Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 28
Francesco. Er redet vom Sarge, und seine Geister scheinen sich zu sammeln. Beruhige dich, Anselmo; ich bin dein Bruder Francesco, und ich lebe.
Anselmo. Wohl dir, daß du lebst! Draußen, ach weh! drohn die Gefahren! man kann dir nicht schuld geben, daß du ihnen nicht zeitig genug ausgewichen seist. Willkommen, Thurmspringer! Sicherheit ist die Blume des Lebens.
Francesco. Ich vergebe dir den Spott. Thurmspringer nennst du mich? Wollte Gott, ich hätte den unseligen Sprung nicht gewagt! Alles wäre gut gewesen! Keins unter euch hätte viel gehofft, noch viel gefürchtet! Wie wund muß euer Gefühl sein! Wie sehr vergrößert sich meine Übereilung! Vergib mir, mein Bruder, o vergib mir! die Absicht war nicht unedel.
Gaddo. (ruft) Francesco!
Anselmo. Gut! sei gerichtet nach deinen Taten! (er geht auf und ab, bald schnell, bald langsam)
Gaddo. Francesco!
Francesco. Was verlangt mein Gaddo?
Gaddo. Sei mein Fürsprecher, Francesco. Ich bin dir auch gut.
Francesco. Bei wem, du geliebter Gaddo? Sprich.
Gaddo. Bin ich dein geliebter Gaddo? Ich frage nicht umsonst.
Francesco. Ja! Gott weiß es!
Gaddo. Ach! Jedermann liebt mich, und ich liebe jedermann, und doch hilft mir keiner. Hilf du mir, geliebter Francesco. Vertritt mich bei Anselmo; du giltst viel bei ihm.
Francesco. Worin, Gaddo, worin soll ich dich vertreten?
Gaddo. Erst bitt ich dich, mir eine Zechine zu leihen.
Francesco. Eine Zechine? wozu die?
Gaddo. Ich habe viele Zechinen unter meinen Sparpfennigen: sie sollen alle dein sein. Ich bitte dich nur um eine.
Francesco. Hier hast du sie, Gaddo.
Gaddo. Nimm diese Zechine, und überrede Anselmchen, daß er mir ein einziges Ei aus den vielen Nestern gebe, die er mir kurz vorher schenken wollte: sollt's auch nur so viel sein, als ein Hänflingei.
Francesco. Du sprichts mir Rätsel.
Gaddo. Ich will die Auerhähne gerne entbehren, die uns dein Sprung vom Thurme verschafft hat: itzt brauche ich nur ein einziges Hänflingei. Tu es Francesco, aber bitte ihn höflich, daß er dir's nicht abschlage.
Francesco. Schöne Folgen des Sprungs vom Thurme! Ich war nicht allein ein Tor; ich war auch ungehorsam: allein, o Himmel! die Strafe ist hart! Vergib auch du mir, mein Gaddo! Und doch mit welcher Stirne kann ich's wünschen?
Gaddo. Ein Ei würde mich retten! Ein Hänflingei! Bedenke, Francesco! Kannst du mir ein Hänflingei versagen? O lieber Gott! Gib mir die Zechine zurück: ich will Anselmo selbst bitten. Ich wollt ihm zu Füßen fallen, wenn ich könnte: allein ich kann mich nicht regen. (Francesco gibt ihm die Zechine, und geht mit aufgehobnen Augen ab) Anselmo! großmütiger Anselmo! mein Bruder!
Anselmo. (auffahrend) So ist's recht! Laßt die Hörner tönen am hallenden Fels!
Gaddo. (sanft bittend) Anselmo! mein Bruder Anselmo!
Anselmo. (rauh) Wer ruft? Hei! wer ruft denn da? wer ruft? wer ruft?
Gaddo. (erschrocken) Ich wenigstens bin hier der Rufende nicht!
Anselmo. Du da auf dem Stroh, ich habe zu tun!
Gaddo. (streckt die Hände aus, und legt sich seitwärts)
Anselmo. Hinweg! (Er pfeift) Hinweg! in meinem Kopf sollst du mir nicht spinnen! (Pfeift wieder) Hinweg ich verbanne dich auf ewig aus meinem Kopf! (Macht eine Bewegung mit der Hand) Nun, wie steht's, ihr im silbernen Gewande, unsterbliche Töchter des hohen Oceanus! haben wir das Wild? Mit diesen Nägeln will ich's zerreißen; mit diesem Gebiß will ich's zermalmen; so, so, so will ich das Wonneblut trinken! Schnaubend stürzt der Tiger vom Abhang; sie haben ihm seinen Raub entwandt; springt zischend hoch auf, wittert in den Wind, zerstiebt mit langgestreckter Klaue den Fußtritt des Schnellen im glutroten Sand, Grimm knirscht in seinen Zähnen, Hunger sprüht heiß im Aug: umsonst, Tiger, am Bart des Jägers glänzt's! Ich will mich an diesen Abhang setzen. Durch diese Felsritze kann ich die Tigerkatzen über mir, und von die ser Höhe die Marder unter mir spähen. So will ich euch den Fang ablauschen, ihr Räuber! Meine Hühnchen nisteten am Sumpf, wo der Marder mit gesenkten Ohren hinabschleicht. Weg sind sie! Stoßt ins Horn, Müßige! stoßt ins Horn! stoßt ins Horn! (singt)
Der muntre Jagdzug schwebet
In blauer Luft!
Roß, Hund, und Jäger drängt sich
Daher, dem Himmel nah!
Hab ich den Dieb? Langöhrigter! laß deine Stimme hören! (Er billt) Ho! ho! ho! Dieb siehst du den Pudel nicht?
Gaddo. Was ist das?
Anselmo. Sei gegrüßt, Endymion. Wir haben gute Weile. Kannst du einen Wettgesang singen?
Gaddo. Ich singe wenig, Anselmo.
Anselmo. Was schadet's? Wir wollen einen Wettgesang singen.
Gaddo. Ich kann kaum reden, Anselmo; und sollte singen?
Anselmo. Singe, Träger, oder bei jenem hinhangenden Monde! ich zerstoße dich mit dem Felsbruche!
Gaddo. Wie, Anselmo, du weißt, daß ich nicht singen kann.
Anselmo. Singe!
Gaddo. Ich singen?
Anselmo. Singe!
Gaddo. Ich, der ich weinen möchte, wenn ich könnte?
Anselmo. Singe weinend! Singe!
Gaddo. Nun denn, Anselmo, ich will singen: aber mein Hals ist roh und heiser. Schenke mir, wenn ich bitten darf, ein kleines Hänflingei, oder ein Zeisigei, wie es dir am nächsten zur Hand ist, um meine Stimme zu bereiten.
Anselmo. (beiseite) Was gilt's, dies ist der Marder, der mir die Eier austrinkt! Durch seine Larve hindurch erkenn ich den tückischen Heuchler! Er ist's! bei meinem Leben! Ich will ihn ausfragen.
Gaddo. Aber schenke mir's bald, Lieber: meine Stimm ist vertrocknet.
Anselmo. Gut! gut! du möchtest also ein Hänflingei haben?
Gaddo. Ich will's nicht leugnen.
Anselmo. Oder ein Zeisigei?
Gaddo. Ach ja!
Anselmo. Hem! wäre dir nicht mit einem Hühnerei gedient?
Gaddo. Das wäre zu viele Güte.
Anselmo. Ei ja, nimm ein Hühnerei.
Gaddo. Ich danke.
Anselmo. Es ist ein frisches Ei, eins von den besten, die ich in meinem Stall