Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Anblick sein, auch außer diesen Wänden Menschen, das Bild Gottes, zu erblicken; sowenig die in Pisa es um mich verdient haben.

      Francesco. O Himmel! einen Riß nennst du's, mein Vater? Komm, komm, du sollst Wunder sehn.

      Ugolino. Ha! ist's mehr, als ein bloßer Riß?

      Francesco. Einen Schlund nenn es, mein Vater; wofern man das einen Schlund nennen kann, was den Leib eines Menschen durchläßt –

      Ugolino. Was sagst du, Jüngling? Du treibst mir das Herz an den Hals hinauf! Ha! geschwind laß mich sehn.

      Francesco. (winkt Anselmo) Gib acht, Bübchen, unser Vater wird's nicht nur verstatten: er wird mich drum bitten.

      Ugolino. Hurtig! hurtig! (geht mit Francesco ab)

      Anselmo. Bemerktest du den Übermut unsers Bruders? O Gaddo, es ist ein unerträglicher Gedanke!

      Gaddo. Ein unerträglich süßer Gedanke! Nun kann ich's kaum abwarten.

      Anselmo. Er der Erretter des Gherardesca? Wie wird's des Übermütigen Herz aufschwellen, wenn unsere Mutter mit dem Finger hinzeigt, sprechend: »Seht, dies ist mein Erstgeborner, der seinen Vater, und seine beiden Brüder befreite!« Von uns aber sagt man kein Wörtchen!

      Gaddo. Wenn unsere Mutter das spricht, so wird mir's so lieb sein, als spräche sie es von mir: warum? es gebührt ihm so!

      Anselmo. Allerdings. Aber hätt ich nicht machen können, daß es mir auch so gebührte?

      Gaddo. Schäme dich, Anselmo. Du liebst Francesco nicht, wenn du ihn nicht loben hören magst.

      Anselmo. O Gaddo, ich lieb ihn gewiß mehr, als du: denn ich möcht ihm gleich sein. (Ugolino und Francesco kommen zurück.)

      Ugolino. (schnell auf und ab gehend) Wenn diese Öffnung so tief unten wäre, als sie hoch oben ist! –

      Francesco. Glaube nicht, mein Vater, daß sie zu hoch oben ist. Du wirst die Zinnen draußen an der Mauer bemerkt haben.

      Ugolino. Gram und Alter haben mich schwerfällig gemacht. O Ruggieri! Verworfner! nur einmal dich so unter meiner Hand zu wissen! so dein Schlangenhaar zu ergreifen! so dein Leben an die Spitze meines Fußes zu heften! so dir die höllische Seele aus dem Leibe zu treten!

      Francesco. Königlicher Anblick! was wollt ich drum geben!

      Anselmo. Der Zorn schwellt ihm die Lippen!

      Ugolino. Gib mir Geduld! Gott im Himmel! Gib mir Geduld! Wartet hier, meine Kinder. Ich komme gleich zu euch. (geht ab)

      Francesco. Er wird die Öffnung näher untersuchen wollen. Wenn er sich nur nicht im edlen Grimm seines Herzens auf das Ungeheuer herabstürzt, gleich dem erhabnen Vogel, der sich ins Steintal wirft, wo er einen Drachen erblickte.

      Anselmo. Fürchte das nicht, Francesco. So aufgebracht unser Vater wider Ruggieri ist, so ist er's doch noch mehr wider sich selbst. Mir zwar ein Rätsel.

      Francesco. O es ist ein großer, ein wunderbar großer Geist, der in diesem Manne, unserm Vater, wohnt! Er schmälert seine Verdienste, um sein Schicksal zu rechtfertigen.

      Anselmo. Sie schmälern, die kein Sterblicher zu schmälern wagt? Sie selbst schmälern? Wie kann er's?

      Francesco. Pisa seufzte unter dem Joche eines Tyrannen. Gherardesca stand auf, und rächte die Seufzende.

      Anselmo. War es nicht edel? war es nicht göttlich?

      Francesco. Was war es nicht! Aber nun blies ihm Ruggieri, schon lange sein heimlicher Neider, nun blies ihm der Gesandte des Abgrundes, der, um sichrer zu verschlingen, im priesterlichen Mantel der Religion umherschleicht, der blies ihm den Gedanken ein, Pisas Wohl erfordre einen Beherrscher, niemand habe ein höheres Recht auf Pisas Diadema, als Gherardesca. Gherardesca wagte den kühnen Schritt, den er sich nie verzeihen wird; und Gherardesca ward unglücklich.

      Anselmo. Wußte der Heimtückische ihn so zu verwickeln. Ist das die Welt? Nun, bei der heiligen Mutter Gottes, ich verabscheue sie!

      Francesco. Die Gualandi, die Sismondi, die Lanfranchi, die Buondelmonti, die Cavicciulli, alle seine Freunde und Bewundrer, sie alle verließen ihn. Noch mehr: sie schwuren seinen Fall. So fiel Gherardesca.

      Anselmo. Durch seine Freunde! O es ist unerhört! es ist unerhört! Francesco, wir sind Gherardescas Söhne!

      Francesco. Und ehe der Morgen kömmt, Gherardescas freie Söhne!

      Anselmo. Gib mir deine Hand, Francesco! Bei dieser brüderlichen Hand! gehüllt ins Dunkel dieser schauernden Mitternachtstunde! schwör ich! und so möge lautes Hohngelächter mir auf der Ferse folgen, wenn ich vergebens schwöre! ich will den Namen Gherardesca rächen! rächen! rächen!

      Francesco. Gaddo weint? warum weint mein Gaddo?

      Gaddo. Ja wohl, eine schauernde Mitternachtstunde! Muß ich so was von meinem Bruder Anselmo hören! Geht weg von mir; ihr macht mich fürchten.

      Ugolino. (tritt an die Szene) Ich wollte dir nur sagen, Francesco, daß du nicht weiter daran denkst. Gherardesca soll nicht flüchten, als wär er ein Bandit. Überdem ist der Sprung unmöglich; und unten lauern Kundschafter. (geht ab)

      Francesco. (bestürzt) Eine Donnerstimme!

      Anselmo. Glück zu. Dir verbot es unser Vater: aber ich darf den Sprung wagen, und ich will. Lebe wohl, guter Francesco. Denke du der Donnerstimme nach: unterdes steh ich draußen an der Thurmtüre.

      Francesco. Kundschafter in dieser Totenstunde? In diesem SThurme, der die Erde aus ihren Angeln zu reißen droht? »Wozu Kundschafter?

      Anselmo. Sie sind nicht dumm!

      Francesco. Nein, mein Vater, flüchten soll Gherardesca nicht, als wär er ein Bandit! Noch haben wir Freunde! Dank sei es der Vorsicht! Die Häuser der Ruccellai, der Cerrettieri, und der Cavalcanti sind noch alle auf unsrer Seite. Hast du nicht selbst vor zwei Tagen, in dem Briefe an meine Mutter, den der Thurmwärter zu bestellen übernahm, diese mächtigen Häuser aufgeboten? Und soll der Befreier von Pisa hier im abscheulichen Thurmkerker umkommen? Nein, nein, mein Vater, meine Gegenwart ist unentbehrlich, und Francesco soll dich retten. Nenn ihn ungehorsam, vermessen, wie du willst; Francesco soll dich retten!

      Anselmo. Gib dir keine Mühe: er hat der Söhne mehr.

      Francesco. Komm, Anselmo, du magst mich zurechtweisen, wenn ich an der Mauer herabklimme.

      Anselmo. Und ich soll das Nachsehn behalten? soll ich?

      Francesco. Du bist ein Geck. Die Sache ist zu ernsthaft, um ein Wortspiel daraus zu machen. Erinnere du dich deines Schwurs, mir überlasse den Sprung: so sind wir beide Gherardesca! (gehen ab. Gaddo legt sich auf den Boden nieder)

      Zweiter Aufzug

       Inhaltsverzeichnis

      Anselmo. (läuft zu Gaddo hin) Schläfst du? Daß der Wind mich nur nicht überhole! Hei, beim Sankt Stephan, ich bin flüchtiger, als ein

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