Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Anselmo hält ihn in seinen Armen) Gute Nacht! Hier will ich besser ruhn. Jetzt verlaß mich! (Indem er Anselmo mit der Hand winkt, wegzugehen)

      Anselmo. Nicht also! Ich habe noch nie einen Sterbenden gesehen. (Nach einer kurzen Pause) Ist das Sterben? Betracht es wohl, Anselmo! Ist das Sterben? Gott sei mir gnädig!

      Francesco. Er hat mich ergriffen – Gott! Gott!

      Anselmo. Erbarmer! Erbarmer! Erbarmer! Noch windet der Wurm sich? Noch? Noch? Wehe mir! Sterben ist grauenvoll!

      Francesco. (streckt den Arm gegen Anselmo aus, und stirbt)

      Anselmo. (schlägt sich vor die Brust, und entfernt sich schnell) Er ist dahin! mit ihm meine Entschlossenheit. Sterben ist grauenvoll! Geboren werden ist auch grauenvoll! Dies Rätsel ist mir zu fein. (Er betrachtet den Leichnam) Wer nennt den Tod ein Geribbe? Ich hab ihn gesehn: sein Fleisch ist Sehne, seine Knochen sind gegoßnes Erz. Ein vollblütiger breitschultrigter Mann. Francesco rang mit ihm, es ist wahr: aber Francesco ist der Kraftvolleste der krotonischen Jugend. Francesco hat einen Stier an den Hörnern zu Boden gestürzt: allein dem erhabnen Fremdling erlag Francesco. Ich bewundre den Bau seiner Glieder. Wenn dieser Jüngling in der Schlacht gefallen wäre: welch ein Mahl für die Adler! Hier ist liebliche Speise! Hier ist Vorrat! Jupiter ist parteiisch. Den Raubvögeln gibt er im Überfluß; Menschen darben. Husch! warum nenn ich ihn parteiisch? Sorgt er nicht für mich, wie für die jungen Raben? Ladet er mich nicht ein? Nein! hier widersteht etwas! In meinen Herzen empört sich's, und ruft: Iß nicht Anselmo, iß nicht von diesem Fleische. Ein guter Rat! dies Fleisch könnte mir schaden; es ist vergiftet. Hieher winkt der Versorger. Ein offner Sarg, der einen weiblichen Körper voll himmlischer Schönheit für mich aufbewahrt! Soll ich? Glück! soll ich? Ich folge dir, Glück! Meine Zähne knirschen! Der Wolf ist in mir! Ha! verwünscht will ich sein, wenn ich dieser Weibsbrust schone! (Indem er sich über den Sarg erhebt, fällt der Deckel)

      Ugolino. Tiger! in deiner Mutter Busen wolltest du deine Zähne setzen? Du greinst? Du bist deiner Mutter Sohn nicht, du Ungeheuer!

      Anselmo. Woher dieser Starke? Der Tod kann er nicht sein: er ist hager und bärtig.

      Ugolino. Wenn Ruggieri dies sähe! dies hörte!

      Anselmo. Er droht mir!

      Ugolino. Der Mensch ist Mensch; mehr nicht, Herrscher im Himmel! deine Lasten sind zu schwer! Was hab ich nicht erlitten! Könnt ich, wie das morgenländische Weib, eine Marmorsäule dastehn, so wollt ich zurückschaun! O nun beb, Erde! nun brüllt, SThurmwinde! nun wimmre, Natur! wimmre, Gebärerin! wimmre! wimmre! die Stunde deines Kreißens ist eine große Stunde!

      Anselmo. Dies Weib war meine Mutter!

      Ugolino. Dies Weib war deine Mutter, du mit dem dreifachen Rachen!

      Anselmo. (indem er sich mit geballter Faust vor die Stirne schlägt) Dies Weib war meine Mutter!

      Ugolino. Gorgo! was hast du getan!

      Anselmo. Hunger! Hunger! Ach er wütet in meinem Eingeweide! er wütet in meinem Gehirne!

      Ugolino. Du Greuel meiner Augen! der du wie ein bösartiger Krebs deiner Mutter Busen zernagst!

      Anselmo. Unmenschlich! o unmenschlich!

      Ugolino. Wenn der Sohn mit dem Gebiß einer Hyäne am Fleisch zehrt, das ihn gebar: o ihr Elemente! so sei der Krieg allgemein! Sulfurisches Feuer zersprenge den Schoß der Mutter Erde! der Abend verschlinge den Morgen! die Nacht den Tag! ewiger chaotischer stinkender Nebel die heilige Quelle des Lichts! Hebe dich weg von mir, Abart! Du triefst von dem Blute deiner Mutter! sei unstet und flüchtig! Die Rache zeichnet dich aus!

      Anselmo. (wirft sich auf Francescos Leichnam) Verbirg du mich dem Grimme meines Vaters, brüderlicher Busen! Bei den Toten will ich Schutz suchen: denn ach! die Lebenden sind furchtbar!

      Ugolino. (indem er Francescos Leichnam sieht) Sie ist da, die feierliche Stunde! die mächtige! die prüfende! sie ist da! Nun, Gherardesca! Nun, wenn du ein Mann bist! Die entscheidende feierliche Stunde ist da! Wann ward dieser erste Ast vom Stamme gerissen? Das Schrecken hat den unglücklichen Knaben getötet. Warum zürnt ich? O Himmel! Er wußte wohl nicht, was er tat. Anselmo! mein Sohn Anselmo! Du ängstigest mich! Sohn des Entsetzens! ach! bist du der dritte dieser Leichname?

      Anselmo. (seines Vaters Knie umfassend) Sei milde! schone! schone!

      Ugolino. (ihn aufrichtend) Betrübe mich nie wieder so!

      Anselmo. Nie! oder du magst mich zertreten, wie einen Skorpion. Ein reißendes Tier billt in meinem Eingeweide! ich will mit ihm kämpfen! kämpfen will ich mit dem reißenden Tiere! Aber ach! mein Vater! warum muß Gaddo hungern? Dich hungert nicht, sagtest du: warum soll dein Gaddo hungern? Betrachte Gaddo, mein Vater!

      Ugolino. Kann ich den Hülflosen sehn, den ich nicht zu retten weiß? Lieber will ich diesen Entbundnen sehn!

      Anselmo. Dieser Entbundne ist Francesco.

      Ugolino. Und diese im Sarge ist deine Mutter. Zweene sind hier Leichname der Toten: drei tappen noch an ihrer Grabstätte. Francesco verließ mich schnell.

      Anselmo. Er starb in meinem Arme.

      Ugolino. Der Großmütige! Ich sollt ihn nicht sterben sehn! warum sah ich ihn gestorben! Hier ist keine Erquickung! Nirgend ein Winkel, der mir nicht einen Gegenstand des Grauens darbeut. So weit die Schöpfung reicht, ist kein Ort, von dem der Erschaffende seinen Blick abwandte, als der Ort der ewigen Finsternis, und dieser!

      Anselmo. O sieh! sieh! mein Vater! Gaddo bewegt sich herwärts. Was ist dem Kinde?

      Ugolino. Daß ich mit Blindheit geschlagen wäre! mein Auge nichts sähe! mein Ohr nichts hörte! Sind alle Leiden der Erde in eine einzige Stunde zusammengedrängt?

      Gaddo. (kriecht zu seinem Vater hin, dessen Zipfel er faßt) Nur ein Brosämchen, mein Vater! nur eins! oder ich sterbe zu deinen Füßen!

      Ugolino. (zitternd) O Gott!

      Gaddo. Ach, Anselmo! hilf mir meinen Vater erbitten! Der Tod sitzt auf meinen Lippen: warum soll ich Hungers sterben?

      Anselmo. (den andern Zipfel anfassend, und gleichfalls knieend) Um deiner Liebe willen! laß Gaddo nicht Hungers sterben!

      Gaddo. Schier verschmacht ich! bin doch nicht vaterlos, noch mutterlos! Gib mir, daß dein Vater im Himmel dir's wiedergebe!

      Anselmo. Da dich selbst nicht hungert, o Versorger! gib Gaddo von deinem Vorrate! Laß den Wolf hungern. Der Wolf mag hungern. Laß den schändlichen Anselmo hungern. Der schändliche Anselmo mag hungern. Aber o du mit der finstern Stirne! warum dieses fromme, sanftmütige, schweigende Lamm?

      Gaddo. Schon ein halber Bissen wird mir das Leben retten! ja die Hälfte eines halben Bissens wird mich retten!

      Anselmo. Als der Mangel ferne von uns war, strömten die Schätze des Gottes wie ein Sommerregen herab! herab auf den gierigen Adler! herab auf das idäische ambrosiaduftende Kind!

      Gaddo. (indem er kraftlos zurücksinkt) Hier will ich mein Leben ausschmachten! hier auf dieser Stelle! Den Trost soll man mir doch nicht nehmen, daß ich zu meines Vaters Füßen sterbe. (Mit gebrochner Stimme) Gott segn' ihn!

      Ugolino. Mark und Bein kann es nicht aushalten! (er sinkt bei seinen Kindern zu Boden)

      Anselmo.

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