Indiana. George Sand

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Indiana - George Sand

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wissen das recht gut, ist ein Mann, welcher geistreich von Liebe spricht, nur sehr wenig verliebt. Raymon machte in diesem Falle eine Ausnahme; er drückte seine Leidenschaft mit Kunst aus und fühlte sie warm, nur war es nicht Leidenschaft, welche ihn beredt machte, sondern die Beredsamkeit machte ihn leidenschaftlich. Er kannte Frauen, die scharfblickend genug waren, um solchen heftigen Ergüssen zu mißtrauen; aber Raymon hatte aus Liebe sogenannte Torheiten begangen; er hatte ein junges, wohlerzogenes Mädchen entführt, sehr hochgestellte Frauen kompromittiert und drei aufsehenerregende Duelle gehabt. Ein Mann, der das alles wagen darf, ohne lächerlich oder verabscheut zu werden, steht über jeden Angriff erhaben und ist in der vornehmen Welt ein ziemlich seltenes Wunder, das die Frauen nicht mit Verachtung strafen.

      Als Raymon Frau Delmare und ihre Tante, Frau von Carvajal, zu ihrem Wagen führte, gelang es ihm, Indianas kleine Hand an seine Lippen zu drücken. Nie hatte der verstohlene und glühende Kuss eines Mannes die Hand dieser Frau berührt, obgleich sie unter einem heißen Klima geboren und neunzehn Jahre alt war; neunzehn Jahre der Insel Bourbon bedeuten fünfundzwanzig unter unserer milderen Sonne. Der nervösen jungen Frau hätte dieser Kuss fast einen lauten Schrei entlockt. Man mußte sie beim Einsteigen in den Wagen unterstützen. Eine solche Feinheit der Organisation war Raymon noch nicht vorgekommen.

      »Wenn ich sie noch einmal sehe,« gestand er sich auf dem Heimwege, »würde ich den Kopf verlieren.«

      Am folgenden Tage hatte er Noun vollständig vergessen; alles, was er noch von ihr wußte, war, daß sie Frau Delmare angehöre. Die bleiche Indiana beschäftigte alle seine Gedanken, wenn Raymon fühlte, daß er verliebt wurde, pflegte er sich zu betäuben, nicht um die keimende Leidenschaft zu ersticken, sondern im Gegenteil, um die Vernunft zum Schweigen zu bringen, welche ihn ermahnte, die Folgen zu bedenken.

      Schon am folgenden Tage hatte er ausfindig gemacht, daß Herr Delmare in Geschäftsangelegenheiten nach Brüssel gereist war. Bei seiner Abreise hatte er seine Gattin Frau von Carvajal anvertraut, die ihm wenig sympathisch, aber Indianas einzige Verwandte war. Im Glücksspiel des Krieges emporgekommen, entstammte Delmare einer armen unbekannten Familie, deren er sich zu schämen schien, wenigstens fühlte er, daß er seiner Frau nicht zumuten dürfe, mit seinen ungebildeten Verwandten sich auf einen vertrauteren Fuß zu stellen. Trotz seiner Abneigung gegen Frau von Carvajal konnte er nicht umhin, ihr große Achtung zu beweisen.

      Frau von Carvajal, einer vornehmen spanischen Familie angehörig, war eine jener Frauen, welche um keinen Preis unbedeutend sein wollen. Zur Zeit, als Napoleon Europa beherrschte, hatte sie den Kaiser vergöttert und mit ihrem Gatten und Schwager die Partei der Josephinos ergriffen, aber ihr Gatte hatte bei dem Fall der kurzlebigen Dynastie des Eroberers sein Leben eingebüßt, und der Vater Indianas war in die französischen Kolonien geflüchtet. Darauf begab sich Frau von Carvajal nach Paris, wo sie durch Börsenspekulationen mit den Trümmern ihres früheren Glanzes sich einen neuen Wohlstand geschaffen hatte. Durch Geist, Intrigen und äußerliche Frömmigkeit hatte sie sich noch überdies in die Gunst des Hofes zu setzen gewußt, so daß ihr Haus eines der angesehensten war.

      Als Indiana nach ihres Vaters Tode nach Frankreich kam, als die Gattin des Oberst Delmare, fühlte sich Frau von Carvajal durch eine so wenig glänzende Verbindung nicht sehr geschmeichelt. Doch Delmares Tätigkeit und richtiger Blick in Geschäften wog ein Vermögen auf. Frau von Carvajal erwarb für Indiana das kleine Schloss Lagny und die daran stoßende Fabrik. Dank den speziellen Kenntnissen des Herrn Delmare und den Geldsummen, welche Sir Ralph Brown, der Cousin seiner Frau, vorstreckte, nahmen in zwei Jahren die Geschäfte des Obersten eine glückliche Wendung und Frau von Carvajal, in deren Augen Vermögen die beste Empfehlung war, zeigte ihrer Nichte vielen Anteil und versprach ihr den Rest ihrer Hinterlassenschaft. In Bezug auf Politik bestanden zwischen dem Oberst und Frau von Carvajal große Meinungsverschiedenheiten. Der Ruhm seines großen Kaisers war ihm unantastbar, er verteidigte ihn mit blinder Hartnäckigkeit und mußte sich daher viel Gewalt antun, um in dem Salon der Frau von Carvajal, wo man nur noch die Restauration pries, nicht beständig in Streit zu geraten.

      Von allen diesen Verhältnissen hatte sich Herr von Ramiére binnen wenigen Tagen Kenntnis verschafft. Auch erfuhr er, daß er Indiana sehen könne, wenn er sich unter die Protektion der Frau von Carvajal begab, und am Abend des dritten Tages stellte er sich bei ihr vor. Indiana füllte geduldig auf dem Stickrahmen ihrer Tante den Grund einer Tapisseriearbeit aus. Sie war in diese mechanische Beschäftigung ganz versunken und überhörte die Stimme des Dieners, welcher einen Besuch anmeldete. Kaum erhob sie die Augen von ihrer Stickerei, als sie sich wie von einem elektrischen Schlage getroffen fühlte, und sich an ihrem Arbeitstische festhalten mußte, um nicht umzusinken.

      Sechstes Kapitel

      Es waren vier oder fünf ehrwürdig aussehende Damen anwesend, welche Raymon in diesem Salon nicht erwartet hatte. Es war unmöglich, ein Wort zu sprechen, das nicht in allen Winkeln des Gemaches gehört wurde. Diese alten Betschwestern, welche Karten spielten, schienen nur da zu sein, um die Gespräche der jungen Leute unter ihre Zensur zu stellen, und in ihren strengen Zügen glaubte Raymon die geheime Freude des Alters zu lesen, welches eine Genugtuung darin findet, die Jugend in ihrem Vergnügen zu verkümmern. Raymon hatte auf eine vertraulichere Unterhaltung gerechnet, als der Ball erlaubte, und fand das Gegenteil. Diese unverhoffte Schwierigkeit gab jedoch seinen Blicken höheres Feuer, den einzelnen Fragen, die er an Frau Delmare richtete, größere Innigkeit. Das arme Kind war auf einen solchen Angriff gar nicht vorbereitet. Ihre Verlegenheit wurde durch Raymons Kühnheit vermehrt. Frau von Carvajal, welche den Geist des Herrn von Ramiére hatte rühmen hören, verließ ihr Spiel, um mit ihm ein lebhaftes Gespräch über die Liebe anzuknüpfen, in welches sie viel spanische Leidenschaft und deutschen Idealismus einmischte. Indem Raymon in das von der Tante angeschlagene Gesprächsthema mit feuriger Beredsamkeit einging, sagte er der Nichte alles, was sie anzuhören sich geweigert haben würde. Die arme junge Frau gestand errötend, daß sie von diesen Dingen nichts verstände, und Raymon der trunken vor Freude, ihre Wangen sich färben und ihren Busen schwellen sah, nahm sich vor, es ihr zu lehren.

      Indiana schlief diese Nacht noch weniger als die vorhergehenden. Ihr Herz war seit langer Zeit für ein Gefühl reif, das ihr keiner der Männer hatte einflößen können, die sie bisher kennen gelernt hatte. Von einem wunderlichen, heftigen Vater erzogen, hatte sie nie das Glück genossen, welches die Zuneigung eines anderen gewährt. Herr von Carvajal war von seinen politischen Leidenschaften so eingenommen und durch die Vernichtung seiner ehrgeizigen Pläne so gereizt, daß er in den Kolonien der grausamste Pflanzer und der unangenehmste Nachbar wurde. Seine Tochter hatte unter seiner finsteren Laune entsetzlich gelitten. Aber indem sie fortdauernd die Leiden der Sklaverei vor Augen sah, hatte sie sich eine musterhafte äußere Geduld, eine bewundernswürdige Nachsicht und Güte gegen ihre Untergebenen, zugleich aber auch einen eisernen Willen und eine ungewöhnliche Widerstandskraft gegen alles erworben, was sie zu unterdrücken drohte. Als sie Delmare heiratete, hatte sie nur den Herrn und das Gefängnis gewechselt. Sie liebte ihren Gatten nicht, vielleicht nur aus dem Grunde, weil man es ihr zur Pflicht machte, ihn zu lieben.

      Ein unbekanntes Übel nagte an ihrer Jugend. Sie war kraft- und schlaflos. Vergeblich suchten die Ärzte einen organischen Fehler in ihr zu entdecken, sie hatte keinen. Ihre gesamten Kräfte schwanden fast gleichmäßig, der Schlag ihres Herzens wurde immer schwächer, ihr Blut zirkulierte nur bei Fieberanfällen; noch einige Zeit, und die arme Gefangene wäre gestorben. Aber wie groß auch ihre Mutlosigkeit war, so blieb die unbewußte Sehnsucht nach einem anderen Herzen, das mit ihr fühlen konnte, doch immer wach. Das Wesen, welches sie bis dahin am meisten geliebt hatte, war Noun, die heitere, mutige Gefährtin ihrer Leiden; und der Mann, der ihr die meiste Teilnahme gezeigt hatte, war ihr phlegmatischer Vetter Sir Ralph. Aber welche Nahrung für die verzehrende Tätigkeit ihrer Gedanken konnte ihr von der Gesellschaft eines armen Mädchens, unwissend und verlassen wie Indiana selbst, und derjenigen eines Engländers geboten werden, der nur für die Fuchsjagd leidenschaftlich eingenommen war?

      Frau Delmare war wirklich

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