Fälschung. Ole R. Börgdahl
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Sowohl in London als auch in München war es bereits später Nachmittag, als eine neue Spur auftauchte. Während Heinz Kühler im Victoria and Albert Museum an dem Fall arbeitete, hatte sein Chef mit einem Kurator des Museums Folkwang in Essen gesprochen und sich beraten lassen. Es kam eine Liste mit einem halben Dutzend Sammlern heraus, die dem Museum als Besitzer eines Gauguins bekannt waren. Es ließ sich allerdings nicht nachvollziehen, ob die Bilder noch im Besitz der Sammler waren. Simon rief in London an. Er konnte Heinz Kühler zwar nicht direkt erreichen und ihn auch nicht ans Telefon holen lassen, aber er erhielt eine E-Mail-Adresse, mit der er Kontakt zu seinem Mitarbeiter aufnehmen konnte. Heinz Kühler war nicht überrascht, als plötzlich der Eingang einer Nachricht angezeigt wurde. Er las sich durch, was sein Chef für ihn hatte und öffnete dann die Liste mit den Namen der Privatsammler. Er suchte daraufhin nach den Werken, die diese Sammler von Paul Gauguin besaßen. Noch einmal begann er alle Register der Suchmaschine der Historic Catalogues zu ziehen. Die Informationen, die ihm Simon übermittelt hatte, waren so detailliert, dass Heinz Kühler ohne Probleme die Kunstwerke aufspürte, die sich in den Privatsammlungen befanden. Er stieß sogar auf Artikel mit bebilderten Beschreibungen der Gauguin-Gemälde. Es gab allerdings kein einziges Bild mit dem Titel »Julie des Bois« oder gar eines, das dem Motiv des kleinen Mädchens mit dem Sonnenhut nur annähernd glich. Die Recherche blieb auch hier erfolglos.
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Colette ging zuerst in die Küche, obwohl sie die Einkaufstüten noch im Auto hatte. Marc war heute Nachmittag bei einem Freund. Er war kurz zu Hause gewesen, hatte sich aus dem Kühlschrank ein vorbereitetes Essen genommen und war dann wieder mit dem Fahrrad losgefahren. So hatte er es ihr zumindest am Telefon berichtet. Die Post hatte er schon aus dem Briefkasten genommen und auf den Küchentisch gelegt. Es kam vor, dass Simon Geschäftspost an ihre Privatadresse erhielt. Der Stapel mit den Briefen lag neben dem Obstkorb. Colette sah ihn sich an. Diesmal war es hauptsächlich Werbung und ein Brief von der Bank, den sie sofort öffnete. Ihre neuen EC-Karten lagen zur Abholung bereit, ein Vorgang, der sich alle zwei Jahre wiederholte. Sie legte den Packen zurück auf den Küchentisch. Die Werbung würde sie sich später noch ansehen. Sie ging noch einmal in die Garage, um aus dem Wagen die Einkaufstüten zu holen. Sie musste zweimal gehen.
Am Nachmittag hatte sie nichts Besonderes mehr vor, sie musste auch keinen Unterricht geben, erst morgen wieder. Es war an manchen Tagen schon recht warm draußen, zumindest schien die Sonne. Sie ging in den Wintergarten, legte eine Auflage auf einen der Teakholz-Deckchairs und nahm sich das bereitgelegte Buch, das sie endlich einmal ohne Unterbrechung durch Marc lesen konnte. Nach einer halben Stunde legte sie den Roman aber dann doch beiseite und entschloss sich, im Internet zu surfen. Sie holte ihren Laptop aus dem Arbeitszimmer. Vom Wintergarten aus hatte sie immer einen guten Empfang zum Router, sodass sie kabellos ins Internet gehen konnte. Sie ließ sich die Schlagzeilen französischer Zeitungen anzeigen. Im Internet war es ihre Lieblingsbeschäftigung, Nachrichten aus ihrer Heimat zu lesen. Sie war in Nantes geboren und suchte hier zuerst in den Tageszeitungen und Magazinen, im L’Eclair, im Plein Ouest oder im Paruvendu Nantes. Nach den lokalen Nachrichten interessierte sie auch die Presse in Paris und überregional aus Frankreich. Sie wählte die Internetseiten vom L'Équipe, vom Le Parisien und natürlich vom Le Figaro und vom Le Monde. Sie stöberte schon eine ganze Stunde, als sie an ihre elektronische Post dachte. Sie hatte heute noch nicht ihren Maileingang geprüft. Sie wechselte zum Mailprogramm und öffnete ihren Posteingangskorb. Es gab nur eine einzige neue Nachricht. Florence hatte ihr geantwortet. Es war schon fast zwei Wochen her, dass Florence sie hier in München besucht hatte. Colette öffnete die Mail und las sich die Grüße ihrer Freundin durch. Florence hatte sich sehr über die Bilder gefreut, auch wenn einige Aufnahmen nicht besonders schmeichelhaft waren. Colette überlegte, sie hatte sich die Bilder selbst noch gar nicht angesehen, sie hatte es vergessen. Sie würde es gleich nachholen, sie las zunächst aber weiter. Florence meinte, dass zwei oder drei der Fotos in den Müll gehörten, aber insgesamt sei es eine schöne Erinnerung. Colette wollte schon den Ordner mit den Bildern aufrufen, um sich endlich auch selbst einen Eindruck zu verschaffen, dann stutzte sie. Sie las die Mail noch zu Ende und verstand zunächst nicht. Florence hatte noch drei Bilddateien an ihre Mail gehängt, zwei Fotografien und die Aufnahme von einem Ölgemälde, das ein kleines Mädchen mit einem Sonnenhut zeigte. Aus dem, was Florence ihr dazu schrieb, verstand Colette, dass sie selbst ihrer Freundin die Aufnahme von dem Ölgemälde geschickt hatte. Colette wusste nichts von diesem Bild, ihr wurde aber schnell klar, dass es schon auf der Kamera gespeichert gewesen sein musste, als sie den Apparat für ihren Ausflug in die Münchner City benutzt hatten. Sie öffnete den Ordner, in den sie die Bilder hineinkopiert hatte. Sie sah sich Bild für Bild an und tatsächlich tauchte plötzlich die Aufnahme von dem Ölgemälde auf. Die Kamera gehörte Simon, er hatte das Foto von dem Ölgemälde gemacht und er hatte die Kamera später im Wagen vergessen. Colettes Fehler war es, dass sie aus Versehen einfach alle Fotos, die sich auf der Kamera befanden, an Florence versendet hatte. Sie ärgerte sich, dass sie die Bilder nicht sofort kontrolliert hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Sache mit dem Ölgemälde konnte harmlos sein, Simon konnte das Bild in einem Museum oder einer Ausstellung entdeckt haben und hatte es einfach nur aus Interesse fotografiert. Es konnte aber auch sein, dass es sich um das Bild eines Kunden handelte. Sie überlegte, was sie Simon sagen sollte. Es war ihr klar, dass alles, was mit dem Kunst- und Auktionshaus Blammer im Zusammenhang stand, immer einer gewissen Diskretion unterlag. Es war sicherlich nicht sehr schlimm, dass Florence diese Aufnahme von dem Ölgemälde erhalten hatte, aber es hätte nicht vorkommen dürfen. Sie sah sich jetzt die anderen Bilder an, die mit Florence Mail gekommen waren. Sie öffnete die Dateien am Bildschirm. Die Fotografien schienen schon sehr alt zu sein. Auf dem ersten Foto stand eine Gruppe von Menschen vor einem Fischerboot. Einige Kinder hatten sich hingehockt. Auf dem zweiten Bild waren nur Kinder zu sehen, die vor einer Holzbaracke, vermutlich einem Kaufmannsladen warteten. Florence hatte auf beiden Fotografien eine der Personen mit einem Kreis gekennzeichnet. Es war ein kleines Mädchen, das auf dem einen Bild einen Sonnenhut trug und auf dem anderen ohne Kopfbedeckung zu sehen war. Colette zoomte den Ausschnitt näher heran. Die Kleine hatte langes, vermutlich dunkelblondes Haar. Es dauerte einige Sekunden, bis Colette in dem Mädchen das Kind auf dem Ölgemälde erkannte, dann war es ihr aber eindeutig klar. Sie öffnete noch einmal das Foto von dem Ölgemälde, um ganz sicher zu gehen. Es war tatsächlich so. Noch ganz fasziniert ging sie wieder auf die Mail ihrer Freundin und las noch einmal den Teil der Nachricht, den sie anfangs nicht verstanden hatte.
...mir war gleich klar, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen habe. Es gibt eine ganze Ausstellung mit diesen alten Fotografien. Die Bilder hängen jetzt bei uns im Krankenhaus und ich bin losgezogen und habe diese beiden Aufnahmen gefunden. Es ist doch erstaunlich. Der berühmte Paul Gauguin hat das kleine Mädchen gemalt und ich finde eine Fotografie von ihr, sie muss auf Hiva Oa gelebt haben...
Colette stutzte. Die Aufnahme von dem Ölgemälde war noch im Hintergrund ihrer Bildschirmanzeige geöffnet. Sie holte es in den Vordergrund und suchte die Bildränder nach der Signatur ab. In der rechten unteren Ecke wurde sie fündig, »Paul Gauguin, 1902, Julie des Bois«. Colette war sich der Bedeutung von Florence Entdeckung nicht sicher. Vielleicht war es etwas, das Simon bereits wusste, vielleicht hatte aber auch der Zufall neue Informationen ans Tageslicht gebracht. Sie überlegte kurz, dann wanderte sie mit der Maus quer über den Monitor und drückte auf die Schaltfläche Weiterleiten. Sie wählte Simons Geschäftsadresse aus dem Verzeichnis und übertrug