Die Bauern. Anton Tschechow
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Olga ging oft zu Kirchenfesten und Gottesdiensten in die Nachbardörfer und in die Kreisstadt, in der es zwei Klöster und siebenundzwanzig Kirchen gab. Sie war zerstreut und vergaß jedesmal, wenn sie sich auf so eine Wallfahrt begab, daß sie eine Familie hatte; wenn sie heimkehrte und die Entdeckung machte, daß sie einen Mann und eine Tochter hatte, erstrahlte sie vor Freude und sprach:
»Gott hat mir seine Gnade erwiesen!«
Alles, was im Dorfe vorging, erschien ihr widerlich und quälte sie. Am Tage des Propheten Elias wurde getrunken, zu Mariä Himmelfahrt wurde getrunken, zur Kreuzeserhöhung wurde getrunken. Zu Mariä Schutz und Fürbitte war in Schukowo Kirchweih, und die Bauern tranken aus diesem Grunde drei Tage lang; sie vertranken fünfzig Rubel aus der Gemeindekasse und sammelten dann in allen Häusern Geld, um noch mehr Schnaps zu kaufen. Am ersten Tage schlachtete man bei den Tschikildejews einen Hammel und aß ihn dann am Morgen, zu Mittag und abends; man aß furchtbar viel, und die Kinder standen auch in der Nacht auf, um noch mehr zu essen. Kirjak war diese drei Tage sinnlos betrunken; er vertrank alles, selbst die Mütze und die Stiefel und verprügelte Marja so schrecklich, daß man sie mit Wasser begießen mußte, um sie zur Besinnung zu bringen. Und später empfanden alle nichts als Scham und Übelkeit.
Einmal wurde aber in Schukowo, in diesem Lakaiendorf, ein echtes religiöses Fest gefeiert. Es war im August, als man durch den ganzen Landkreis, von Dorf zu Dorf das Gnadenbild der Lebenspendenden Mutter Gottes herumtrug. An dem Tage, als man sie in Schukowo erwartete, war es trüb und windstill. Die jungen Mädchen gingen schon am frühen Morgen in ihren grellen Kleidern der Prozession entgegen und geleiteten das Gnadenbild gegen Abend mit Gesang und unter dem Geläute aller Kirchenglocken am anderen Flussufer ins Dorf. Eine große Menge Einheimischer und Fremder überschwemmte die Dorfstraße; es gab einen Lärm, ein Gedränge und viel Staub ... Der Alte, die Großmutter, Kirjak – alle streckten die Hände zum Gnadenbilde aus, blickten es sehnsüchtig an und riefen unter Tränen:
»Fürbitterin, Mütterchen! Fürbitterin!«
Es war, als hätten alle plötzlich verstanden, daß der Raum zwischen Himmel und Erde doch nicht ganz leer sei, daß die Reichen und Mächtigen doch nicht alles an sich gerafft hätten, daß es noch einen Schutz gegen die Kränkungen, die Knechtschaft, die schwere, unerträgliche Not und den schrecklichen Schnaps gäbe.
»Fürbitterin, Mütterchen!« schluchzte Marja. »Mütterchen!«
Nachdem man aber einen Gottesdienst abgehalten und das Gnadenbild wieder weggetragen hatte, blieb alles wieder beim alten, und aus dem Wirtshause klangen wieder rohe, trunkene Stimmen.
Angst vor dem Tode kannten nur die reichen Bauern, die, je reicher sie wurden, immer weniger an Gott und an das Seelenheil glaubten; nur aus Furcht vor dem irdischen Ende stifteten sie für jeden Fall Lichter und ließen Messen lesen. Aber die ärmeren Bauern fürchteten den Tod nicht. Dem Alten und der Großmutter sagte man oft ins Gesicht, daß sie zu lange leben und daß es für sie Zeit wäre, zu sterben, und sie machten sich nichts daraus. Man scheute sich nicht, in Nikolais Anwesenheit zu Fjokla zu sagen, daß, wenn Nikolai stürbe, ihr Mann Denis vom Militärdienst befreit werden und heimkehren würde. Marja aber hatte nicht nur keine Angst vor dem Tode, sondern grämte sich, daß er so lange auf sich warten ließ, und freute sich, so oft ihr ein Kind starb.
Den Tod fürchtete man nicht, hatte aber dafür eine übertriebene Angst vor jeder Krankheit. Aus dem nichtigsten Anlasse, bei Magenverstimmungen oder leichtem Frösteln legte sich die Großmutter auf den Ofen, wickelte sich in Decken und begann laut und unaufhörlich zu stöhnen: »Ich sterbe!« Der Alte holte dann schnell den Geistlichen, und die Großmutter bekam die letzte Ölung. Man sprach oft von Erkältungen, von Bandwürmern, von Skropheln, die im Magen herumkollern und gegen das Herz drücken. Über alles fürchtete man aber Erkältung; daher kleidete man sich selbst im Sommer sehr warm und wärmte sich ständig am Ofen. Die Großmutter ließ sich gerne ärztlich behandeln und fuhr oft ins nächste Spital, wo sie ihr Alter nicht mit siebzig sondern mit achtundfünfzig Jahren angab; sie fürchtete nämlich, daß der Arzt, wenn er ihr wahres Alter wüßte, sie nicht mehr behandeln und ihr sagen würde, daß es für sie Zeit sei zu sterben. Ins Spital begab sie sich immer mit zwei oder drei Kindern am frühen Morgen und kam böse und hungrig am Abend wieder heim und brachte Tropfen für sich und Salben für die Kinder mit. Einmal schleppte sie auch Nikolai mit; er nahm nachher vierzehn Tage lang irgendwelche Tropfen ein und behauptete, daß er sich besser fühle.
Die Großmutter kannte sämtliche Ärzte, Feldschers und Kurpfuscher im Umkreise von dreißig Werst, und keiner von allen gefiel ihr. Als der Geistliche am Fest Mariä Schutz und Fürsorge mit dem Kreuze eine Runde durchs Dorf machte, sagte ihr der Küster, daß in der Stadt neben dem Zuchthause ein alter ehemaliger Regimentsfeldscher wohne, der alle Krankheiten mit Erfolg behandle, und riet ihr, sich an ihn zu wenden. Die Großmutter folgte dem Rat. Als der erste Schnee fiel, fuhr sie in die Stadt und brachte den Feldscher mit, einen kleinen, alten getauften Juden mit langem Bart und langschössigem Rock, dessen ganzes Gesicht von blauen Äderchen durchzogen war. An diesem Tage arbeiteten in der Stube Tagelöhner: ein alter Schneider mit furchtbar großer Brille schnitt aus Lumpen eine Weste zu, und zwei jüngere Burschen fertigten aus Schafwolle Filzstiefel an; Kirjak, den man wegen Trunksucht entlassen hatte und der jetzt zu Hause wohnte, saß neben dem Schneider und besserte ein Kummet aus. In der Stube war es eng, schwül und dumpf. Der Getaufte untersuchte Nikolai und sagte, daß man ihm Schröpfköpfe setzen müsse.
Er setzte die Schröpfköpfe, der alte Schneider, Kirjak und die Mädchen standen dabei und glaubten zu sehen, wie aus Nikolai die Krankheit herauskomme. Auch Nikolai beobachtete, wie die Schröpfköpfe an seiner Brust sich allmählich mit dunklem Blut füllten; er spürte, daß aus ihm tatsächlich etwas herauskam, und lächelte vor Vergnügen.
»Es ist gut so,« sagte der Schneider. »Gebe Gott, daß es nützt.«
Der Getaufte setzte zwölf Schröpfköpfe an, dann noch einmal zwölf, trank Tee und fuhr heim. Nikolai begann zu zittern, sein Gesicht schrumpfte ein und wurde, wie die Weiber sagten, so klein wie eine Kinderfaust; seine Finger liefen blau an. Er hüllte sich in die Decke und in den Schafspelz, aber es fror ihn immer mehr. Gegen Abend begann er zu jammern; er verlangte, daß man ihn auf den Fußboden lege und bat, daß der Schneider zu rauchen aufhöre; dann wurde er unter seinem Schafspelz still. Gegen Morgen starb er.
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