Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski
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Hier sei noch einmal auf die Abschiedsvorlesung von Hans-Werner Sinn veriesen, in der er eingangs mit dem deutschen „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre den Zuzug von Gastarbeitern nach Deutschland erwähnt.
Die tatsächliche Integration von Ausländern (abhängig von Zugehörigkeit nach Nationalität, Einwanderergeneration, Religion u.v.m.) wird indes sehr kontrovers und oft emotional vergiftet diskutiert. Beachten Sie in diesem Zusammenhang, dass es keine allgemein akzeptierte Definition von „Integration“ gibt.
Ob die Integration der seit Sommer 2015 nach Deutschland gekommenen und noch kommenden Flüchtlinge wie die der Russlanddeutschen ca. 20 Jahre früher gelingen wird, hängt sowohl ab von der Empfängergesellschaft, also von uns, und der Bereitschaft der Neuankömmlinge, sich und ihre Kinder in die deutsche Gesellschaft einzufügen. Den entscheidenden Punkt dürfte dabei darstellen, inwieweit es der Politik und den Unternehmen gelingen wird, die zumeist gering qualifizierten Zuwanderer rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Stark gekürzt kommt Friedman nach einem historischen Abriss der Einwanderung in die USAUSA zu den Schlussfolgerungen, dass freie Einwanderung in die USA bis 1914 gut gewesen sei, dass sich aber offene Grenzen und ein Wohlfahrtsstaat wechselseitig ausschließen.[29]
Dies gilt meines Erachtens 40 Jahre später in Deutschland wie überall. Es ist somit wieder eine Frage der Werte (und der Gesetze), wie praktische Politik gemacht wird.
2.4.2 Alterung und BinnenmigrationBinnenmigration
Wie bereits gesehen sind Prognosen in der Demografie mit Vorsicht zu betrachten. Diese werden zumeist unter ceteris paribus-Bedingungen unter Variation von diversen Eingangsparametern gerechnet. Abbildung 2.6 illustriert die antizipierte Veränderung des Medianalters – das Alter, bei dem die Hälfte der Bevölkerung jünger und die andere Hälfte älter ist – von realen Daten aus dem Jahr 2012 bis hin zur Schätzung dieses Wertes für 2030.
Veränderung des Medianalters in Kreisen und kreisfreien Städten, 2012 vs. Schätzung 2030 (Quelle: Bertelsmann Stiftung)
Abb. 2.6 korrespondiert mit einem erwarteten deutlichen Bevölkerungsrückgang weiterer ländlicher Gebiete Deutschlands. Perspektivisch lebensfähige Städte mittlerer oder kleiner Größe finden sich fast ausschließlich im süddeutschen Raum. Diese Entwicklung kann, wie das folgende Paar von Abbildungen deutlich macht, parallel durch die Entwicklung der Immobilienpreise bzw. des Leerstands bei Wohnimmobilien innerhalb Deutschlands dargestellt werden, was die pauschale Behauptung, dass eine Immobilie eine passende AltersvorsorgeAltersvorsorge sei, jedenfalls in geografischer Hinsicht relativiert.
Leerstand in Geschosswohnungen 2018 und Dynamik von 2013–2018 (Quelle: Empirica-Institut)
Diese bisherige Entwicklung ist bzw. war nicht typisch deutsch; in Gesamteuropa, Nord- und Südamerika sowie weiten Teilen Asiens beobachteten wir (vor Ausbruch der Corona-Krise) eine Wanderungsbewegung in die Ballungsgebiete. Deutschland profitiert in Europa zudem davon, dass junge, zumeist gut qualifizierte Menschen aus den geografischen Peripherieländern wie Lettland oder Portugal nicht ausschließlich in ihre korrespondierenden Großräume, sondern gleich weiter ins Zentrum Europas ziehen.1
Lettland verlor seit Beginn der 1990er Jahre mehr als 20 Prozent seiner Gesamtbevölkerung.[30] Diese lag im Jahre 2020 bereits deutlich unter 2 Millionen Menschen. Der Rückgang der Bevölkerung wird sich fast sicher in den nächsten 10 bis 20 Jahren fortsetzen.
Resumé
Die deutsche Bevölkerung wird älter, die Anzahl der geborenen Kinder ist nicht bestandserhaltend. Tatsächlich ist aber eine einseitige Fixierung auf Geburtenraten in hohem Maße kontraproduktiv. Wichtiger als die Anzahl der noch nicht geborenen Kinder wird deren zukünftiger Wertbeitrag zur Gesellschaft bzw. ihre ProduktivitätProduktivität sein, die einzig über den Weg von Bildung vorbereitet werden kann.
Innerhalb Deutschlands findet einerseits eine Binnenmigrationsbewegung vom ländlichen in den halbstädtischen und städtischen Bereich statt, andererseits führt die AußenmigrationAußenmigration fast ausschließlich in die Groß- bzw. Ballungsräume. So hat in Frankfurt am Main mehr als die Hälfte aller dort lebenden Menschen einen Migrationshintergrund; in Stuttgart, München, Düsseldorf und Köln sind es jeweils mehr als 40%. Neben der Entvölkerung weiter Landstriche Deutschlands trifft diese Bevölkerungsbewegung somit vor allem die geografischen Peripherieländer der Europäischen Union. Diese Wanderungsbewegungen stellen fast alle Gebietskörperschaften vor neue Herausforderungen; die einen, weil zu wenige, die anderen, weil zu viele Menschen mit dazu sehr heterogenem sozialen Hintergrund und unterschiedlichen Lebensmodellen auf geringem Raum „zu versöhnen und zu versorgen sind“. Die demografischen Entwicklungen haben somit einen direkten Einfluss auf die sich ändernden Aufgaben des Staates, sie betreffen aber ebenso Investitions- und Konsumverhalten sowie die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft als Ganzes.
Ob und inwieweit wir am Anfang eines messbaren Trends zur (Rück-)Bewegung in den ländlichen Raum sind, wird sich noch zeigen. Notwendige Voraussetzung dafür wäre aber die Verbesserung der Infrastruktur und dies betrifft nicht nur Breitband-Internetzugänge, Kindergärten und Schulen sondern vor allem die ärzliche Versorgung (vgl. Abschnitt 3.1).
Exkurs: Zum täglichen Umgang mit Zahlen und Statistik
Warum so viel Statistik?
Statistische Erhebungen und Auswertungen werden im öffentlichen Raum von Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Gesundheitswesen usw. primär aus dem Grund verwendet, um die Glaubwürdigkeit der eigenen Aussagen zu erhöhen bzw. die Sinnhaftigkeit oder Alternativlosigkeit der eigenen Handlungen zu begründen. Im günstigen Fall sollten Statistiken dabei dem Verständnis der wesentlichen inneren Strukturen und der natürlichen zeitlichen und räumlichen Veränderungen von wirtschaftlichen und/oder politischen Einheiten vieler Menschen oder „Gemeinwesen“ dienen.
Obwohl mindestens ein Viertel der erwachsenen Deutschen durch ihr Studium und ihre berufliche Praxis mit den Grundkonzepten der deskriptiven und der Inferenzstatistik vertraut sein sollte, gibt es wenig Widerrede oder Fragen zum fragwürdigen bis falschen Einsatz von Statistik im öffentlichen Diskurs. Mutmaßungen, warum dem so ist, können dem in den Redaktionen antizipierten Wunsch der Leser, dass Komplexität reduziert werden soll, Rechnung tragen. Ebenso plausibel ist, dass die meisten Redakteure auch renommierter Medien Absolventen von Studiengängen sind, die weitgehend statistikfrei sind. Diese Vermutung läßt sich relativ einfach verifizieren: Vgl. z.B. https://www.faz.net/redaktion/ und https://www.spiegel.de/impressum.
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