Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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dann die Beine, dann die Schenkel; so stünde ich Torso da: und nun setzte man mir das zackigte Eisen an die Finger, die Hände, die Arme, eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerstieße man mir, nicht aus Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erläge, das mit viel Schweiß herabränne, aber nicht mit Tränen! Wie könnt ich weinen? Man sollte denken, dieser Tod sei schon unterhaltend genug: allein der Erzfeind hat's besser überlegt. Hier würde ich an meinem eignen Fleische leiden: eine Kleinigkeit! Ich soll in meinen Kindern langsam sterben, eine volle Weide an eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erst fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in diesem Sarge hergeschickt werden, du ihr Vorläufer, dem Tode geopfert, aber später zum Grabe reif! O es ist der Hölle so würdig! Doch ich will nicht murren! Aber warum mußten diese Unschuldigen leiden? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen Verführer? womit hatt ich ihn beleidigt? Pisa konnte mich strafen, um Pisa hatt ich's verdient: aber womit um ihn? Ich hielt ihn für meinen Freund; ich hätt ihn lieben können; allein sein teuflisches Herz enthüllte sich mir zu bald. O schändliche Eifersucht über einen dreimal schändlichern Gegenstand! Fürchtete er, daß ich Ruggieri sein könnte, wenn ich Ruggieris Macht hätte? Heimtückischer zähneblöckender Neid! Erstgeborner der Hölle! und Erstgefallner! Aber warum mußt ich durch den großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vorsehung ihm, unter allen Verworfensten der Schöpfung nur ihm – nur ihm – nur ihm – o es verwundet jeden Gedanken meiner Seele! – warum nur ihm ihre Geißel?

      Francesco. Um das Maß seiner Verdammnis ganz vollzufüllen.

      Ugolino. Ist es denn wahr, himmlischer Vater! Doch nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der Vorsicht.

      Francesco. Innerhalb einer Stunde hoff ich's zu können.

      Ugolino. Innerhalb einer Stunde! Glücklicher Francesco! Ich sollte mich dieser Stunde freuen. Wie konnte Ruggieri den menschlichen Gedanken fassen, deinen Tod zu beschleunigen? Es ist wundervoll, ich gesteh es.

      Francesco. Bist du stark genug, meine traurige Erzählung zu hören?

      Ugolino. Ich glaube, daß ich sie hören kann.

      Francesco. Im Taumel meiner Wonne, Pisas Pflaster noch einmal zu betreten, floh ich augenblicklich dem Palaste meiner Mutter zu. Alle Wände hallten von der Wehklage ihrer Frauen. Ich blieb nicht lange im Zweifel. Blind vom Schrecken stürzte ich vor der Schwelle nieder. Als ich erwachte, sah ich das Zimmer voll hagerer hohnblickender Gesichter; Ruggieri war nicht unter ihnen. Ich wollt entspringen, da ich mich umringt sah: allein ich war von ihren Riechwassern, wie sie sie nannten schwindlicht und krank. Man riß mir die Kleider auf; man bot mir einen Becher mit kühlem Getränke dar; ich trank; meine Geister waren verwirrt. Neue Ohnmachten überfielen mich, und da ich endlich die Augen öffnete, herrschte stille Nacht um mich her, ich fühlte mich schweben, in einem engen Raume, und atmete schwerer: wo ich aber war, konnt ich nicht erkennen. Lange vernahm ich nur ein undeutliches Geräusch in meinen Ohren: zuletzt eine Stimme. O diese Stimme! Noch zittre ich. Sie hatte mich versteinert, daß ich den Gebrauch meiner Sinne verlor, bis ich, wie im Traume Gaddo reden hörte.

      Ugolino. Was sagte diese Stimme?

      Francesco. Verlange nicht, es zu erfahren.

      Ugolino. Da ich das Ärgste weiß?

      Francesco. Wahr ist's. »Ich erwarte euch hier unten«, zischelte sie. »Ich will den Thurmschlüssel selbst in den Arno werfen. Was droben ist, gehört der Verwesung: kein lebendiger Mensch soll diese Stufen nach uns betreten. Es müssen noch Schlupfwinkel im Thurm sein«, sprach sie lauter; »verwahrt sie: denn der Thurm ist von dieser Stund an verflucht! ein Gebeinhaus!« –

      Ugolino. Und verflucht die Stimme, die diese Unmenschlichkeit aussprach! O Pisa! Schandfleck der Erde! geschieht das in deinen Mauren? Ich will der unerhörten Bosheit itzt nicht weiter nachsinnen. Es könnte die Weisheit selbst wahnsinnig machen. (Geht gedankenvoll) Sollen meine armen Kinder zu meinen Füßen verhungern? Verhungern? Hast du jemals dies greuliche Wort: »Verhungern!« recht überdacht, Francesco?

      Francesco. Sprich es nicht aus, mein Vater!

      Ugolino. Selbst Verhungern zu milde! Verhungern sehn! Meine Kinder verhungern sehn! Und dann verhungern! Das ist das große Gericht! Und bin ich! ich Gherardesca! ich der Sieger! ich, der ich einen Fürsten zu ehren schien, wenn ich ihn meiner Rechten an meiner Tafel würdigte! bin ich be stimmt den Tod des Hungers zu sterben? Doch stille! Ich will, ich will des Schändlichsten, o dieses Schändlichsten Frevelstücke nicht nachsinnen! Aber ach! wie bedaure ich dich, mein Francesco!

      Francesco. Mich?

      Ugolino. Dich. Hast du mir alles erzählt?

      Francesco. Alles, alles.

      Ugolino. Keinen kleinsten Umstand verschwiegen?

      Francesco. Keinen. Verlaß dich drauf.

      Ugolino. Überlege es wohl.

      Francesco. Keinen, keinen, mein Vater; nicht den mindesten.

      Ugolino. So bedaure ich dich! Bei allem, was heilig ist, ich bedaure dich!

      Francesco. Du setzest mich in Verwundrung.

      Ugolino. Was für Grund hattest du, zu hoffen, daß der Becher, den man dir reichte, ein Giftbecher sei?

      Francesco. Er kam von Ruggieri. Was konnt er sonst sein?

      Ugolino. Siehst du? Du trautest Ruggieri Menschlichkeit und Gefühl zu. Nein, nein, mein Sohn, es war ein Erquicktrank; ich kenn ihn besser.

      Francesco. Ha! wenn dem so wäre! ich dürfte mit meinem Vater ganz ausdulden! gewürdigt sein, ihn zu trösten und zu ermuntern! die Stütze seines reifern Elends! der Teilnehmer seiner Leiden! Ach ich wäre beneidenswürdig! Ich kann's nicht glauben!

      Ugolino. Francesco, was du mir itzt sagst, ist der empfindlichste Vorwurf, den mir je ein Sterblicher gemacht hat.

      Francesco. Ich zittre.

      Ugolino. Wie sehr hab ich dich verkannt! Dein Herz ist ein erhabnes Herz, Francesco! Ich bewundre dich. Ich betrachte dich mit Entzücken.

      Francesco. Nur dein Herz ist erhaben, mein Vater. Ich bin eigennützig. Doch wage ich nicht, es zu hoffen. Mein Leben neigt sich; ich fühl es zu sehr.

      Ugolino. Überreste deiner Ohnmacht – Du warst in einen Sarg gepreßt.

      Francesco. Gesegnet, gesegnet seist du mir, bester Vater! Du machst mich noch einmal glücklich!

      Ugolino. Laß uns diese Unterredung abbrechen, du große Seele; sie rührt mich zu sehr.

      Francesco. Wollen wir jenen Sarg nicht entfernen, der itzt meine Augen nur ärgert? Ich hoff ihn noch lange nicht zu bewohnen.

      Ugolino. Ich bin's zufrieden. (sie tragen Francescos Sarg ab)

      Vierter Aufzug

       Inhaltsverzeichnis

      Ugolino. Bin ich endlich allein? (Er schiebt den Sargdeckel ab) Hier war ich König! Hier war ich Freund und Vater! Hier war ich angebetet! Ich heischte mehr. Ich wollte Sklaven im Staub meines Fußtritts sehen; und so verlor ich

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