Die Bauern. Anton Tschechow

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Die Bauern - Anton Tschechow

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vorbei. An den grünen Büschen, die sich im Wasser spiegelten, glänzte der Tau. Ein warmer Hauch kam gezogen, und beide fühlten sich so wohlig. Ein herrlicher Morgen! Und wie herrlich wäre wohl das ganze Leben auf dieser Erde, wenn es nicht diese Not, diese schreckliche, zwingende Not gäbe, vor der man sich nirgends verstecken kann! Sie brauchte nur auf das Dorf zurückzuschauen, und alles Gestrige erstand wieder in der Erinnerung, und der ganze Zauber des Glückes, das hier zu schweben schien, verflog in einem Augenblick.

      Sie kamen in die Kirche. Marja blieb bei der Türe stehen und wagte sich nicht weiter vor. Sie wagte sich auch nicht hinzusetzen, obwohl die Messe erst nach acht begann. So stand sie die ganze Zeit.

      Als die Vorlesung aus dem Evangelium begann, geriet das Volk plötzlich in Bewegung und machte der Gutsbesitzerfamilie Platz; zwei junge Mädchen in weißen Kleidern und breitkrempigen Hüten und ein wohlgenährter, rosiger Junge im Matrosenanzug kamen in die Kirche. Ihr Erscheinen rührte Olga; sie sagte sich gleich auf den ersten Blick, daß es anständige, gebildete und schöne Menschen seien. Marja blickte sie aber finster an und runzelte die Stirne, als ob es keine Menschen sondern Ungeheuer wären, die sie zermalmen könnten, wenn sie nicht zur Seite getreten wäre.

      Und wenn der Diakon mit seiner Bassstimme in den Gottesdienst einfiel, hörte sie jedesmal den Schrei »Ma–arja!« und fuhr zusammen.

      3

      Im Dorfe hatte man schon von der Ankunft der Gäste erfahren, und gleich nach der Messe kamen viele Leute ins Haus. Es kamen die Leonytschows, die Matwejitschows und die Iljitschows, um sich über ihre Verwandten, die in Moskau dienten, zu erkundigen. Alle Bauernjungen von Schukowo, die zu lesen verstanden, wurden immer nach Moskau gebracht und dort zu Kellnern und Gasthausdienern ausgebildet (während das jenseits des Flusses liegende Dorf lauter Bäckergesellen lieferte); so war es seit langem, seit der Zeit der Leibeigenschaft eingeführt, als ein gewisser sagenhafter Luka Iwanowitsch, ein ehemaliger Bauer von Schukowo, Oberkellner in einem der Moskauer Klubs wurde und ausschließlich seine Landsleute in Dienst zu nehmen pflegte; sobald aber diese einen gewissen Einfluß erlangten, ließen sie ihre Verwandten nachkommen und verschafften ihnen Stellungen in Gasthäusern und Restaurants; seit jener Zeit wurde Schukowo von den Bewohnern nicht anders als »Lakaiendorf« genannt. Nikolai war mit elf Jahren nach Moskau gekommen und verdankte seine Karriere einem Mitglied der Familie Matwejitschow, Iwan Makarytsch, der damals als Logenschließer im Etablissement »Eremitage« angestellt war. Nun sagte er salbungsvoll, sich an die Matwejitschows wendend:

      »Iwan Makarytsch ist mein Wohltäter, und ich muß Tag und Nacht für ihn zu Gott beten, denn ihm habe ich es zu verdanken, daß ich ein anständiger Mensch geworden bin.«

      »Väterchen,« sagte mit weinerlicher Stimme eine großgewachsene Alte, die Schwester des Iwan Makarytsch, »er läßt aber gar nichts von sich hören!«

      »Im Winter diente er im Theater Aumont, und in dieser Saison soll er irgendwo in einem Gartenetablissement draußen vor der Stadt angestellt sein ... Alt ist er geworden! In früheren Zeiten pflegte er im Sommer täglich an die zehn Rubel heimzubringen, jetzt ist aber das Geschäft überall still, und der Alte hat es recht schwer.«

      Die alten und die jungen Weiber blickten auf die mit Filzstiefeln bekleideten Füße und das bleiche Gesicht Nikolais und sprachen traurig:

      »Auch du bist kein Verdiener mehr, Nikolai Ossipytsch! Hast nicht mehr die Kraft ...«

      Und alle liebkosten Sascha. Sie war schon zehn Jahre alt, aber klein und sehr schmächtig und sah wie eine Siebenjährige aus. Unter den anderen sonnenverbrannten, schlecht geschorenen, mit langen verschossenen Hemden bekleideten Mädchen nahm sie sich mit ihrer weißen Hautfarbe, den großen dunklen Augen und dem roten Bändchen im Haar drollig aus, wie ein kleines, wildes Tier, das man draußen im Felde gefangen und in die Stube gebracht hätte.

      »Sie kann auch schon lesen!« prahlte Olga mit einem zärtlichen Blick auf die Tochter. »Lies uns mal vor, Kind!« sagte sie, das Evangelium vom Brett holend. »Lies, und die Rechtgläubigen werden zuhören.«

      Das Evangelium war alt, in schwerem Ledereinband mit abgeriebenen Ecken, und es roch auf einmal so, als ob in die Stube Mönche getreten wären. Sascha hob die Brauen und begann laut mit singender Stimme:

      »Da sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter ...«

      »Das Kindlein und seine Mutter,« wiederholte Olga, ganz rot vor Erregung.

      »Und fliehe ins Ägyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage ...«

      Beim Worte »allda« konnte sich Olga nicht mehr beherrschen und begann zu weinen. Auch Marja mußte, als sie sie ansah, schluchzen; dann schluchzte auch die Schwester Iwan Makarytschs. Der Alte begann zu husten und herumzukramen, um seiner Enkelin etwas zu schenken; er fand aber nichts und winkte nur mit der Hand. Als die Vorlesung zu Ende war, gingen die Nachbarn gerührt und mit Olga und Sascha über die Maßen zufrieden, nach Hause.

      Dem Sonntag zu Ehren blieb die Familie den ganzen Tag zuhause. Die Alte, die der Mann, die Schwiegertöchter und die Enkelkinder »Großmutter« nannten, bemühte sich alles selbst zu machen: sie heizte selbst den Ofen ein und bereitete den Samowar, sah sogar um die Mittagszeit nach dem Vieh und jammerte hinterher, daß man sie mit Arbeit zugrunde richte. Und sie paßte immer auf, daß niemand ein Stück zu viel nehme und daß der Alte und die Schwiegertöchter nicht müßig herumsäßen. Bald kam es ihr vor, daß die Gänse des Gastwirts in ihren Gemüsegarten gekommen seien, und sie lief mit einem langen Stecken in der Hand aus der Stube und schrie eine halbe Stunde lang gellend bei ihrem Kohl, der ebenso mager und krank war wie sie selbst; bald schien es ihr, daß eine Krähe ihre Kücken überfallen wolle, und sie stürzte sich fluchend über die Krähe. Sie schimpfte und brummte vom Morgen bis zum Abend und erhob oft solches Geschrei, daß die Leute auf der Straße stehen blieben.

      Ihren Alten behandelte sie gar nicht freundlich und nannte ihn bald Faulenzer, bald Cholera. Er war ein unsolider, unzuverlässiger Bauer, und hätte wohl, wenn sie ihn nicht ständig antriebe, überhaupt nicht gearbeitet, sondern ständig auf dem Ofen gesessen und geredet. Er erzählte seinem Sohn lange und ausführlich von den Feinden, die er angeblich hatte, beklagte sich über die Kränkungen, die ihm die Nachbarn tagtäglich zufügten, und es war furchtbar langweilig, ihm zuzuhören.

      »Ja,« erzählte er, sich an die Hüften fassend. »Ja ... Eine Woche nach dem Fest der Kreuzeserhöhung verkaufte ich mein Heu zu dreißig Kopeken für das Pud, aus freien Stücken. Ja ... Gut ... So fahre ich des Morgens mit dem Heu, rühre keinen Menschen an, da sehe ich, zur unglücklichen Stunde, wie aus dem Wirtshaus der Dorfälteste Antip Ssedjelnikow kommt. ›Wo willst du mit dem Heu hin?‹ sagt er und haut mir eine herunter.«

      Kirjak hatte aber nach dem gestrigen Rausche fürchterliches Kopfweh und schämte sich vor seinem Bruder.

      »Was der Schnaps alles macht. Ach du, lieber Gott!« stammelte er, seinen schmerzenden Kopf schüttelnd. »Verzeiht es mir, um Christi willen, lieber Bruder und liebe Schwester, ich bin selbst nicht froh darüber.«

      Dem Sonntag zu Ehren kaufte man im Wirtshause einen Hering und kochte aus dem Heringskopf eine Suppe. Um die Mittagsstunde setzten sich alle an den Samowar und tranken so lange Tee, bis der Schweiß kam und sie alle anschwollen. Nach dem Tee aßen sie die Suppe, alle aus einem Topf. Aber den Hering selbst tat die Alte auf die Seite.

      Abends brannte der Töpfer am Abhang seine Töpfe. Unten auf der Wiese tanzten die jungen Mädchen einen Reigen und sangen Lieder. Die Burschen spielten Ziehharmonika. Auch drüben, jenseits des Flusses brannte ein Feuer und tönte Mädchengesang, der aus

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