Einführung in die systemische Sandspieltherapie. Wiltrud Brächter
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Ist die Handlung beendet, wird das Abschlussbild fotografiert und die Geschichte für das Kind festgehalten. Viele Kinder formulieren ihre Geschichten gern selbst und geben ihnen einen Titel. Häufig gewählte Einleitungen wie »Es war einmal« tragen dazu bei, belastende Erlebnisse in der Vergangenheit zu verorten und von der Gegenwart abzugrenzen.
Im klassischen Setting der Sandspieltherapie werden Sandbilder den Eltern nicht gezeigt, sondern verbleiben im Raum der Einzeltherapie. Orientiert an einem systemischen Therapieverständnis,5 lasse ich Kinder dagegen selbst entscheiden, ob sie ihr Sandbild zeigen möchten oder nicht. Eltern definiere ich dabei als Besucher in der Therapiestunde des Kindes (»Ihr Sohn lädt Sie ein, einmal zu schauen …«) und stelle dem Kind frei, ob es »nur schauen« oder auch etwas zu seinem Bild erzählen möchte. Die Eltern bereite ich schon bei Therapiebeginn darauf vor, Sandbilder nicht zu »zerreden« oder vor dem Kind Bezüge zur Realebene herzustellen.
Die Öffnung des Settings kann viel dazu beitragen, Eltern einen emotionalen Zugang zum Erleben des Kindes zu ermöglichen. Oft entsteht eine vertiefte Kommunikation in der Familie.
MARIE möchte ihre Sandbilder am Ende der Stunden ihrer Mutter zeigen. Die Eltern sind überrascht, dass die Fehlgeburt für sie noch so wichtig zu sein scheint. Gespräche hierüber werden angeregt. Gleichzeitig teilt Marie auf Symbolebene mit, dass die Zeit der Sorgen um sie vorbei ist: Die Sperren, die um den Schwan aufgestellt sind, können wieder entfernt werden. Die Kinder gehen dabei voran.
Übersicht: Bilder in Bewegung bringen
• Das Sandspiel erklären: »bauen« statt »spielen«.
• Kontakt zum Sand ermöglichen, Tranceprozessen Raum geben.
• Das fertige Sandbild auf einem Foto festhalten.
• Es gemeinsam betrachten und beschreiben lassen.
• Wünsche und Bedürfnisse erkunden; Suchprozesse in Richtung einer gewünschten Lösung anregen.
• Das Sandbild als Momentaufnahme kennzeichnen: »Wie könnte die Geschichte weitergehen?«
• »Über Bande spielen«: Wertschätzende Kommentare zu Spielfiguren richten sich indirekt an das Kind.
• Abschlussfoto; Geschichte notieren.
Sandbilder als Brücke in die Familientherapie
Sandbilder ermöglichen es Kindern, Anliegen in die Therapie einzubringen, die oft sprachlich von ihnen nicht benannt werden könnten. Dies beteiligt sie an der Auftragsklärung, die von Elternseite her meist auf eine Beseitigung von Symptomen ausgerichtet ist (Rotthaus 2003). Solche Aufträge können nach systemischem Verständnis nicht unhinterfragt angenommen werden: Symptome werden systemisch auch als Weg verstanden, über den ein Kind Bindungsbedürfnisse zum Ausdruck bringen und auf Veränderungsbedarf in der Familie hinweisen kann (Retzlaff 2013; Grossmann 2018; Wagner u. Binnenstein 2018). Ein Vorgehen mit einer Haltung von Allparteilichkeit und flexiblem Setting kann dazu beitragen, solche Anliegen aufzugreifen und Entwicklungsprozesse in Familien anzustoßen.
JAKOB, 9 JAHRE alt, stellt in einem Sandbild dar, wie sich Vogeleltern um ihren Nachwuchs kümmern: Während ein Vogel brütet, holt der andere Futter herbei. Besorgt schildert Jakob, dass die Küken sterben müssten, wenn einer der Vogeleltern ausfiele. Dies führt zu seiner Angst um den Vater, der (scheinbar heimlich) trinkt, und dem Dilemma, dass sich die Eltern trennen könnten, wenn seine Mutter von seinen Sorgen wüsste (Brächter 2010, S. 184 ff.)
NATASCHA, die mit 8 JAHREN außerhalb der Familie nicht spricht, lässt in ihren Sandbildern eine Schildkröte Zeugin bedrohlicher Szenen werden. Da die Schildkröte stumm ist, kann sie die anderen nicht warnen.
In einer Therapiestunde konfrontiert Natascha ihren Vater mit einem Sandbild, das er mit massiven und teils gewalttätig ausgetragenen Ehekonflikten in Verbindung bringt. Nachdem das Schweigen durch das Sandbild gebrochen wurde, können die Eltern in einem längst überfälligen Trennungsprozess begleitet werden (Brächter 2010, S. 85).
Sorgen, mit denen Kindern beschäftigt sind, lassen sich an ihrem nach außen gezeigten Verhalten nicht ablesen. Ihnen hierfür eine Mitteilungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, unterscheidet systemische Sandspieltherapie grundlegend von rein störungsspezifischen, manualisierten Konzepten.
Oft werden Eltern angeregt, sich mit eigenem, von ihnen nicht gewünschtem Elternverhalten auseinanderzusetzen. So kann sich ein Vater in einem Stein wiedererkennen, der beinah kleine Tiere überrollt. Das Bild hilft ihm, sich im Kontakt zu seinem Sohn zurückzunehmen und besser auf dessen Tempo einzustellen (Brächter 2010, S. 84 ff.).
2.2 Narratives Sandspiel mit Familien
Sandspieltherapie lässt sich auch in der systemischen Arbeit mit Familien nutzen. Neben der Gestaltung von Familienskulpturen im Sand (siehe Kap. 3.1) bietet sich die Möglichkeit, gemeinsam Sandbilder zu bauen und hieraus Geschichten zu entwickeln.
Familiensandbilder werden teils auch in der Sandspieltherapie nach Dora Kalff erstellt. In der Regel werden sie von allen gleichzeitig schweigend gestaltet, ohne dass die Sandfläche aufgeteilt oder ein besonderes Vorgehen abgesprochen würde (vgl. zum Beispiel Heinzel-Junger 2018). Anschließend werden die Sandbilder gemeinsam betrachtet, aber nicht verändert.
Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten
Im narrativen Sandspiel werden auch Familiensandbilder in Bewegung versetzt; Geschichten, die aus ihnen entstehen, werden gemeinsam weitergespielt. Bei der Gestaltung der Sandbilder nutze ich ein Vorgehen, das auch jüngeren oder ängstlichen Kindern einen Einstieg erleichtert (»gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten«, Brächter 2010, S. 106 ff.). Reihum stellen Eltern und Kinder Objekte in den Sand, wobei ich mich eingangs beteilige und den Eltern in der Regulierung des Tempos und der Ansprache an das Kind als Modell diene. Zunächst wird die Umgebung gebaut, später werden Figuren hinzugefügt. Fällt es einem Kind noch schwer, zu sprechen und selbst etwas auszuwählen, helfe ich ihm durch ein »Ratespiel«, welche Figur es wohl anschaut und wohin sie gestellt werden soll. Das ruhige und strukturierte Vorgehen bietet Eltern und Kindern viel Sicherheit; von Runde zu Runde beteiligen sich auch zurückhaltende Kinder aktiver an der Gestaltung.
Ist das Sandbild abgeschlossen, wird gemeinsam überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das Kind verteilt anschließend die Rollen zum Weiterspielen. Oft erhalten Eltern Rollen, in denen sie es bei symbolischen Entwicklungsschritten unterstützen können.
JÜRGEN, 4 JAHRE alt, ängstlich und in der Sprachentwicklung verzögert, neigt im Alltag zu heftigem Schreien, bei dem er von den Eltern kaum zu beruhigen ist. Beim Sandspiel wagt er es anfangs nicht, selbst Figuren zu wählen; stattdessen nutzt er die Hand seiner Mutter als »Baggerschaufel«.