kontrollsysteme für die Finanzen und andere Bereiche wurden erfunden. Sie sollten alle Aktivitäten an allen Orten überwachen und dafür sorgen, dass planmäßige Ergebnisse eingefahren wurden. Es entwickelten sich neue Methoden zur Problemlösung und zur Kommunikation, um bei Abweichungen vom Plan Kurskorrekturen vornehmen zu können.
Zudem wurde ein ganzes Set neuer Aufgaben erfunden – wir würden sie heute als mittleres Management bezeichnen –, damit diese komplexeren Organisationen so funktionieren konnten, wie es gedacht war. »Manager« trieben »Managementprozesse« an, die bis dahin unerreichte Wirkungen produzierten und eine Verlässlichkeit garantierten, die man zuvor bei so großen und breit verteilten Menschengruppen für unmöglich gehalten hätte.
Die neuen Organisationen waren zwar in der Lage, sich zu verändern, doch standardmäßig funktionierten sie mit Regeln, Richtlinien, Prozessen, Plänen und dem Streben nach Normierung. Dies alles ist sehr wichtig für Effizienz und Zuverlässigkeit, aber gleichzeitig ein potenzielles Hindernis für die Wandlungsfähigkeit. Solange sich die Welt in einer akzeptablen und langsameren Geschwindigkeit drehte als heute, war die Situation meistens in Ordnung. Unternehmen und immer umfangreichere Regierungsapparate kämpften zwar damit, sich schneller anzupassen, weil die Organisationsform und die menschliche Natur dies verhinderten. Doch »schnell« war, gemessen an heutigen Standards, selten ein großes Problem – bis vor kurzer Zeit.
In den letzten rund 150 Jahren hat diese neue Organisationsform ihre Dominanz behauptet. In manchen Bereichen entwickelte sie sich so weiter, dass sie besser mit Veränderungen zurechtkommt, und zwar mithilfe heute weithin angewandter Konzepte wie abteilungsübergreifenden Taskforces, »Bürokratieabbau« und einer Kultur, die mehr Toleranz für neue Ideen aufbringt. Doch noch häufiger nutzen die heutigen Organisationen neue Formen von Strategie, digitaler Transformation, Restrukturierung, Kulturwandel, M&A, Agilität (die Methodologie zur Softwareentwicklung) und so weiter, damit sie sich an externe Veränderungen besser anpassen oder die damit verbundenen Chancen besser ausnutzen können.
Diese Methodologien können in diesem neuen Zeitalter der Turbulenz und Unsicherheit von großem Nutzen sein. Doch in den meisten Fällen zeigen unsere Forschungen, dass selbst in hoch technologisierten Umgebungen, in denen die Menschen nach eigener Ansicht die Organisationsformen des Industriezeitalters weit hinter sich gelassen haben, die typischen Herangehensweisen derzeit nur noch bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Jenseits dieses Punktes sind Körperschaften, die ein Leben lang überdauern sollten, und Organisationen, deren Fundament in einer langsameren und vorhersehbareren Welt geschaffen wurde, im ständigen Überlebenskampf gefangen – zumindest aber verpassen sie die großen Gelegenheiten. Kluge Menschen erkennen zwar, dass Veränderungen in hohem Tempo erforderlich sind, doch viel zu oft können sie ihre Bestrebungen nicht verwirklichen. Das Gefühl, dass sie in einer Umgebung, in der hervorragende Leistungen nur bei Geschwindigkeiten von 150 oder gar 250 Kilometern pro Stunde erzielt werden können, nur mit Tempo 50 oder 100 vorwärtskommen, ist dann oft extrem frustrierend und belastend.
So muss es aber nicht sein. Der erste Schritt eines Wandels zum Besseren besteht in der Anerkennung der Grenzen der modernen Organisationsform und der Erkenntnis der Dinge, die diese Grenzen verursachen. Im zweiten Schritt muss untersucht werden, wie sich die Organisationen realistischerweise verändern lassen, um sowohl zuverlässig und effizient zu bleiben als auch schnell und agil zu reagieren. Diesen Aspekt werden wir im gesamten Verlauf des Buches diskutieren und anhand von Geschichten darlegen.
Change-Leadership: Erfolg und Scheitern
Der dritte Forschungsstrang, der zu unserer aufblühenden Theorie der Veränderung beiträgt, konzentriert sich explizit auf die Beobachtung von Organisationen und den in ihnen arbeitenden Individuen bei ihren Versuchen, sich bewusst an einen veränderlichen Kontext anzupassen. Er bezieht sich dabei auch auf historische und aktuelle Studien über Leadership.
In einem frühen, grundlegenden Teil dieser Forschungen stellten wir fest, dass Transformationen scheiterten, wenn das Gefühl der Dringlichkeit für einen veränderten Umgang mit der beschleunigten Umwelt nicht stark genug war. Verschärft wurden die Probleme noch, wenn Leitung und Antrieb einer komplexen Change-Initiative in die Hände einer zu kleinen Gruppe von Personen mit nicht ausreichend breiten, relevanten Kenntnissen, mangelnden Verbindungen innerhalb der Organisation, zu geringer Führungsstärke und ohne starkes Dringlichkeitsgefühl gelegt wurden. Dies führte häufig zu einer ungenügend entwickelten strategischen Vision, die überdies nicht gut und häufig genug kommuniziert wurde.
Ohne die ausreichende Kommunikation eines sowohl rational begründeten als auch emotional mitreißenden Plädoyers für Veränderung war es beinahe unmöglich, die Leute so stark zu überzeugen, dass sie dazu motiviert oder gar mobilisiert wurden, sich für die Aktionen einzusetzen, die zur Durchführung und Aufrechterhaltung schwieriger Veränderungen erforderlich gewesen wären. Das Management wollte die Kontrolle nicht aus der Hand geben und stand daher breit angelegten Aktionen oft selbst im Weg. Kurzfristige Gewinne waren nicht so groß, dass sie der Initiative genug Glaubwürdigkeit und Schwung verschafft hätten, und selbst wenn Gewinne erreicht wurden, wurden sie nicht früh und häufig genug gefeiert, sodass jegliche eventuell bereits aufgebaute Dringlichkeit erneut ins Stottern geriet.
Sobald Erfolge sichtbar wurden, herrschte die Tendenz, den Sieg zu früh auszurufen und schon vor der Ziellinie aufzuhören. Zudem wurde die Zerbrechlichkeit der neu errungenen Veränderungen unterschätzt, sodass sich niemand die Zeit nahm, sie fest in den Systemen und Strukturen der Organisation zu institutionalisieren.
Unser Wissen über erfolgreiche Veränderung (und ihre häufigen Hindernisse) vertieft und erweitert sich laufend durch eine Reihe von Nachfolgestudien, die immer mehr Einzelheiten und Nuancen zutage fördern. Diese Studien beschäftigen sich mit den jüngsten Konsequenzen einer zunehmend komplexen, unvorhersehbaren und sich rasch wandelnden Welt.
Zusätzlich zu der erneuten Bestätigung der bekannten Gründe für Misserfolge, die weiter oben dargestellt sind, sehen wir noch, dass die erfolgreichsten Erneuerungsprojekte, die in großem Maßstab durchgeführt werden, bei einer klar formulierten, mitreißenden und emotional inspirierenden Chance ansetzen. In einer zunehmend komplexen Welt, in der wir täglich mit immer mehr Bedrohungen und möglichen Problemen bombardiert werden, wird es immer schwieriger, mithilfe einer »Burning Platform«, also so etwas wie einem Katastrophenszenario, nachhaltige Aktionen zu mobilisieren. Dieser Ansatz erzeugt Sorge, Wut, Schuldgefühle und Stress, die uns zwar oft aus unserer Selbstzufriedenheit reißen, die uns dafür aber auch sehr rasch