Inselromane. Julia Meier

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Inselromane - Julia Meier Beiträge zur nordischen Philologie

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so“, gibt er als Begründung an (IS I: 211). Eberhards pietätvolle Tat kontrastiert eine Episode aus Kramers Lebensgeschichte im 2. Teil der WF, in der ein armer Medizinstudent aus Not den Leichnam seiner eigenen Mutter an die Anatomie verkauft (WF II: 225–227).

      Die Vorgänge um Obadias’ Tod beeindrucken Lademann so tief, dass er an einem heftigen Fieber erkrankt und ins Delirium gerät. Die Mittel des Arztes bessern seinen Zustand kaum. Was ärztliche Kunst nicht vermag, gelingt jedoch seiner eigenen: Er komponiert eine Seelenmesse für Obadias, spielt sie auf der Orgel der nahen Kirche und ist geheilt.

      Während Eberhard den Freunden seine Reflexionen zur erdgebundenen Baukunst, der körperlosen, immer entschwindenden Musik und der Dichtkunst als Bindeglied zwischen beiden vorträgt, gelangen sie nach Saardam, wo sie Peter dem Grossen begegnen, der dort als Schiffszimmermann arbeitet; mit ihm werden die Kunstgespräche fortgeführt, teilweise auch in der Form von Umsetzungen zu konkreten Bühnenwerken. Sie reisen weiter nach Amsterdam, der vermeintlich letzten Station ihrer gemeinsamen Reise. Eberhard trifft dort, wie vereinbart, Kapitän Wolfgang, und erhält von ihm einen Brief, in dem Albert Julius seinen jungen Verwandten in Gedichtform zu sich, dem „hundertjähr’ge[n] Greis/Am hohen Felsenstrande“ einlädt (IS I: 334). Das erste Zeichen Alberts im Roman ist also wie bei Schnabel ein Brief an den Urgrossneffen, doch verleiht die Versform dem Schriftstück ein künstlerisches Gepräge und erhebt so Alberts ersten „Auftritt“ auf die Ebene der Kunst.

      Die nun folgende Schiffsreise, zu der sich auch Litzberg und Lademann sowie der ebenfalls aus den WF bekannte Pfarrer Schmelzer einfinden, beschreibt Eberhard in seinem Tagebuch; sein „Ich“ tritt damit an die Stelle des auktorialen Erzählers. Das Tagebuch enthält eine Vielfalt von Gattungen: eine Hymne ans Meer, verfasst in freien Rhythmen, allgemeine Betrachtungen über die Seefahrt sowie die Erzählung diverser Episoden der gegenwärtigen Schifffahrt, zu denen auch die Schilderung eines Sturmes auf hoher See gehört, der die Passagiere zu Tode ängstigt; nur Lademann zeigt keinerlei Furcht, im Gegenteil: er nimmt den Sturm als „Concert sonder Gleichen“ wahr (IS I: 368), hört ihn als grosses musikalisches Kunstwerk und bedauert nur, dass er die ganze Komposition kaum werde zu Papier bringen können. Für ihn überwindet die Kunst den Tod oder zumindest die Todesangst, ähnlich, wie sie sein Delirium nach Obadias’ Hinrichtung heilte.

      Eine längere Episode spielt auf Teneriffa, wo die Schiffsreisenden nach dem Sturm Halt machen. Auch in den WF landet die Reisegesellschaft nach überstandenem Sturm auf Teneriffa, und wie bei Schnabel will Eberhard den Pic nicht besteigen. Während in den IS Lademann und Litzberg den Pic erklettern, spaziert Eberhard zusammen mit seinem Hund Suchverloren durch die Wälder der Insel; dabei entdeckt der Hund eine Höhle, in die auch Eberhard eintritt und auf eine grosse Zahl mumifizierter Guanchen stösst. Ganz ähnlich wie in der Episode im Kölner Dom, die der Text explizit in Erinnerung ruft (IS I: 379), läuft Eberhard wieder Gefahr, lebendig begraben zu werden, diesmal in der Gesellschaft von Toten, denn er findet den Weg aus der Höhle nicht mehr. Der Pudel Suchverloren, der seinen Namen nicht umsonst trägt, weist ihm schliesslich den Ausweg und rettet ihm so das Leben.

      Bis zur Rückkehr seiner Freunde liest Eberhard in alten Reisebeschreibungen Berichte über die Besteigung des Pic. Als die Gefährten erschöpft zurückkehren, gibt Eberhard in einer detaillierten Erzählung seine Lektüre als eigene Gipfelbesteigung aus. Lademann, der Eberhards Schilderung für bare Münze nimmt, kann nicht verstehen, wie jener alles so genau im Gedächtnis behalten konnte, während er, Lademann, der tatsächlich auf dem Pic war, das meiste schon wieder vergessen habe. Die Lektüre vermag also das Erlebnis zu ersetzen; dessen Wirkung ist in der literarischen Gestaltung tiefer als das reale Erleben.

      Ganz zum Schluss, als letztes Kapitel des ersten Teils, wird mit Kapitän Wolfgangs Erzählung seiner Lebensgeschichte erstmals ein zentrales Strukturelement der WF aufgegriffen, die Wiedergabe einer Vielzahl autobiographischer Erzählungen. Bevor Wolfgang beginnt, erörtert er eingehend seine Erzählstrategie und entwirft damit eine auf die Rezipienten zielende Poetik des Erzählens: Es gehe ihm darum, seine Zuhörer zu unterhalten, und er wolle sich „so viel möglich vor dem Langweiligen hüten;“ (IS I: 391). Er stammt aus einer einfachen Handwerkerfamilie und verliert früh seinen Vater, der Leinenweber war. Bemerkenswert ist, dass Wolfgang sich nicht an seinen Vater und dessen Handwerk erinnert, sondern an das Lied, das der Vater über sein Handwerk zu singen pflegte, ja, die Erinnerung an den Vater ist einzig in diesem Lied aufgehoben (IS I: 393–394), und obwohl es sich dabei um ein recht derbes Spottliedchen7 handelt, wird doch auch hier Leben zu Kunst transformiert und damit vor dem Vergessen bewahrt. Wolfgang erlebt als Kind den Einfall der Türken in Wien, den unter anderem auch ein „tapferer dänischer Capitain“ (!) vergeblich aufzuhalten versucht (IS I: 398). Wolfgang muss fliehen, er wird von dem berühmten Bruder Herz gerettet und erhält vom polnischen König, der Wien befreit, eine goldene Kette, die ihm und seiner Mutter aus aller materiellen Not hilft. Nach dem Tod der Mutter geht er als Student nach Tübingen, gerät dort in schlechte Gesellschaft, verspielt die goldene Kette und tötet einen Falschspieler, der ihn betrogen und dann zum Duell gefordert hat. Wolfgang muss wieder fliehen. Mitten in der Erzählung bricht er ab, da er nicht erleben wolle, wie seine Freunde aus Höflichkeit ihre Schläfrigkeit unterdrücken müssten. Diese Zäsur schliesst zugleich den ersten Teil des Romans.

      Nach dieser Unterbrechung, die wie ein „Cliffhanger“ wirkt, wird der zweite Teil mit der Fortsetzung von Wolfgangs Biographie eröffnet. Der Protagonist fährt nun zur See, bringt es vom Matrosen bis zum Kapitän und wird Opfer einer Meuterei auf seinem eigenen Schiff; die Mannschaft setzt ihn mitten im Ozean auf einem kleinen Boot aus. Er strandet an einem ungeheuren Felsen und ist gerettet. An diesem Punkt seiner Erzählung hat auch die gegenwärtige Reisegesellschaft die Insel Felsenburg erreicht, weshalb Wolfgang endgültig abbricht, um so dem aktuellen Geschehen gewissermassen das Wort zu überlassen. Explizit meldet sich nun der auktoriale Erzähler, der die Landung nicht beschreiben mag, da er, wie bereits im ersten Teil der IS ausführlich dargelegt, keine „Wortgemälde“ verfassen will (IS I: 123–124). Stattdessen bringt er ein Fragment aus Eberhards Tagebuch, das die Landung auf der Felsenburg und die erste Begegnung mit Albert Julius in Hexametern besingt. Auf Eberhards poetische Schilderung folgt im Stil einer nüchternen Chronik ein Bericht über das Leben auf der Insel Felsenburg, über die verschiedenen Ämter, welche die Neuankömmlinge übernehmen, und über den geplanten Kirchenbau. Dann beginnt Albert Julius mit der Erzählung seiner Lebensgeschichte; diese füllt, abgesehen von den ersten beiden Kapiteln, den zweiten und dritten Teil der IS, sowie über ein Drittel des vierten Teils. Sie nimmt also noch weitaus mehr Raum ein als in den WF; allerdings umfasst sie einige weitere Biographien, so z.B. jene von Lemelie, aber auch Cyrillos ausgedehnte Lebensgeschichte, die, anders als bei Schnabel, nicht im Anhang steht, sondern in den Erzählzusammenhang integriert ist. Wie aus der Erzählsituation implizit hervorgeht, ist der Kreis der Zuhörer grösser als in den WF, und das Lesepublikum (samt dem auktorialen Erzähler) wird in die Zuhörerschaft einbezogen (IS II: 49).

      Zu Beginn seiner Erzählung macht Albert den Zuhörern bewusst, was für ein Abstand ihn, den fast hundertjährigen Greis, von den Ereignissen seiner Kindheit und Jugendzeit trennt, indem er darauf hinweist, dass er „wohl jetzt nur die Erinnerung der Erinnerungen“ erzähle (IS II: 50).8Moritz, Karl Philipp Er beginnt nicht mit der eigenen Geburt, sondern mit dem gewaltsamen Tod seines calvinistischen Vaters, der im Dreissigjährigen Krieg von den Katholiken an seinem Geburtstag Frau und Kindern entrissen, ins Gefängnis geworfen und hingerichtet wird. Im Unterschied zu Schnabel werden die Umstände dieses Todes, besonders die Trauer der kleinen Familie, mit deutlichen Zügen der religiösen Empfindsamkeit in aller Breite ausgemalt.9Arnim, Achim von Nach dem Tod ihres Mannes zieht die mittellos gewordene Witwe mit Albert und dessen älterem Bruder Rudolf nach Eisenach zu ihrer Schwester Ursula; diese ist als komische Figur gezeichnet, die fast nur in Bibelzitaten spricht und beim Kochen und Essen immer einschläft, so dass Albert sich nach der Trauer um den Vater in einer possenhaften Szenerie wieder findet. Mit Rudolf besucht er oft die Wartburg, besonders die Stube, in der LutherLuther, Martin das Neue Testament übersetzte; Albert glaubt,

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