Inselromane. Julia Meier

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Inselromane - Julia Meier Beiträge zur nordischen Philologie

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die bei Schnabel nicht vorkommt, hat den Mord beobachtet und wird deswegen von Lemelie beinahe erwürgt, worauf sie ihn einige Tage später tödlich verwundet. Während er in den WF sterbend eine Beichte seines lasterhaften Verbrecherdaseins ablegt, hat er in den IS sein Leben niedergeschrieben: „Ich bin auch Schriftsteller geworden“, und fordert die andern auf, seine Geschichte zu lesen (IS IV: 53). Diese ist im Vergleich zu Schnabels Pendant sehr stark ausgeweitet und vor allem in einem realen geschichtlichen Kontext verortet, denn Lemelie wird in Paris zur Zeit der blutigen Hugenottenkriege geboren. Die Grausamkeit dieser Religionswirren dient ihm als Apologie seiner Freveltaten: „[…] wie ich es getrieben, haben es Viele getrieben, und die meisten meiner Zeitgenossen waren ärger als ich“ (IS IV: 53). Laut seiner Erzählung war er an der Ermordung Heinrichs IV. beteiligt, denn er stiftete Franz Ravaillac zum Königsmord an. Nach der detailliert geschilderten, äusserst brutalen Hinrichtung des Königsmörders verlässt Lemelie Paris, begeht in Florenz einen bestialischen Mord an seinem eigenen neugeborenen Kind und unterschreibt mit dessen Blut einen Pakt mit dem Teufel. Er bereichert sich durch Geldspiele, geht als Freibeuter zur See, wird bei einer Meuterei gehängt, kommt dennoch mit dem Leben davon, was er dem Teufelspakt zuschreibt, und gelangt schliesslich nach Kopenhagen, wo er das Schiff ausrüstet, mit dem van Leuven und die Seinen nach Ostindien reisen wollen. Hier endet sein Manuskript; den Rest seiner Verbrechen, die Ermordung van Leuvens und den Mordversuch an Minga, beichtet er mündlich; dabei sieht er immer den Teufel im Spiel, von dem er nun auch geholt wird, wie er glaubt, und sich eine Todesszene ausmalt, wie man sie in Anklängen aus dem Faustbuch kennt: „Dann greift er [der Teufel] uns beim Genick, zerschmettert den Gehirnkasten gegen den Fensterpfosten, verschwindet mit der verdammten Seele […]“ (IS IV: 110), und wie Faust schreit auch er um Hilfe, ehe er den Geist aufgibt (IS IV: 110).15

      Albert und Concordia trauern um van Leuven, und wagen längere Zeit nicht, einander ihre Liebe zu gestehen. Albert sucht nach einem Zeichen, dass Concordia ihn liebt, und erinnert sich dabei an ein Gedicht, das sie einst geschrieben hatte, als sie ihn tot glaubte, weil er von seinen Inselerkundungen lange nicht zurückkehrte. Sie hatte es damals zerrissen, ohne es ihm zu zeigen. Die Gedichtfetzen sind durch einen „tiefe[n], schmale[n] Riss“ gefallen, aus dem er sie jetzt herausholt, indem er seinen „Stab“ in die Ritze steckt: „Ich klebte ein wenig Wachs an meinen Stab, und so langte ich gemächlich alle Papierfragmente herauf“ (IS IV: 132). Die sexuell konnotierte Aktion fördert schliesslich eine Liebeserklärung an Albert zutage, die Concordia – noch zu Lebzeiten van Leuvens – in Gedichtform verfasst hatte, womit sie sich, nebenbei gesagt, auch als Dichterin erweist. Wie die genussvolle Verzögerung eines Sexualaktes wirkt es, wenn Albert sich „nicht übereilen, sondern den schönen Spaziergang durch den Garten zu Paphos Schritt vor Schritt machen [will], wohl wissend, dass eben die Umwege […] am schönsten zum Ziele führen“ (IS IV: 134). Dieser „Garten zu Paphos“16 wird mit Paradiesvorstellungen assoziiert, denn Concordias „dänische Handschuhe“17 schmiegen sich „wie feine Häute um die schönsten Schlangen“ (IS IV: 137). Ihre Unterrichtsstunde im Lautenspiel erscheint mit der Erwähnung des „Fingersatzes“, den sie Albert lehren will, indem sie ihm „gerade auf den Leib [geht]“, und seine Finger „zurecht auf die Saiten“ setzt, als maskiertes Sexualspiel (IS IV: 138–139).

      Sie feiern Hochzeit, aber nicht nach dem strengen Ritual aus der biblischen Tobiasgeschichte wie in den WF,18Neville, Henry sondern mit einem Lied, das Albert für den Anlass dichtete19Neville, Henry und das er Eberhard nun zu lesen gibt; es bildet den Schlusspunkt von Alberts Erzählung.

      Der auktoriale Erzähler ergreift wieder das Wort und schildert die Ereignisse nach der Ankunft Eberhards und seiner Gefährten auf der Insel Felsenburg. Dazu gehören der Bau einer Kirche und die Lebensgeschichten von Litzberg und Lademann, Eberhards Liebe zu Cordula, der Urenkelin van Leuvens und Concordias, die Ankunft von Eberhards Vater auf der Insel Felsenburg, und schliesslich Alberts Tod, der ein allmähliches Erlöschen ist, währenddessen Albert sein ganzes Leben mit allen wichtigen Personen in einer Traumvision an sich vorbeiziehen sieht. Nach seinem Tod verändert sich das Zusammenleben auf der Insel: Es bilden sich Parteien, und Streitigkeiten entstehen, da Cordulas Vater, Robert Hulter, auf seine Adelsabstammung als Nachfahre van Leuvens pocht. Der Zwist wird kurzfristig unterbrochen, als sie von portugiesischen Schiffen aus bombardiert werden (IS IV: 267). Die Felsenburger vermögen sich zu wehren, wissen aber, dass ihre Unabhängigkeit bedroht ist, umso mehr, als ein Erdbeben den schützenden Felsgürtel der Insel teilweise zerstört hat, so dass sie nicht mehr uneinnehmbar ist. Weiteres Ungemach kündigt sich an, als Eberhard einen Nebenbuhler erhält, der ebenfalls Cordula heiraten will und von ihrem Vater favorisiert wird. Der Rivale entführt Cordula nach Europa, und Eberhard reist ihnen nach. Er findet nach verschiedenen Wirren und märchenhaft anmutenden Begebenheiten Cordula, die Shakespeare-Shakespeare, WilliamNachfahrin, in Stratford wieder und kehrt mit ihr zurück; statt der Insel Felsenburg erreichen sie Klein-Felsenburg, wohin ihre engsten Freunde, samt Hanna Hellkraft, sich zurückgezogen haben, und wo verschiedene Spuren von Wikingern entdeckt werden, welche einst Klein-Felsenburg bewohnt und im Untergrund einer Felsengrotte einen Tempel mit nordischen Götterstatuen errichtet hatten; ausserdem werden Silberplatten gefunden, auf denen die Wikinger ihre eigene Geschichte in isländischen Versen eingraviert hatten. Die verschiedenen Zeitebenen des Textes werden so um eine in Raum und Zeit tiefer liegende Dimension erweitert, was dazu führt, dass das ganze Romangeschehen auf einem nordischen Fundament fusst. Mit einem im Wortsinn vielschichtigen Schlussbild endet der Roman.

      Wie aus der Inhaltsangabe hervorgeht, ist die augenfälligste Neuerung in Oehlenschlägers Roman die Ausrichtung des gesamten Textes auf eine zentrale Positionierung der Kunst hin. Diese Fokussierung wird in erster Linie dadurch erreicht, dass der Autor die im Prätext angelegte Polyphonie zu einem Geflecht von Stimmen aus verschiedenen Literatur- und Kunstepochen umgeschaffen hat, die mit den Hauptfiguren in einen vielfältigen, alle Kunstgattungen einbeziehenden Dialog treten. Mit dieser von Schnabel gänzlich unabhängigen Thematik überschreitet Oehlenschlägers Roman trotz Einbezug von Strukturen und Figuren des Prätextes den Rahmen einer blossen Bearbeitung. Bedeutungsvolle Neuerungen sind ausserdem bestimmte geographische Verschiebungen, die, wie in der Inhaltszusammenfassung erwähnt, das Geschehen an prominenten Stellen nach Norden verlegen oder Elemente aus der nordischen Geschichte auf eine der Felsenburger Inseln bringen. Den verschiedenen Aspekten von Oehlenschlägers Neuausrichtung widmen sich die Einzelanalysen dieser Arbeit, die zudem, wie gerade im folgenden Kapitel, auch die bilinguale Sprachgestalt des Textes in den Blick nimmt.

      3 Polyphone Textgestalt

      3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“1

      Die beiden Sprachversionen von Oehlenschlägers Roman bilden gewissermassen zwei gleichwertige „Stimmen“. Der Hinweis des Verfassers am Ende seiner Vorrede zur dänischen Ausgabe lässt offen, welche Version das Original und welche die Übersetzung ist: „Til Efterretning for Oversættere tiener, at jeg selv har besørget en tydsk Udgave af min Roman, som alerede er unter Pressen“ (ØS I: X).2 Diese verschleiernde Ausdrucksweise ist kein Zufall, denn die beiden Fassungen sollen nicht etwa auf Original und Übersetzung festgelegt werden, sondern vielmehr als zwei eigenständige Dichtungen gelten. Dies ergibt sich auch aus Oehlenschlägers vielzitierter Weigerung, die deutschen Ausgaben seiner Werke als Übersetzungen zu bezeichnen:

      Man kann sie keine Uebertragungen nennen […]; es sind freie Bearbeitungen und oft verbesserte Umarbeitungen von des Dichters eigener Hand. […] Es ist also gewissermassen eine verbesserte Ausgabe, und diese deutschen Umdichtungen sind eben so original wie die dänischen Dichtungen. (Selbstbiographie 1829, 2: 177; gesperrt im Original)3

      Ebenso insistiert er in der „Vorrede“ zu seiner zweiten deutschen Werkausgabe auf dem Charakter der deutschen Fassungen als Originalschöpfungen:

      Allein man beurteilt sie ganz schief, wenn man sie als blosse Uebersetzungen betrachtet. Es sind freie Umdichtungen, die bei dieser Wiedergeburt nichts verloren, vielleicht sogar gewonnen haben. (Selbstbiographie 1839, 1: XVII–XVIII)

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