Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski

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nun Ihr Testergebnis: Sie wurden positiv getestet. Unabhängigig von Ihrer nervlichen Belastung: Was können Sie mit dieser Aussage anfangen? Zunächst einmal überhaupt nichts! Nicht bekannt ist nämlich bisher, wieviele Menschen in der betreffenden Gegend tatsächlich infiziert waren. Diese Prävalenz, also die Rate der Erkrankten, betrage nun annahmegemäß 1:1.000.3 Nun können Sie sich die Lösung Ihres Problems, sich einer Antwort auf die Frage „Gibt es Grund zur Panik?“ über bedingte Wahrscheinlichkeiten nähern (s. Box). Intuitiv einleuchtend funktioniert dies ebenso bei ausschließlicher Verwendung der Grundrechenartenarten unter der sich rasch erhellenden Annahme, dass wir es mit 100.100 Personen zu tun haben, wie folgt:

Alle Teilnehmer Positiv getestet Negativ getestet
In % Absolut In % Absolut In % Absolut
Infiziert Ca. 0,1 100 99 99 1 1
Nicht infiziert Ca. 99,9 100.000 2 2.000 98 98.000
Summe 100% 100.100 2.099 98.001

      Die Schätzung der Wahrscheinlichkeit, dass Sie bei einem positiven Testergebnis tatsächlich infiziert sind, ermittelt sich nun als Ergebnis von 99/2.099 und korrespondiert damit zu weniger als 5%. Jenseits des kleinen Rundungstricks bei der Aufteilung der fiktiven 100.100 Personen in 100 Infizierte und 100.000 Nichtinfizierte ist die Interpretation Ihres Testergebnisses zwar so überraschend wie erfreulich; gesamtwirtschaftlich ist so zu testen aber auch sehr teuer.

      Bedingte Wahrscheinlichkeiten und die Bayes’sche Formel

      Wenn wir die Wahrscheinlichkeiten kennen, dass ein Test einerseits einen Infizierten nicht identifizieren und andererseits einen Gesunden fälschlicherweise als infiziert einstufen kann, wissen wir also nichts von unserem Unglück, wenn wir als Infizierte im Test „durchgerutscht“ sind. Relevant ist für uns die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir infiziert sind, sofern der Test uns als infiziert klassifiziert hat. Es handelt sich hier eine bedingte Wahrscheinlichkeit, deren Berechnungsprinzip mit dem Namen von Thomas Bayes, Pfarrer und Mathematiker im England des 18. Jahrhunderts, verbunden ist. Sie können oft bemerken, dass mathematisch formal hochgebildete Menschen keinen Zugang zur der Wahrscheinlichkeitstheorie haben. Was technisch relativ einfach aussieht, erforderte von Bayes ein bewundernswertes Abstraktionsniveau. Auch hier sind wir, nach einem Gleichnis von Bernhard von Chartres aus dem frühen 12. Jahrhundert, Zwerge auf den Schultern von Riesen (hier den Schultern des Riesen Thomas Bayes).

      Wir werden zunächst einige Bezeichnungen einführen:

       : Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch infiziert ist. Im Beispiel ist .

      : Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch nicht infiziert ist. Dies ist das Komplement zu . Im Beispiel ist = 0,999.

       sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch positiv getestet wird, unter der Bedingung, dass er infiziert ist. Dies ist annahmegemäß 0,99. Damit ist das Komplement

       die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient nicht positiv getestet wird, obwohl er infiziert ist. Im Beispiel ist . Dies ist der Fehler „fehlender Alarm“.

       bezeichne die Wahrscheinlichkeit, dass nicht positiv getestet wird, wenn der Patient nicht infiziert ist. Der Test hat also richtig klassifiziert. Im Beispiel ist . ist das Komplement bei den Nichtinfizierten, der Fehler „falscher Alarm“. Im Beispiel ist dieser 0,02.

      Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie infiziert sind, wenn Sie positiv getestet wurden, berechnet sich nun nach dem Schema „passende Fälle dividiert durch mögliche Fälle“ wie folgt:

      Numerisch erhalten wir mit

      das bereits bekannte Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir bei einem positiven Testergebnis infiziert sind, weniger als 5% beträgt.

      Ob wir einen solchen Tests schlussendlich einsetzen, hängt davon ab, welchen Wert wir einem einzelnen Leben, das wir (temporär) retten können, und den Opportunitätskosten beimessen. Dies ist aber keine statistische, sondern eine Wertefrage.

      So ist die Aussage des Robert Koch-Instituts, dass Ende April 2020 in Deutschland 6.288 Menschen an Covid-19 gestorben sind, von denen 2.269 jünger waren als 80 Jahre, deskriptiver Natur. Welcher „Aufwand“ bezüglich der Eindämmung von Corona betrieben werden sollte, um einzelne Leben zu retten bzw. zu verlängern, ist davon unberührt.

      So wie Bill Gates am 3. April 2015 die Gefahr und die Konsequenzen einer kommenden weltweiten Pandemie in einem öffentlichen Vortrag skizzierte[32], erörterte Yaval Noah Harari, ebenfalls 2015, in seinem Buch “Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“ prinzipielle Fragen von Leben und Tod, deren frühzeitige Beschäftigung uns bei Ausbruch der Corona-Krise hätte helfen können.

      „Für moderne Menschen ist der Tod ein technisches Problem, das wir lösen können und lösen sollten.“ (S. 26). Und weiter: „Selbst wenn Menschen bei einem Hurrikan, bei einem Autounfall oder im Krieg sterben, betrachten wir dies gern als technisches Versagen, das man hätte verhindern können und müssen. Hätte die Regierung nur eine bessere Politik verfolgt, hätte die Kommune ihre Aufgaben angemessen erfüllt, hätte der Militärbefehlshaber eine klügere Entscheidung getroffen – dann wäre der Tod zu verhindern gewesen. […] Weil aber Alter und Tod die Folge von nichts anderem als spezifischen Problemen sind, gibt es keinen Punkt, an dem Ärzte und Forscher aufhören. […] Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spricht nicht davon, die Menschen hätten ein ‚Recht auf Leben bis 90 Jahre‘. […] Dieses

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