Die Bauern. Anton Tschechow

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Die Bauern - Anton Tschechow

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bald vor Entzücken, bald vor Entsetzen; wenn aber die Großmutter erzählte, deren Berichte die interessantesten waren, hielten sie den Atem an und erstarrten zu Stein.

      Schweigend gingen alle schlafen; die Alten, von den Erzählungen erregt, dachten daran, wie schön doch die Jugend sei, die, wie sie auch ausfalle, doch nur das Freudige, Rührende, Lebendige in den Erinnerungen zurücklasse, und wie schrecklich kalt der nicht mehr ferne Tod, – an den soll man lieber gar nicht denken! Das Lämpchen ging aus. Die Dunkelheit, die beiden vom Monde hell erleuchteten Fenster, die Stille, das Knarren der Wiege sprachen davon, daß das Leben schon vorüber ist und nie wiederkehren wird ... Man schlummert ein, man vergißt sich, und plötzlich berührt jemand die Schulter, haucht die Wange an, – und der Schlaf ist augenblicklich verflogen, man hat im Körper ein Gefühl, als ob man ihn sich wund gelegen hätte, und lauter Gedanken an den Tod ziehen durch den Sinn; man dreht sich auf die andere Seite um, der Tod ist schon vergessen, dafür kommen aber die alten, langweiligen, trüben Gedanken an die Not, die Nahrung, und daß das Mehl teurer geworden ist, und nach einer Weile denkt man schon wieder daran, daß das Leben vergangen ist und nie wiederkehrt ...

      »Mein Gott!« seufzte der Koch.

      Jemand klopfte ganz leise ans Fenster. Fjokla war wohl heimgekommen. Olga stand auf, ging, gähnend und ein Gebet flüsternd, hinaus und entriegelte die Haustüre. Es war niemand zu sehen; von der Straße wehte Kälte herein, und der Flur wurde vom Mondlicht erhellt. Durch die offene Tür war die stille, leere Straße zu sehen und der Mond, der am Himmel stand.

      »Wer ist da?« fragte Olga.

      »Ich,« klang es zurück. »Ich bin's.«

      Neben der Türe stand, sich an die Wand drückend, Fjokla; sie war splitternackt. Sie zitterte am ganzen Körper, klapperte vor Kälte mit den Zähnen und erschien im grellen Mondlichte auffallend blaß, schön und seltsam. Die Schatten und der Mondglanz auf ihrem Körper hoben sich grell ab, und ihre dunklen Brauen und die junge, feste Brust fielen besonders deutlich in die Augen.

      »Die ausgelassenen Burschen drüben haben mich ausgezogen und so laufen lassen ...« sagte sie. »Nun bin ich nackt nach Hause gekommen, so wie die Mutter mich geboren hat. Bring mir irgend etwas zum Anziehen.«

      »Komm doch in die Stube!« sagte Olga leise. Auch sie begann zu zittern.

      »Daß mich die Alten nicht sehen.«

      Die Großmutter war schon in der Tat wach und brummte, und der Alte fragte: »Wer ist da?« Olga brachte ihr ihr eigenes Hemd und einen Rock, half ihr beim Anziehen, und dann traten sie beide leise in die Stube.

      »Bist du es, du Schamlose?« brummte die Großmutter, die schon erraten hatte, wer es war. »Herumtreiberin ... daß du zugrunde gehst!«

      »Macht nichts, macht nichts,« flüsterte Olga, ihre Schwägerin einhüllend. »Macht nichts, meine Liebe.«

      Und es wurde wieder still. Hier im Hause schlief man immer schlecht; ein jeder hatte etwas Zudringliches, das ihn nicht einschlafen ließ: der Alte die Kreuzschmerzen, die Großmutter – ihre Sorgen und ihren Ärger, Marja – die Angst, und die Kinder – das Jucken und den Hunger. Auch jetzt schliefen sie unruhig; sie wälzten sich von der einen Seite auf die andere, phantasierten und standen oft auf, um Wasser zu trinken.

      Fjokla begann plötzlich mit lauter, rauher Stimme zu schreien, beherrschte sich aber gleich wieder, und schluchzte nur ab und zu, immer stiller und dumpfer, bis sie ganz verstummte. Marja stand auf und ging hinaus, und man hörte, wie sie draußen die Kuh molk und ihr sagte: »Halt!« Auch die Großmutter ging hinaus. In der Stube war es noch dunkel, aber man konnte schon alle Gegenstände unterscheiden.

      Nikolai, der die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, stieg vom Ofen. Er holte aus dem grünen Koffer seinen Frack heraus, zog ihn an, trat ans Fenster, glättete die Falten und lächelte. Dann zog er ihn vorsichtig aus, tat ihn in den Koffer und legte sich wieder hin.

      Marja kam zurück und begann den Ofen zu heizen. Sie schien noch nicht ausgeschlafen und wachte im Gehen allmählich auf. Sie hatte wohl etwas geträumt, oder die gestrigen Erzählungen kamen ihr in den Sinn, denn sie reckte sich wohlig vor dem Ofen und sagte:

      »Nein, die Freiheit ist doch besser!«

      7

      Der »gnädige Herr« kam gefahren, – so nannte man im Dorfe den Kreispristaw. Daß er kommen würde und zu welchem Zweck, wußte man schon seit acht Tagen. In Schukowo gab es bloß vierzig Höfe, aber die Rückstände an den Staats- und den Semstwo-Steuern betrugen schon mehr als zweitausend Rubel.

      Der Pristaw stieg in der Wirtschaft ab, trank zwei Glas Tee und begab sich dann zu Fuß zum Hause des Dorfältesten, wo auf ihn schon eine ganze Gesellschaft von Bauern, die mit der Steuer im Rückstande waren, wartete. Der Dorfälteste, Antip Ssedjelnikow war trotz seiner Jugend, – er war kaum über dreißig Jahre alt – sehr streng und hielt es immer mit der Obrigkeit, obwohl er selbst arm war und seine eigenen Steuern gar nicht pünktlich bezahlte. Daß er der Gemeindeälteste war, machte ihm viel Freude, und das Bewusstsein seiner Macht, die er nur durch Strenge zu zeigen verstand, amüsierte ihn. Die Bauern fürchteten ihn und gehorchten ihm; manchmal erwischte er auf der Straße oder vor dem Wirtshause einen Betrunkenen, fesselte ihm die Hände und sperrte ihn in Arrest; einmal steckte er auch die Großmutter für ganze vierundzwanzig Stunden ins Loch, weil sie statt Ossip zur Bauernversammlung gekommen war und ein großes Geschrei erhoben hatte. Er hatte zwar niemals in der Stadt gelebt und auch keinerlei Bücher gelesen, hatte sich aber irgendwie eine ganze Menge gebildeter Worte angeeignet, die er gerne im Gespräch gebrauchte; die Bauern achteten ihn dafür, obwohl sie seine Worte nicht immer verstanden.

      Als Ossip mit seinem Steuerbuch ins Haus des Dorfältesten kam, saß der Pristaw, ein hagerer alter Mann mit grauem Backenbart in grauer Litewka am Tisch und schrieb etwas. In der Stube war es sauber, an den Wänden klebten aus Zeitschriften herausgeschnittene Bilder, und an sichtbarster Stelle neben den Heiligenbildern prangte das Bildnis des gewesenen Fürsten von Bulgarien, Alexander von Battenberg. Neben dem Tisch stand mit gekreuzten Armen Antip Ssedjelnikow.

      »Er schuldet noch hundertneunzehn Rubel, Euer Hochwohlgeboren,« sagte er, als die Reihe an Ossip kam. »Vor der Osterwoche hat er einen Rubel eingezahlt, und seither keine Kopeke mehr.«

      Der Pristaw sah Ossip an und sagte:

      »Warum ist es so, mein Bester?«

      »Erweisen Sie mir die göttliche Gnade, Euer Hochwohlgeboren,« begann Ossip in höchster Erregung: »Gestatten Sie mir, alles zu erzählen: vergangenes Jahr sagte mir der Gutsherr von Ljutoretzk: ›Ossip, verkauf mir dein Heu ...‹ Warum auch nicht? Ich hatte damals an die hundert Pud zum Verkauf, die die Weiber bei der Schlucht gemäht hatten ... Wir wurden handelseinig ... Alles war ordentlich und freiwillig ...«

      Er beschwerte sich über den Dorfältesten und wandte sich jeden Augenblick zu den anderen Bauern um, als riefe er sie zu Zeugen an; sein Gesicht war rot und schweißig, und die Augen blickten böse und stechend.

      »Ich verstehe nicht, wozu du mir das alles erzählst,« sagte der Pristaw. »Ich frage dich ... ich frage dich, warum du die Steuer nicht zahlst! Ihr alle zahlt nicht, und ich soll für euch haften?«

      »Ich kann nicht ...«

      »Diese Worte sind ohne jede Konsequenz, Euer Hochwohlgeboren,« sagte der Dorfälteste. »Die Tschikildejews gehören allerdings zu der unvermögenden Klasse, aber belieben nur die anderen zu befragen: der Hauptgrund ist der Schnaps; furchtbar ausgelassen sind die

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