Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 23

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

Скачать книгу

versenkt. Ich kühn?

      Ugolino. Was soll ich sagen? Erstaunen und Bewunderung! Aber wie konnt er? Von dieser Höhe, sagst du? Es war unsinnig! Und doch scheint's mir edel! Nicht wahr, Anselmo, du halfst deinem Bruder?

      Anselmo. Erst küsse mich, mein Vater, daß ich Herz fasse, dir's zu sagen.

      Ugolino. Aber verschweige mir nichts.

      Anselmo. Bei diesem Kuß! es war ein edler Sprung! Freilich! ich war dabei; ich behielt das Nachsehn. Zwar wenn ich neidisch wäre, so gäbe ich vor, der SThurm habe das Beste dabei getan. Es ist wahr, fast schien es, als ob der Wirbelwind die Thurmspitze ganz seinetwegen so tief gegen die Erde neigte. Oder vielmehr, damit ich ihm nicht Unrecht tue, Francesco schien den Orkan, wie der Autor es von der Gelegenheit sagt, an der Stirn zu fassen, und die Thurmspitze hinter sich zu spornen, und auf dem Rücken des Windes davonzureiten.

      Gaddo. O Geschwätz!

      Anselmo. Kurz, mein Vater, um dich nicht zu lange aufzuhalten, Francesco umarmte mich, und empfahl sich Gott –

      Ugolino. Nach Art aller Unbesonnenen, die erst der Vorsehung trotzen, dann ihren Beistand auffordern.

      Anselmo. Ein schwachdämmerndes Licht aus einem der nächsten Häuser half ihm die erste, dann die zweite, dann die letzte Zinne, dann den anstoßenden Giebel erreichen –

      Gaddo. Dröhnt's mir doch bis in die Fußsohlen hinunter!

      Anselmo. Und da ich ihn bald darauf ins Finstre verlor, klirrten Sterne dreimal vom Dach. Ich wiederhol es mein Vater, ich kenne keine lieblichere Melodie, als die mir diese drei Steine machten.

      Gaddo. Sie klirrten! Ein gutes lebhaftes Wort das! Ich weiß kaum, ob ich's dem Rollen nicht vorziehe.

      Ugolino. Wann geschah dies alles?

      Anselmo. Gleich, da du ihm das Denken untersagtest. Wer weiß, ist er nicht gar schon an der Thurmtüre! O ich muß geschwind hinabgucken. (geht hurtig ab)

      Ugolino. (indem er sich die Hände reibt) Ein großer Schritt! Welch ein Jüngling! Hat der Brief an mein Weib gewirkt, und fangen den allzu kühnen jungen Menschen die schleichenden Hunde nur nicht auf, so läßt sich was hoffen, Gherardesca! Ha, Ruggieri! zwei Tage lang ließest du diese Unschuldigen hungern! Ungeheur, das die Hölle von sich ausgespieen hat! Komm's über dein Haupt, Verruchter! Diese zwei Tage sollst du mit einer Ewigkeit büßen!

      Gaddo. Küsse mich auch, mein Vater!

      Ugolino. (ihn küssend) Frisch, mein Gaddo! Du bist ein starker Knabe!

      Gaddo. Kein Wunder! ich träumte einen so nahrhaften Traum! Ach! daß ich ihn wieder träumen könnte! Itzt hungert mich mehr als zuvor!

      Anselmo. (keuchend) Sind sie noch nicht da? ich glaubte sie hier zu finden. (Will wieder abgehen)

      Ugolino. Was ist's?

      Anselmo. Lang sah ich, mit langgestrecktem Halse, durch die Öffnung. Mir war! ich kann dir nicht sagen, mein Vater, wie mir war! Ich dachte, Francesco riefe mir, und ich müßte ihm nach. Da kam's mir plötzlich vor, als säh ich den jungen Antonio Cerrettieri, nebst vielen andern, mit Axten und Hebebäumen längs der Gasse heraufkommen, immer näher, immer näher. Da bückte ich mich mit halbem Leibe vorüber, sah aber immer weniger, immer weniger; und zuletzt sah ich gar nichts mehr. Da hofft ich, sie wären im Thurm, und glaubte, sie hier zu finden. Unten müssen sie doch schon sein. (will abgehen)

      Ugolino. Wohin?

      Anselmo. Gehst du mit, Gaddo? Wir müssen den jungen Antonio an der Tür empfangen.

      Gaddo. Wäre nur die Menge von Stufen nicht! Überdem bin ich eben itzt einigermaßen kraftlos.

      Ugolino. Bleibt hier, ihr Kinder. Ich will selbst gehn. (geht ab)

      Anselmo. (hebt Gaddo in die Höhe) Heida, Gaddo! ich bin trunken von übermäßiger Freude! Du auch?

      Gaddo. Heida! Wenn ich nur erst zu essen hätte!

      Anselmo. Es will nicht recht fort mit dir. Wie nun? Du hängst mir wie Blei am Arme!

      Gaddo. (mit schwacher Stimme) Heida! Mir wird sehr übel!

      Anselmo. Soll ich dich hinlegen?

      Gaddo. Tu es.

      Anselmo. Du bist kränker, als du gestehn willst.

      Gaddo. O mein Herz! (Heftig) Mein Herz!

      Ugolino. (tritt auf) Du hast dich geirrt. Ich höre nichts, als das Geheul der Winde und das Geklatsch des Regens.

      Anselmo. (traurig) Ach! warum mußt ich mich irren! Sie werden doch nun bald kommen? Werden sie nicht, mein Vater? Sieh, Gaddo ist kränker.

      Ugolino. (mit einem Seufzer) Ich denke, mir ist nicht viel besser! (Sieht schüchtern nach Gaddo hin) Anselmo, singe mir das Lied in die Laute, das deine Mutter dich jüngst an ihrem letzten Geburtstage lehrte.

      Anselmo. (singt)

      Stillen Geists will ich dir flehen!

      Weisheit, blick aus deinen Höhen,

      Blicke sanft auf mich herab!

      Leite mich im finstern Tale,

      Quell des Lichts! mit deinem Strahle!

      Sende mir dein Licht herab!

      Um und um von Nacht umflossen,

      Ach! von Schauern übergossen,

      Wall ich bebend an mein Grab!

      Leite mich im finstern Tale,

      Quell des Lichts! mit deinem Strahle!

      Blicke mild auf mich herab!

      Ugolino. Ich danke dir, mein Sohn. Ich wollte dich bitten, es noch einmal zu singen: aber ich bin diesmal zu weich. Geht auf einige Augenblicke heraus, meine Kinder. (Er weint heftig) Doch nein, bleibt. Diese Silbertropfen waren willkommen, ihr Geliebten. Es gibt Augenblicke, da die Natur in einer Art von tauber Fühllosigkeit hinsinkt: es ist nicht Erkrankung; es ist nicht Schmerz: sonst empfände sie; Beklemmung ist Traurigkeit, und ich wollte nicht, daß ihr mich für traurig hieltet. »Schwere« ist das Wort, ihr Kinder: ein mittler Zustand zwischen Freude ohne Namen, und – Ernst ohne Namen. Wie nun? Die Wolke ist noch einmal reif. (Weint wieder) Weint nicht, ihr sanften mitfühlenden Herzen, weint nicht! Die Natur bedarf einer Erquickung. Weint nicht! Ich hoffe dieser herabrollende Tau ist der Bote eines goldnen Morgens. Die Natur bedarf einer Erquickung. Sie scheint einen süßen Schlaf einzuladen; er ist mir willkommen.

      Gaddo. Segne mich, mein Vater! Schon wird mir bänger.

      Ugolino. Gott der Allmächtige segne dich! Gott der Allmächtige segne euch beide! Harrt nicht des Menschen Hülfe, ihr Lieben; vertraut Gott: sein heiliger Wille geschehe! (Im Abgehen) Noch einmal, ihr Unschuldigen, vergebt mir! (Geht ab)

      Anselmo. Du schweigst, Gaddo?

      Gaddo. Was kann ich sagen? Bete für mich. Ich entschlummre.

Скачать книгу