Einführung in die systemische Sandspieltherapie. Wiltrud Brächter
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In dieser Einführung beschreibe ich diesen bisher einzigen systemischen Sandspielansatz, der sich auf die Arbeit mit Sandbildern bezieht, weiterhin Konzepte zur Paar- und Gruppentherapie aus der »klassischen« Sandspieltherapie und Elemente der Kinderorientierten Familientherapie. Anregungen aus Hypnotherapie, Psychodrama, Trauma- und Ego-State-Therapie fließen ein.
Dabei möchte ich die Praxis in den Vordergrund stellen und Anregungen vermitteln, wie im Sandspiel neue Perspektiven erschlossen und Ressourcen gestärkt werden können. Das narrative, eng am Spielverlauf orientierte Vorgehen zeige ich anhand von Fallbeispielen; ergänzt wird es durch Skulpturtechniken, die sich unmittelbar in die eigene Praxis übernehmen lassen.
Sandspieltherapie lebt vom Eintauchen in die besondere, tranceartige Atmosphäre des Gestaltungsprozesses, sie folgt keinem Manual. Um eine Orientierung zu erleichtern, habe ich das Vorgehen angesichts der Vielfalt möglicher Anwendungsformen dennoch stichpunktartig zusammengestellt. Im therapeutischen Kontakt kommt es dann darauf an, sich prozessorientiert gemeinsam in der Welt der Bilder zu bewegen und ein Gespür für das richtige Maß an Zeitlassen und behutsamen Perspektiverweiterungen zu gewinnen.
Mit den Sandbildern und Geschichten in diesem Buch möchte ich darstellen, wie wertvoll Sandspieltherapie gerade für Kinder in schwierigen Lebenssituationen sein kann. Ich danke allen Kindern, Jugendlichen und Familien, an deren Gestaltungen ich teilhaben durfte; ohne diese Erfahrungen und ihre kreativen Ideen hätte ich meinen Ansatz nicht so entwickeln können.
Es freut mich, wenn das Buch dazu beiträgt, Interesse an systemischem Sandspiel zu wecken und neue Impulse für die eigene Sandspielpraxis zu gewinnen.
1 Ursprünge der Sandspieltherapie
Margaret Lowenfeld begründete in den 1920er-Jahren die Sandspieltherapie, um Kindern ein Ausdrucksmedium für vorsprachliches Erleben zur Verfügung zu stellen, das von ihnen sonst nicht kommunizierbar sei (Lowenfeld 1935, 1939, 1969). In Sandkästen, mit Wasser und Miniaturfiguren ließ sie Kinder Szenen aus ihrem Alltag errichten, die anschließend im Gespräch reflektiert wurden. Als sich herausstellte, dass »etwas Neues und sehr aufregend Kreatives entstand, sobald die Therapeuten nichts Realistisches mehr erwarteten, keine Vorschläge mehr machten und nicht mehr in das Spiel der Kinder eingriffen« (Andersen 1979, p. 280, zit. nach Mitchell u. Friedman 1997, S. 36), gab Lowenfeld keine Themen mehr vor und ließ die Kinder im Sand frei gestalten. In Abgrenzung zu den stark deutenden analytischen Spieltherapiekonzepten ihrer Zeit war es ihr wichtig, die dabei entstehenden »Welten« der Kinder nicht durch ein therapeutisches Raster zu filtern. Kind und Therapeutin1 verstand sie vielmehr als »miteinander Forschende«, die gemeinsam versuchen, das Dargestellte zu erfassen (Mitchell u. Friedman 1997, S. 34).
Der dialogische, im Verzicht auf Deutungen systemischen Konzepten weit vorausgreifende Ansatz Lowenfelds wurde anschließend nur wenig rezipiert. Bekannter wurde Sandspieltherapie durch Dora Kalff, die das Sandspiel in den 1950er-Jahren mit Theorien Jungs und Elementen des Zen-Buddhismus verband (Kalff 1966, 1979). Kalff betonte die heilsame Rückwirkung, die von den Sandbildern ausgehe. Die Aufgabe der Therapeutin sah sie darin, einen freien und geschützten Raum für die Selbstregulation der Psyche bereitzustellen, die Atmosphäre der Sandbilder in sich aufzunehmen und sich in die Symbole einzufühlen, die von ihr gemäß der Archetypenlehre Jungs gedeutet wurden.
Vor allem angeregt durch Linde von Keyserlingk, langjährige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sandspieltherapie, entstanden in der Tradition Kalffs später auch Konzepte für das Sandspiel mit Familien, Paaren und Gruppen. Als Lehrtherapeutin für Familien- und Systemtherapie interessierte sie dabei auch ein systemischer Zugang zu Sandbildern:
»Zurzeit gibt es Überlegungen, dass es doch eine ganz eigene Sprache der Sandspieltherapie geben sollte, die nicht deutet, nicht diskutiert, sondern durch sparsames, amplifizierendes, vielleicht auch zirkuläres Fragen Suchverhalten anregt und neue Denk-Wege [so im Orig.] bahnt« (von Keyserlingk 2011, S. 100).
1 Da Sandspieltherapie von Frauen entwickelt wurde und ich mich in der Darstellung auf meine Erfahrungen beziehe, verwende ich hier die weiblichen, sonst zur besseren Lesbarkeit oft die männlichen Endungen. Gemeint sind jeweils alle Geschlechter.
2 Sandbilder in Bewegung bringen
2.1 Narrative Sandspieltherapie im Einzelsetting
In der klassischen Anwendung der Sandspieltherapie bleiben Sandbilder nach dem Aufbau stehen; gegebenenfalls werden sie noch mit der Therapeutin reflektiert. Narrative Sandspieltherapie unterscheidet sich vor allem darin, dass die Sandbilder im therapeutischen Prozess auch verändert werden können. Sandbilder, zu Beginn einer Therapie gebaut, sind geprägt vom Problemerleben der Kinder und Jugendlichen; viele von ihnen wirken wie eingefroren in einer »Problemtrance« (Schmidt 2004). In Anlehnung an narrative Konzepte (White 1989) rege ich an, solche Bilder »weiterzuspielen« und in eine Geschichte überzuführen. Hypnosystemisch betrachtet, entsteht eine Bewegung von einem Problemzustand zu gewünschtem Erleben.
MARIE, 7 JAHRE alt und wegen zahlreicher Ängste in Therapie2, nähert sich dem Sandkasten sehr vorsichtig. Behutsam stellt sie Prinzessinnen an einen Strand, die sich flüsternd unterhalten; später kommen auch Einhörner dazu. Ein kleines Einhorn entfernt sich von den anderen, um mit einem Pinguin zu spielen. Dabei wird es von einem Sturm weggeweht, steht allein am Meer und hat große Angst. Glücklicherweise wird es von einer Frau gefunden und wieder zu den anderen zurückgebracht. Auch ein Reh verläuft sich im Sturm und geht fast verloren.
Während sich das kleine Einhorn und das Reh noch im Sand ausruhen, fliegt ein Schwan zu den Prinzessinnen, der sich beim Landen einen Flügel bricht. Eine Frau und die Feuerwehr kommen, um dem Schwan zu helfen. Sie umstellen ihn mit einem Kreis von Sperren, damit ihm niemand etwas tun und sein Flügel in Ruhe heilen kann; Kinder helfen mit. Marie erklärt das Sandbild für fertig, sodass ich es auf einem Foto festhalte (Abb. 1).
Abb. 1: Der verletzte Schwan
Die Szene spiegelt Maries Lebenssituation, die nach der Fehlgeburt eines erwarteten Geschwisterchens von Sorgen der Eltern um die Tochter bestimmt ist. Auch von ihr aus ist es zu einer ängstlichen Anbindung an die Eltern gekommen.
Längere Zeit sitzen wir vor dem Sandbild und betrachten es; auch die Prinzessinnen schauen auf den Schwan und scheinen abzuwarten. Schließlich teilt mir Marie mit, dass die Geschichte weitergeht: Kinder bemerken als Erste, dass der Flügel wieder geheilt ist, und sammeln die Sperren ein. Der Schwan freut sich, dass er wieder frei ist und fliegen kann (Abb. 2).
Ein späteres Sandbild Maries thematisiert eine Geburtssituation, die gut endet. Wieder sind Prinzessinnen zusammen am Strand; dort entdecken sie eine Schildkröte, die ein Baby bekommt. Die Mutterschildkröte testet den Panzer der kleinen Schildkröte: Er ist stabil und hält. Einhörner kommen und helfen bei der Geburt, ein Geschenk wird im Sand versteckt.
Abb. 2: Die Sperren werden entfernt