Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski

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einstellen müssen, um der Selbstverpflichtung, in Zukunft zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, wenigstens mittelfristig zu genügen. In diesem Kontext wird häufig der Ruf nach einem Kerneuropa und damit verbunden nach der Stärkung bzw. „(Re-)Vitalisierung“ der von de Gaulle und Adenauer initiierten deutsch-französischen Achse laut.[2] Diese Diskussion ist jedoch nicht neu, sondern derzeit weit hinter dem zurück, was Charles de Gaulle angedacht hatte, als er als französischer Präsident Anfang der 1960er Jahre auf die Deutschen zuging.

      5 Die EU wird grundsätzliche Fragen beantworten müssen, um ihren Zerfall zu verhindern: Dazu zählen jenseits von technisch relativ einfach lösbaren Wiederaufbauhilfen nach Corona primär die Gewährleistung der Sicherheit der Außengrenzen der EU, die Entwicklung von Konzepten, wie der Dauer von (Jugend-)Arbeitslosigkeit in weiten Teilen Süd- und Osteuropas begegnet werden soll, und die Frage, wie sie sich gegenüber den großen Nachbarn Türkei und Russland positionieren will. Insbesondere kann die weitere Entwicklung der EU nicht sinnvoll losgelöst von der seit 2008 schwelenden Eurokrise betrachtet werden, die zwar derzeit nicht mehr im Fokus der Medienberichterstattung steht, die aber nichtsdestotrotz nicht vollständig überwunden ist. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Entwicklung der Positionen der Bundesregierung und des französischen Präsidenten und ihrer jeweiligen „Follower“ bezüglich einer Aufwertung des European Stability Mechanism (ESM) zu einem European Monetary Fund zu verfolgen. Die deutsche Bundesregierung hat im Frühjahr 2020 aus guten Gründen einer Teilvergesellschaftung von Schulden unter dem Schlagwort Corona-Wiederaufbau zugestimmt und damit den EU-Gipfel im Juli 2020 wesentlich mitbestimmt.Die nicht überwundene Krise der Europäischen Währungsunion und die Absenz einer stringenten Strategie der Bundesregierung zu ihrer Überwindung stellt eine, wenn nicht die zentrale Ursache für die Schwäche Europas dar, die sich durch hohe ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit, niedrige Produktivitätszuwächse, wachsende Schulden u.v.m. manifestiert. Deutschland ist als „Zahlmeister“ ohne nennenswerte Rechte in den meisten Nachbarstaaten weiterhin willkommen, sein moralischer Ruf aber nicht nur in Italien und Griechenland angekratzt und seine Durchsetzungskraft gering. Als das Land, „das (sich) mangels eigener konstruktiver Pläne an das Bestehende klammert, auf den Buchstaben der Verträge [die bereits über 160 Mal ohne Sanktionen gebrochen wurden] pocht und sich damit als Aufseher stilisiert, erzeugt es Widerstand, ohne etwas zu erreichen.“[3] Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im November 2016 ist in fundamentaler Art und Weise klar, dass das Verhältnis von Deutschland und Europa zu den Vereinigten Staaten neu austariert werden wird. Das zentrale Versprechen Donald Trumps war das Schaffen von (Industrie-)Jobs in den USAUSA, wobei Trumps Politik mit der US-Unternehmenssteuerreform aus dem Jahre 2017 und der Androhung von Zöllen für Importe genau darauf abzielten. Vor allem Letzteres steht in bewusstem Gegensatz zum Paradigma des Freihandels, dem sich Deutschland verpflichtet fühlt und von dem es als Exportnation profitiert. Die zweite uns betreffende, zentrale Aussage von Donald Trump ist die Forderung an Europa bzw. an die NATO-Mitglieder, sich finanziell deutlich stärker an den Ausgaben des Bündnisses zu beteiligen. Sein Nachfolger Joe Biden denkt und handelt hier nicht anders. Trump lehnte – vor allem aus ökonomischen Gründen – ab, dass die USAUSA weiterhin die Rolle der (einzigen) Supermacht, die die Welt ordnet, ausfüllen. Dies korrespondiert mit einer prinzipiellen Ablehnung von „Demokratisierungsversuchen abroad“ und dem von den Demokraten verhinderten Versuch einer Neuausrichtung der US-amerikanischen Politik gegenüber Russland, um sich auf den „strategischen Rivalen“ ChinaChina konzentrieren zu können. Die erneute „Aufteilung“ in eine aus zwei Einflusszonen bestehende Welt ist wieder denkbar geworden. Erste einflussreiche Stimmen, wie z.B. der Springer-Aufsichtsratsvorsitzende Mathias Döpfner, fordern bereits, dass wir uns zwischen den USA und China (für die USA) entscheiden müssen.[4] Die Setzung von Technologiestandards (Stichwort Huawei) ist hier von zentraler Bedeutung (vgl. Kapitel 10 und 13).

      In Kulmination der genannten Punkte 1 bis 9 steht der Westen, wie er sich seit dem Ende des II. Weltkrieges darstellte und wie wir ihn kennen, zur Disposition.

      Das sehr lesenswerte und kontrovers diskutierte Buch des in Großbritannien lehrenden Historikers Christopher Clark „Die Schlafwandler“, das das „Hineinstolpern“ der europäischen Großmächte in den I. Weltkrieg äußerst detailliert beschreibt, wurde von seinem Autor 100 Jahre nach dessen Ausbruch sehr wohl mit Blick auf Analogien zu möglichen neuen globalen Krisen geschrieben (damit war nicht nur Europa, sondern ebenso Ost- und Südostasien gemeint).

      Die Beziehungen zwischen China und den meisten seiner Anrainerstaaten, insbesondere mit Japan (zu dem es keine echte Aussöhnung nach dem II. Weltkrieg gegeben hat), sind mit „angespannt“ zumeist noch freundlich beschrieben. Perception remains Reality. Während viele Nachbarn Chinas einem wirtschaftlich und militärisch starken China skeptisch gegenüberstehen, gibt es in China wiederum historisch begründete „Einkreisungsängste“ (vgl. Kissinger, 2012, Kapitel 1).

      Tatsächlich befinden wir uns heute, im Gegensatz zur Ausnahmesituation einer Bipolarität im sogenannten Kalten Krieg, der von ca. 1947 bis 1990 währte, in einer „unübersichtlichen“ Globalsituation (die zudem durch neue Methoden der Kommunikation und Überwachung gekennzeichnet ist), deren Entwicklung zu einer neuen Bipolarität zwar nicht zwingend, aber möglich ist. Mit anderen Worten: Geschichte wiederholt sich, wenn, nicht als Tragödie, sondern als Farce (frei nach Karl Marx in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“).

      Kein europäischer Staat, von Russland einmal abgesehen, hat so viele Nationalstaaten als Nachbarn wie Deutschland, kein anderes europäisches Land erreicht auch nur annähernd die deutsche Wirtschaftskraft. Der historische „Fluch“ des jüngeren Deutschlands von der 2. Reichseinigung im Jahre 1871 bis zum Ende des II. Weltkriegs in Europa im Jahre 1945 war es, groß und wirtschaftlich stark in der Mitte Europas zu stehen, und dabei einerseits zu klein zu sein, um Europa dominieren zu können (als man das noch wollte!); dass andererseits aber ohne Deutschland „nichts in Europa ging“ und geht. Dieser „Fluch“ sollte mit der politischen und wirtschaftlichen Einbindung Deutschlands in die EU gelöst werden.

      Heute hat Deutschland mit ca. 83 Millionen von etwas über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union (inklusive Großbritannien) einen Anteil von etwa einem Sechstel der Gesamtbevölkerung (bzw. ca. einem Neuntel der Bevölkerung von Gesamteuropa), steht aber für mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung der EU. Während der Anteil der Industrie am BIPBIP in der EU im Jahre 2017 bei nur ca. 16% lag (Großbritannien und Frankreich noch deutlich darunter), waren es in Deutschland immer noch über 22%. Daran hat auch die seit 2018 andauernde Rezession der deutschen Automobilindustrie qualitativ (noch) nichts geändert. Dass dies so bleiben wird ist aber keineswegs klar. Die deutsche Industrie leidet gegenwärtig nicht nur an einem gesamtgesellschaftlichen Mangel an Interesse nicht nur junger Menschen für technische Berufe; sie wird gleichzeitig durch gestörte Lieferketten und den politisch befördeten technologischen Wandel hin zur E-Mobilität und alternativen Energien unter Druck gesetzt.

      Abb. 1.3:

      Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten 2007 vs. 2017 (Quelle: Bundesministerium der Wirtschaft[5])

      Der deutsche Anteil an der der EU-Industrieproduktion lag vor der Corona-Krise bei ca. 30% und bei ca. 6% der Weltindustrieproduktion. Keine andere große Volkswirtschaft – Stichwort Exportweltmeister2 – ist so mit dem Rest der Welt verwoben.

      Nicht nur in diesem Zusammenhang sei Ihnen die Abschiedsvorlesung von Hans-Werner Sinn aus dem Jahre 2015 sehr empfohlen, die Sie sich z.B. auf YouTube ansehen können.[6]

      Damit verbunden ist ein sowohl ökonomisches und soziologisches „Megathema“: der Einfluss der Niedrigzinsen der Europäischen ZentralbankEuropäische Zentralbank (EZB) und weiterer großer Nationalbanken wie der FedFed, der Bank of Japan und der Bank of England, sowie der People’s Bank of ChinaChina, auf

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