Der Zauber des Denkens. Siegfried Reusch
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Wenn Sie aber meinen, dass es möglich sein muss, nach einem sechssemestrigen Studium, immerhin nach drei Jahren, ich unterstelle mal, intensiven Studiums, mit einem Zertifikat, das genau dieses belegt, die Universität zu verlassen, dann finde ich das vernünftig.
Das richtige Maß zu finden zwischen einem völlig verschulten Unterricht einerseits und einem illusionären wissenschaftlichen Unterricht andererseits – gut, das wird das Kunststück sein. Es kann nicht Zweck der Universitätsveranstaltung sein, dass jemand, der die Universität betritt, sich einfach nur in die nächste Klasse versetzt fühlt, einfach seine Schule weiter treibt. Ich wittere hinter solchen Überlegungen, wie sie im Moment insbesondere in den administrativen und bürokratischen Köpfen stattfinden, mehr als nur die Absicht, das Studium studierbarer zu machen. Ich bin voller Argwohn, wenn ich die momentanen Tendenzen verfolge.
In diesem Zusammenhang fällt auch sehr gerne und sehr kontrovers das Stichwort „Elite“.
Das Missliche in diesem Zusammenhang ist, dass das Wort „Elite“ so belastet ist. Aber ich habe keine Berührungsängste. Ich provoziere auch gerne und benutze deswegen gelegentlich selbst das Wort „Elite“. Ich bin davon überzeugt, dass unser Wissenschaftssystem genauso wie unser sportliches System – da akzeptieren wir es ja! – die Hochleistung braucht. Wir brauchen so etwas wie eine wissenschaftliche Elite, aber wir brauchen sie nicht überall. Auch der Postbote, sofern er überhaupt noch läuft, muss die 100 Meter nicht in elf Sekunden laufen. Das kann auch ein bisschen langsamer gehen. Und so ist es auch in Bereichen, für die die Universität wissenschaftlich ausbildet.
Ich bin auch kein Vertreter von Elitehochschulen. Ich warne eher vor einem System, das auf diesem Begriff aufgebaut ist, wie das amerikanische, das französische und in Grenzen das englische System. Ich bin aber sehr wohl ein Vertreter derjenigen, die meinen, dass wir alles tun müssen, um wissenschaftliche Hochleistung zu ermöglichen. Überall dort, wo wir institutionelle oder andere Hindernisse sehen, müssen wir sie zu diesem Zweck aus dem Weg räumen.
Gibt es grundsätzliche, hochleistungshemmende Elemente in unserem Hochschulsystem?
Nein. Ich glaube, dass sich die Qualität, der Leistungswille auch unter den gegebenen Verhältnissen durchsetzen kann. Und das ist auch gut so. Worauf man achten muss, ist nur, dass nicht doch strukturelle Bedingungen auftreten, zum Beispiel überfüllte Seminare oder fehlende Geräte, die tatsächlich die Entfaltung der Höchstleistung behindern. Eine Universität oder eine Gesellschaft, die darüber klagt, dass ihre Studenten zu lange studieren, aber nicht in der Lage ist, ein Studium so zu organisieren, dass es auch wirklich in einer angemessenen Zeit studiert werden kann, die macht eben ganz woanders Fehler.
Sie waren Mitglied der Strukturkommissionen von Sachsen und Berlin. In den neuen Bundesländern hatten Sie während der Evaluation des Wissenschaftsbetriebes in der DDR die Möglichkeit, an einer Neustrukturierung teilzunehmen. Wie sind da Ihre Erfahrungen? Wurden die Wissenschaftler zum bloßen Rädchen in der Politik, oder konnten Sie wirklich gestalten?
Zunächst einmal: Ich war immer der Meinung, dass zu einem vollen Hochschullehrerleben neben Lehre, Forschung und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auch die wissenschaftliche Selbstverwaltung beziehungsweise die Wissenschaftspolitik gehört. Ich habe diese vielleicht in der Vergangenheit etwas zu exzessiv wahrgenommen. Dennoch fühle ich mich durch den schlichten Umstand, dass ich jetzt auch in solchen Bereichen tätig war, nicht von meinem eigentlichen Beruf entfremdet. Das hat auch etwas mit der Autonomie der Institution Universität zu tun, die muss man bauen, nicht beschwören.
Meine Erfahrungen in den genannten Kommissionen sind sehr gemischt. Die gute Nachricht zuerst: Ich fand, es war schon eine erstaunliche Leistung, die unser System, auch das wissenschaftliche System, in wirklich ganz kurzer Zeit vollbracht hat – in nicht mal zwei Jahren, wenn Sie die Arbeit des Wissenschaftsrates betrachten –, nämlich ein System soweit zu evaluieren und soweit zu rekonstruieren, dass dieses System ohne wirklich gravierende Brüche – ich spreche jetzt nicht von Personen – praktisch eine völlige Veränderung erfahren hat. Ob diese Veränderung in allen Teilen vernünftig war, und ob uns da genug eingefallen ist, das ist die andere Frage. Und das ist vielleicht die schlechte Nachricht. Denn im Endeffekt ist diese Veränderung dann doch so erfolgt, dass wir schlicht das uns gewohnte, also im Westen gewohnte, Universitäts- oder Wissenschaftssystem insgesamt mehr oder weniger radikal auch in den Neuen Ländern durchgesetzt haben. Wirklich Neues ist uns dabei nicht eingefallen, und das hatte natürlich auch wieder seine Gründe. Diese lagen weniger darin, dass es zu wenig institutionelle Fantasie gab. Die gab es. Sondern daran, dass das Ganze nicht nur unter einem ungeheuren Zeitdruck erfolgte, sondern auch unter einem ungeheuren finanzpolitischen Druck. Bestimmte Finanzierungsmöglichkeiten bestanden nur, wenn man sehr schnell in einer bestimmten Weise veränderte. Viel Spielraum für Experimente, neue Formen, die in unserem Finanzierungssystem von Wissenschaftlern und Universitäten nicht üblich waren, gab es nicht. Und insofern ist erklärbar – und in diesem Fall auch den Beteiligten nicht vorwerfbar –, dass dabei nicht große Neuerungen herausgekommen sind. Immerhin – ein bisschen mehr, als man tatsächlich zustandegebracht hat, hätte man vielleicht zustandebringen können. Die Kommissionen, die nach dem Wissenschaftsrat tätig waren – das waren die Hochschulstrukturkommissionen der Länder, in denen ich in Sachsen und in Berlin mitgewirkt habe –, hatten noch einmal die Chance, intern auf Länderebene die Dinge etwas anders anzupacken. Sie haben sie auch in der Form genutzt, dass eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht wurde – auch institutionelle Vorschläge –, die es verdient hätten, als wirklich neue und Reformelemente betrachtet zu werden. Dass diese nicht oder jedenfalls zu größeren Teilen nicht realisiert wurden – nun gut, das lag nicht in der Hand dieser Kommissionen. In dem Augenblick, als wir eine Chance gehabt hätten, dass zum Beispiel in Berlin ein paar Dinge anders hätten realisiert werden können, kam der finanzielle Einbruch. Das war kein böser Wille, auch nicht auf Seiten der Politik oder der Verwaltung. Jede Reform kostet Geld, Reformen zum Nulltarif gibt es nicht.
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass die Professoren der alten Bundesrepublik lediglich ihre Privatdozenten in den Neuen Ländern entsorgt hätten?
Ha! Also so pauschal gilt das nicht; aber es gibt natürlich Bereiche, in denen das der Fall war.
Welche Rolle spielten bei Personalfragen ideologische Kriterien im Gegensatz zu fachlichen? Es gibt ja durchaus auch marxistische Professoren in Westdeutschland.
Ja ja, das waren auch ein paar Dinge, die mich wahnsinnig geärgert haben. Also, zunächst einmal glaube ich sagen zu können, jedenfalls für den Bereich des Wissenschaftsrats, dass ideologische Dinge keine Rolle gespielt haben. Gleichwohl haben auch Ideologien in diesem ganzen Prozess gegriffen. Etwa die, dass man sich einfach nicht vorstellen konnte, dass es auch Teile der Philosophie der DDR unter Qualitäts- und anderen Gesichtspunkten wohl verdient hätten, in das gemeinsame System aufgenommen zu werden. Der antimarxistische Besen hat da kräftig gekehrt – und das ist schlimm gewesen. Allerdings waren das vor allem die Neuen Länder selbst, die da gekehrt haben, das darf