Der Zauber des Denkens. Siegfried Reusch
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Das heißt, provokant auf einen Nenner gebracht: Die Forscher, zum Beispiel die Gentechniker, forschen und zeigen dadurch die Problematik des Ganzen auf, ohne jegliche Kontrolle?
Nein, das wollte ich damit nicht gesagt haben. Meine Vorstellung ist eher die, dass wir uns sehr wohl, und vielleicht sehr viel stärker, als das früher der Fall war, in unserem Forschen und Tun, für das wir mit Recht Freiheit reklamieren, immer wieder die Frage stellen, ob, unter anderem aus schlicht forschungssystematischen Gesichtspunkten, das, was wir da tun – noch einmal: Wissenschaft ist Tun! –, nicht Grenzen ganz anderer Art überschreitet, nämlich ethische Grenzen. Das heißt konkret gesprochen, ob zum Beispiel Forschung an Embryonen, insbesondere dann, wenn diese auch noch eigens zu Forschungszwecken hergestellt werden, nun aus anderen als wissenschaftssystematischen Gründen vielleicht doch verboten sein sollte, weil wir nämlich Grenzen verletzen, die keine Forschungsgrenzen sind, sondern ethische Grenzen.
Aber wer definiert diese ethischen Grenzen?
Wenn wir so etwas hätten wie eine allgemeingültige Ethik oder eine göttliche Ethik, dann wäre diese Frage einfach zu beantworten. Wir haben sie nicht. Ethik ist auch kein Lehrbuchwissen, das wir irgendwo in einem entsprechenden Buch nachschlagen könnten.
Die Welt wäre sicherlich einfacher, wenn sich auch in unserem Tun, auch in unserem wissenschaftlichen Tun, irgendwelche Gesetzmäßigkeiten einfach durchsetzten, keine normativen Spielräume mehr gegeben wären. Aber was wäre das für eine komische Welt? In dieser Welt müsste sich ja der Mensch als ein verantwortungsvolles, rationales Wesen selber verabschieden. Also lieber diese Kontingenz, lieber diese Spielräume, lieber die Möglichkeit zu scheitern und sich zu irren, als in einer Welt zu leben, in der Naturgesetzmäßigkeiten auch die Welt unseres Tuns bestimmen.
Wir müssen uns auch in ethischen Dingen immer wieder aufs Neue des begründeten Charakters unserer ethischen Beurteilungen vergewissern. Auch die Ethik ist in diesem Sinne nichts Statisches, auch wenn das häufig, zumal in eher traditionellen oder konservativen Kreisen, so formuliert wird. Vielleicht müssen wir den erforderlichen ethischen Sachverstand, zu dem auch, aber keineswegs allein, der philosophische Sachverstand gehört, mehr üben.
Haben Sie konkrete Vorstellungen, in welchem institutionellen Rahmen so etwas zum Beispiel in der Universität geschehen könnte?
Nun ja, keine sehr ausgearbeiteten Vorstellungen. Aber doch die, dass wir wahrscheinlich gut daran täten, im Prozess des Lehrens, Lernens und Forschens – also an einer Universität, wo wir den wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden – diese Dinge zu berücksichtigen. Wenn wir weiterhin so ausbilden, wie das früher einmal der Fall war, dass nämlich solche Fragestellungen im Zuge der Ausbildung überhaupt nicht auftreten, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn wir auf diese Weise Wissenschaftler erzeugen, die später schlicht unfähig sind, in ethisch relevanten Situationen auch nur halbwegs rational zu agieren. Meine erste Empfehlung wäre deshalb, in die Ausbildung an den Universitäten, dort wo diese Ausbildung selbst forschungsbezogen ist, solche Fragestellungen stärker einzubeziehen. Wenn es uns nicht gelingt, Wissenschaftler so auszubilden, dass diese von vorneherein ein Gefühl dafür, ein Bewusstsein davon haben, dass ihr Tun auch eine ethisch relevante Seite hat, dann werden wir das auch durch irgendwelche Institutionen, die wir nachträglich erfinden, nicht kompensieren können. Womit ich nicht sagen will, dass solche Institutionen, die wir gewissermaßen nachträglich erfinden, keinen Sinn haben, wie etwa Ethikkommissionen in der Medizin. Die scheinen ja ganz gut zu funktionieren, und die werden mittlerweile auch akzeptiert. Sie will ich auch gar nicht brotlos machen; aber wir sollten die Ausbildung des wissenschaftlichen Subjekts nicht nur in Richtung Forschung, sondern auch in Richtung Ethik verbessern.
Ethik oder Philosophie als Pflichtfächer?
Wie man das studienmäßig organisiert, ist eine andere Frage. Ich bin im Übrigen der Meinung, dass die Art und Weise, wie wir unsere Studiengänge in der Regel hermetisch abgeschlossen gegenüber anderen Studiengängen organisieren, der falsche Weg ist. Wir müssen das Studium – auch in engeren zeitlichen Grenzen, das muss mit solchen Bemühungen nicht kollidieren – wieder so organisieren, dass Formen der Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität zu den selbstverständlichen Elementen eines Studiums gehören.
Meinen Sie mit Ihrer Kritik an der „unendlichen Beliebigkeit der Fächeraufspaltung“, dass der interdisziplinäre Austausch gehemmt ist, oder meinen Sie, dass es zu viele wirklich neue Studienfächer gibt?
Beides, beides. Ich glaube zunächst einmal, dass irgendetwas im Wissenschaftssystem falsch gelaufen ist, insofern wir eine wohl unvermeidliche Spezialisierung in der Forschung sofort institutionalisiert haben. Interdisziplinarität ist da häufig nur der verzweifelte und in der Regel vergebliche Versuch, im Nachhinein wieder zusammenzuführen, was die wundersame Vermehrung der Disziplinaritäten und Fachlichkeiten trennt. Ich denke, dass in diesem Punkt die Reform sehr viel radikaler ansetzen muss. Wir müssen die institutionelle Zerlegung der Wissenschaft wieder auflösen. Wir müssen, mit anderen Worten, größere Fachbereiche bilden, in denen zum Beispiel der Chemiker wieder mit dem Physiker, mit dem Biologen und so weiter wirklich zusammenarbeitet und auch zusammen ausbildet. Wir haben im Grunde das Gegenteil getan. Wir haben alles getan, um nur jede vernünftige Interdisziplinarität und Transdisziplinarität in Studium und Lehre zu verhindern.
Kann ein Chemiker wirklich noch hochqualifizierte Forschung betreiben, wenn er gleichzeitig mit Biologen und Physikern zusammenarbeitet und auch noch ethische Aspekte berücksichtigt?
Wir müssen hier zwischen dem Forschungskontext im engeren und dem Ausbildungskontext im weiteren Sinne unterscheiden. Es ist wohl so, dass große wissenschaftliche Leistungen zunehmend ein hohes Maß an Spezialisierung voraussetzen. Nur, verlangen sollte man, dass in Ausbildungs- und Lehrzusammenhängen derjenige, der vielleicht in Forschungszusammenhängen längst ein einsamer Spezialist geworden ist, mehr zusammenbringt als seine Spezialitäten. Das Dilemma kriegen wir dadurch, dass wir die Lehre über die Forschung definieren und so den forschenden Spezialisten zum lehrenden Spezialisten machen. Meine Vorstellung ist immer noch die, dass ein anständiger Hochschullehrer, der in der Forschung Spezialist ist, in der Lehre sein Fach in möglichst großer Breite vertreten kann – was auch ethische Fragestellungen einschließt. Nur, solche Persönlichkeiten, Hochschullehrerpersönlichkeiten, tja, die wachsen auch nicht wie die Blumen auf dem Felde.
In der heutigen „Massenuniversität“ sehen selbst viele Studierende das Studium ausschließlich als Berufsausbildung. Wie sollen in diesem Klima noch derartige Fragen behandelt werden? Würden Sie, auch unter diesem Aspekt, einen berufsqualifizierenden Abschluss nach circa sechs Semestern befürworten?
Wenn das mit zwei Dingen nicht verbunden ist, bin ich dafür. Wenn es erstens nicht damit verbunden ist, dass wir so etwas