Mirgorod. Nikolai Gogol
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mirgorod - Nikolai Gogol страница 10
Bloß die arme Mutter konnte nicht schlafen. Sie setzte sich ihren geliebten Söhnen zu Häupten nieder; sie schlichtete die jungen wirren, verfitzten Locken mit ihrem Kamm und ließ heiße Tränen darauf niederrinnen. Sie sah sie gleichsam mit dem ganzen Körper an, all ihr Gefühl, ihre ganze Kraft legte sie in den Blick und konnte sich gar nicht sattsehen. An dieser Brust hatte sie ihre Jungen gesäugt, hatte sie großgezogen, sie treulich gehegt; und nur so flüchtig sollte sie sich ihrer jetzt freuen. – »Ihr meine Kinder, meine geliebten Kinder! Was wird nun mit euch? Wie wird's euch ergehen?« murmelte sie, und Tränen funkelten in den Runzeln, die ihr einstmals schönes Gesicht so traurig verwandelt hatten. Ja, sie konnte einen wohl dauern, wie jede Frau jener fernen Zeiten. Einen kurzen Augenblick der Liebe hatte sie genossen, im ersten Fieber der Leidenschaft, im ersten Fieber der Jugend, und schon hatte ihr rauher Verführer sie weggeworfen und nur noch seinen Säbel, die Kameraden und lustige Zechgelage gekannt. Sie sah ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr, und dann war wieder ein paar Jahre lang nichts mehr von ihm zu hören. Und wenn sie ihn sah, wenn sie zusammen lebten – was für ein Leben war das denn schon für sie! Schimpfworte, selbst Schläge setzte es; und wurde ihr einmal schöngetan, so wars wie ein Bettelgroschen, den man ihr hinwarf. Als etwas wunderlich Fremdes stand sie im Kreis dieser unbeweibten Kosaken, deren Sitten das Kriegerleben einen wilden und rohen Anstrich gegeben hatte. Ihre Jugend schwand freudlos dahin, ihre schönen, frischen Backen und Brüste verblühten ungeküsst und wurden vor der Zeit faltig und welk. Ihre ganze Liebe, alle ihre Gefühle, alles was an Zärtlichkeit und Leidenschaft im Frauenherzen zu Hause ist – das alles floß zusammen in ihrem Muttergefühl. Mit Glut, mit Leidenschaft, mit Tränen warf sie sich über ihre Kinder, wie die Möwe der Steppe über die Brut ihres Nestes. Ihre Söhne, ihre geliebten Söhne nahm man ihr weg, riß sie ihr für immer vom Herzen! Nie wieder sollte sie sie sehen! Wie leicht konnte ihnen in der ersten Schlacht der Tatar die Köpfe vom Rumpf schlagen, und sie würde nicht wissen, wo ihre verlassenen Leiber lägen und den Schnäbeln der schweifenden Raubvögel zur Beute fielen. Schluchzend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon schloß, und dachte bei sich: – Vielleicht gibt Bulba doch noch zwei Tage zu; vielleicht war das nur eine trunkne Laune von ihm.
Der Mond goss aus himmlischen Höhen sein Licht über den mit Schläfern dicht belegten Hof, über das struppige Weidengebüsch und das hohe Steppengras, in dem der Knüppelzaun um den Hof förmlich versank. Immer noch saß sie ihren geliebten Söhnen zu Häupten, nicht für eine Sekunde wendete sie den Blick von ihnen und dachte gar nicht an Schlaf. Schon witterten Bulbas Pferde Morgenluft, sie hatten sich ins Gras gelegt und fraßen nicht mehr; die obersten Blätter der Weiden wisperten leise, und mählich lief dieses Wispern hinab zu den Zweigen dicht über dem Boden. Die Mutter saß, bis es tagte, sie spürte keine Müdigkeit und wünschte in ihrem Herzen, die Nacht möge noch lange, recht lange dauern. Von der Steppe herüber kam eines Fohlens helles Gewieher; blassrote Streifen standen schweigend am Himmelszelt.
Bulba erwachte plötzlich und sprang auf. Er wußte noch ganz genau, was er gestern beschlossen hatte.
»Auf, auf, Gesellschaft! Zeit, höchste Zeit! Tränkt flink die Gäule! Wo ist die Alte? Nur munter. Alte, deck uns den Tisch: wir haben heut einen weiten Weg!«
Die arme Frau, der nun die letzte Hoffnung dahinschwand, schlich betrübt in die Hütte. Während sie mit Tränen in den Augen das Frühstück bereitete, gab Bulba seine Befehle, trieb sich im Stall herum und holte selbst für seine Söhne die besten Gewänder aus den Truhen.
Die Seminaristen sahen mit einem Schlag wie andre Menschen aus: statt der alten schmutzigen Stiefel trugen sie Stiefel von rotem Saffian mit silbernen Hufeisen unter den Hacken; die Pluderhosen, weit wie das schwarze Meer, mit tausend Falten und zehntausend Fältchen, waren mit goldner Schnur besetzt. Riemen hingen von dieser Schnur herab, mit Quasten und anderm Klapperkram; an denen schaukelte die Tabakpfeife. Den Rock aus feuerrotem Tuch hielt ein geblümter Gurt zusammen; fein ziselierte türkische Pistolen staken im Gurt; der Säbel klirrte kriegerisch um die Füße der Burschen. Ihre Gesichter, die die Sonne noch nicht hatte richtig braun brennen können, schienen hübscher und zarter als tags zuvor; der junge schwarze Schnurrbart hob die Weiße der Haut, die gesunde, frische Farbe der Jugend schärfer hervor; hübsche Kerle waren sie in ihren schwarzen Lammfellmützen mit dem goldnen Boden. Arme Mutter! Kein Wort konnte sie sagen, da sie die zwei so erblickte; ihr standen die Tränen blank in den Augen.
»Na, Burschen, alles fertig? Trödeln wir nicht mehr lange herum!« rief Bulba. »Und jetzt setzt sich, nach christlichem Brauch, ein jeder vor der Reise noch einmal hin.«
Alle setzten sich, auch die Knechte, die ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.
»Nun, Mutter, gib deinen Kindern den Segen!« sprach Bulba. »Bitte den lieben Gott, sie sollen tapfer kämpfen, sollen ihre ritterliche Ehre allezeit verteidigen, sollen immer und überall einstehen für ihren Christenglauben; tun sie es nicht, so mögen sie auf der Stelle verrecken, daß nicht ein Hauch von ihnen bleibt in der Welt! Kinder, kommt her zur Mutter; Muttergebet gibt Schutz zu Wasser und Land!«
Die Mutter, schwach wie eine Mutter, umarmte die Söhne, zog zwei kleine Heiligenbilder hervor und hängte sie ihnen schluchzend um den Hals.
»Behüt euch die . . . Gottesmutter . . . Liebe Söhne, vergeßt eure Mutter nicht . . . Laßt manchmal etwas hören von euch . . .« Weitersprechen konnte sie nicht.
»Los, Kinder!« rief Bulba.
Vor der Treppe standen die Pferde gesattelt bereit. Bulba schwang sich auf seinen »Teufel«, der wild zur Seite taumelte, als er die Dreizentnerlast auf seinem Rücken spürte. Taras war fürchterlich dick und schwer.
Als die Mutter ihre Söhne aufsitzen sah, stürzte sie zu dem jüngeren hin, dessen Gesicht sie wohl etwas zärtlicher dünkte; sie griff ihm an den Bügel, hängte sich ihm an den Sattel, Verzweiflung in jedem Zug ihres Gesichts, ließ ihn nicht aus den Armen. Zwei stämmige Kosaken packten sie behutsam und schleppten sie ins Haus zurück. Aber als sie zum Tor hinausgeritten waren, rannte sie mit einer Gemsenbehendigkeit, die man ihren Jahren kaum zugetraut hätte, hinterdrein, fiel dem Gaul mit unwiderstehlicher Kraft in die Zügel und umarmte einen ihrer Söhne in beinah irrer, besinnungsloser Glut. Sie wurde wieder fortgeschleppt.
Die jungen Kosaken ritten trübsinnig dahin und verbissen sich die Tränen aus Angst vor dem Vater, den die Sache auch etwas angegriffen hatte, wenn er sich gleich Mühe gab, nichts davon merken zu lassen. Es war ein grauer Tag, das Grün leuchtete grell, die Vögel zwitscherten sonderbar kreischend. Als sie ein Stück geritten waren, sahen sie zurück: Ihr heimatlicher Hof war gleichsam in die Erde gesunken; nur die beiden Schornsteine ihres bescheidnen Vaterhauses lugten hervor und die Wipfel der Bäume, in deren Zweigen sie einst wie Eichhörnchen umhergeklettert waren; noch breitete sich vor ihnen die Wiese, auf der sich die ganze Geschichte ihres Lebens abgespielt hatte, von jenen Jahren an, da sie auf allen Vieren durch das taufeuchte Gras gekrochen waren, bis zu den Jahren, da sie hier ein schwarzäugiges Kosakenmädchen erwartet hatten, das ängstlich auf jungen, flinken Beinen über das Grün herangehuscht kam. Jetzt ragte nur noch der Brunnenbaum mit dem Wagenrad auf der Spitze einsam gen Himmel; und schon sah die glatte Fläche, die sie durchritten hatten, von fern einem Berge gleich und verbarg alles hinter sich. – Lebt wohl, Kindheit und Spiele der Jugend und all das andre, lebt wohl!
Zweites Kapitel
Die drei Reiter ritten schweigsam dahin. Der alte Taras gedachte früherer Zeiten: seine Jugend zog an ihm vorüber, seine Jahre, die verronnenen Jahre, um die der Kosak immer weint; denn er wünscht sich das ganze Leben als eine ewige Jugend. Er überlegte, wem von den alten