Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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unsre teure Mutter zu sagen. Jenseits ist die Aussicht!

      Gaddo. Engel Gottes! der du mich hier abfordern wirst, laß ein Blümchen unter meines Vaters Füßen aufblühen! (Mit schwächrer Stimme) ein geknicktes kleines Blümchen! (Küßt seines Vaters Füße) So blühe mein Leichnam!

      Anselmo. Getrost, schöner Sterbender! Das Leben ist der Tränen nicht wert! Was sagte unsre Mutter Ops? Sicherheit blüht nicht unter der Sense des Göttervaters! Jenseits ist die Aussicht!

      Ugolino. Ihr Mütter der Kinder und Säuglinge! ihr Weiber mit zartfühlenden Herzen! Menschengeschlecht! heult zum Mond auf! heult zu ihm auf, der höher, als der Mond, ist! zu ihm, der eure Wehklage hören kann! Klagt's dem Allwissenden, daß dies Los ein Los der Kinder und Säuglinge ist! Und du, blasse Bewohnerin dieses Sarges! (Kniet vor den Sarg hin) Heilige unter den Heiligen! Verklärte am Thron! wenn du auf mich herabsiehst! durchschaue die Leiden deines Ugolino!

      Anselmo. Armer neugeborner Unglücklicher! umsonst! der Alte hat seine Zähne gewetzt, und du mußt sterben!

      Ugolino. Wenn er stirbt; wenn der Unschuldige stirbt! für eure Verbrechen stirbt! Hungers, Hungers! stirbt: o Ugolino! o Ruggieri! wo ist eine Verdammnis, die euch Grausamen, euch wider diese duldende Unschuld Verschwornen! nicht gebührt?

      Anselmo. Mit Verwünschungen spricht er das Todeslos über dich aus! Aber deine gebrochenen weißschimmernden Augen reden eine Sprache! und wohl mir! daß ich sie verstehe!

      Ugolino. (nimmt Gaddo in seine Arme) Ich lasse dich nicht, Engel! nicht aus meinem Arme sollst du mir entschlüpfen! Ringender! willst du die Hölle auf deinen Vater herabrufen?

      Anselmo. So! reiß ihm das Herz aus dem Leibe! Frisch! Nun hast du's! Dies Zucken kenn ich. Fahre wohl, schöner Knabe, fahre wohl!

      Ugolino. Verderben komm über mein Haupt! (lässt Gaddo fallen, und tritt zurück)

      Anselmo. Frisch! du Vater deiner Kinder! wohltätiger Saturnus! diesen hast du gewiß! Aber warum scheu? warum bleich und mit entstelltem Antlitze? warum wendest du deine gelben Blicke? warum nagst du deine Hände? Will er sein Fleisch von seinem Gebein abnagen, seinen Hunger zu stillen? Sieht er mich denn nicht? Ich bin ja der einzige Übriggebliebne? Ich kann ihm nicht entschlüpfen, und ich will nicht! Er nagt an seinem Fleisch! Beim Styx! große Schweißtropfen fallen von der Stirn auf die zernagten Hände Saturns, des Niedergebeugten! Kann er mich nicht abmähen? Warum säumt er? Oder soll ich mein Fleisch ihm darbieten? So will's die kindliche Pflicht! Ich soll mein Fleisch ihm darbieten! Ich fühle mich von Mitleiden und Erbarmen durchdrungen, diesen Alten so ungewöhnlich hungern zu sein. Ich weiß auch, was Hunger ist! Nein, ich kann's nicht ausstehn! (Er hängt sich an seines Vaters Arm) Mich! mich! mich verzehre, du eisgrauer Alter! Sieh, dein einziger Zurückgebliebner lebt! Mir laß das Verdienst, deinen Hunger zu stillen!

      Ugolino. (in einer Art von Betäubung) Ruggieri! Ruggieri! Ruggieri!

      Anselmo. Schwer liegt die Hand des Schreckenden an meinem Nacken! Gott der Götter! du, den ich in der Angst meines Todes – Es ist Ugolino! (er sträubt sich im Arme seines Vaters)

      Ugolino. Oh! hab ich dich so in meinen Armen! Schuppigtes Ungeheuer! hab ich dich endlich in meinen Armen! Nun winde dich, Hyder! umflicht meine Schenkel! umflicht meine Arme! Gherardesca soll mit männlicher und mit nervigter Faust auf dich treffen! Schuppigtes vielköpfigtes Ungeheuer! Siehst du? ha! siehst du? ha! siehst du?

      Anselmo. (flieht)

      Ugolino. (streckt den Arm nach ihm aus und schlägt ihn zu Boden) Also treffe dich –

      Anselmo. (jammert in seinem Blute)

      Ugolino. Der Sterbenden Geschrei! der Kinder Wehklag im Leichengefild! das Gewinsel der Weiber und ihrer Säuglinge! o Sieger Ugolino! Alles wieder still! Kein Hauch mehr in der Luft! Keine Kühlung um meine Schläfe! und mir ist besser! Doch meine Augen sind mit Blindheit geschlagen! Wo find ich meine Laute? (nachdem er einige Griffe auf der Laute getan, wird eine sanfte traurige Musik gehört)

      Ist's Ruggieri, der Leichenbestatter? Diese Harmonien schweben nah um den HungerThurm. Oder seid ihr's, ihr wenigen Rechtschaffnen, die ihr unter Ugolinos martervollem Kerker weinet? (die Musik fährt fort)

      Francesco ist am Gift gestorben, sagst du? was ist's mehr? Wär er vom Schwert, vom Dolch, vom Beil gestorben, würd er weniger tot sein? Lern es, mein Sohn, Vergiften, Ermorden, Hinrichten ist ein heiliges Vergnügen: es ist ein bischöfliches Vergnügen! Wie ist das? Bin ich hier allein? Wer dieser Jüngling an der blutigen Mauer?

      (Anselmo schreit, da sein Vater sich ihm nähert. Dieser fährt voll Entsetzen zurück)

      Verflucht sei das Weib, das mich gebar! Verflucht die Wehemutter, die das Wort aussprach: »Der Knabe lebt.«

      Anselmo. Nur verzehre mich nicht, du hungernder Vater! nur mich Lebenden nicht!

      Ugolino. Und hab ich – O Furchtbarster in deiner Rache! Hier liege, Mörder! (Er wirft sich heftig neben Anselmo hin) Hier weihe dich der Erde auf ewig! (Er spreitet seine Arme über den Boden aus. Die Musik fährt fort)

      Anselmo! (wehklagend) einst mein Anselmo! einst Freude und Labsal meiner Augen! Dein Vater ist's, der dich ins frühe Grab sandte. Die Klage des Mörders eilt von einer Leiche zur andern. Fluch ihm! Sie wird's ewig!

      Anselmo. Dich, Hungertod, werd ich nicht sterben. Heil ihm!

      Ugolino. Auf mich rausche daher! Hungertod daher! Ich bin müde und lebenssatt! Hier sollst du den morschen Gebeinbau finden. Hier zerstieb er, bis die Gerichtsposaune diesen Staub, und diesen, und diesen, und diesen erweckt! Hier vermisch er sich mit der Verwesung der Unschuldigen, die hier, hier, und hier, und hier um mich her zerstreut liegen! Und Pestilenz, Pestilenz, du Verwesungsluft der Gherardescas! sei jedem Pisaner, der dich eintrinkt! Mit diesem Vermächtnis –

      Anselmo. (indem sich die Musik entfernt)

      Wonnegesang! Wonnegesang!

      Nicht im Tale des Tods Wonnegesang?

      Ugolino. Ich hebe meine Augen zu Gott auf! Meine zerrißne Seele ist geheilt. Mit diesem Vermächtnis – mit diesem Vermächtnis – Himmel und Erde! eines Verhungernden! langsam, langsam, unter jeder Gewissensangst! Was? Tage- und nächtelang angestarrt von jenen weitoffnen Augen deiner Erschlagnen und auch Verhungerten? was? Nein! nein! nein! bei allen Schauern des Abgrundes! nein! Ich will es nicht aushalten! beim allmächtigen Gott! ich will nicht! (Er hebt sich gählings, wie um gegen die Mauer zu rennen) Du im Himmel! (Fährt aber plötzlich zurück) Ha! (Mit zum Himmel gehobnen Augen) Mein Herr und mein Richter! Ha, Ugolino! noch lebst du! noch – lebst du! klein zwar nun, und nun dir verächtlich, und nun unwürdig des Prüfungstodes! Aber ich lebe! Schwur ich's? bei dem allmächtigen Gott schwur ich's? O Schwur, wie ihn nie die Verzweiflung geschworen hat! Drei Tage dieser Dämmrung, Ugolino! drei Nächte dieser Dämmrung! Diese Felslast auf meinem Herzen? sie nicht abwälzen? Ja, es ist schwer! Oder Jahrtausende jenseits in der Finsternis der Finsternisse? Jahrtausendelang an allen Wänden aller Felsen meine Stirne zerschmettern? Wehe mir! in jeder schamvollen Erinnerung meiner unsterblichen Seele sterben? und wieder leben? und wieder sterben? Ach! es ist graunvoll! Jahrtausendelang in der schwarzen Flamme des Reinigers? und neue Jahrtausende lang? und vielleicht eine Ewigkeit lang, hinzitternd vor dem furchtbaren Antlitze des Rächers? Und wie würde der mitverdammte Pisaner die Zähne blöcken! Wie würde der Mitverdammte die Zähne blöcken! Vergib mir! vergib mir,

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