Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski
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Mir wurde aufgetragen, abends mit der Holzknarre das Abendlied am Teich zu singen: „Hört ihr Herren, lasst Euch sagen...“, zuerst mit Lampenfieber, denn vor den Brüdern wollte man keinen Misston fabrizieren - es wäre eine Blamage gewesen. Aber bei mir hatte man keinen Erfolg. Nur die Hausmädchen machten ihre Sparziergänge zu auffällig – denn, man spielte mit dem Gedanken, sich einen Bruder zu angeln – Ha!
Es war in mancher Hinsicht toll im Rauhen Haus. Nur musste man selbst zur Eigenhilfe greifen. Ein Beispiel: Der Totensonntag stand bevor, da kam mir der Gedanke, ein Laienspiel aufzuführen, was im Rauhen Haus eigentlich unmöglich war, denn die Brüder hatten doch keine Zeit. Wir nahmen uns die Zeit, um das Stück "Gevatter Tod" einzuüben. Dazu brauchten wir ein Mädchen und einen Geigenspieler. Die Haustochter von Pastor Wegeleben durften wir ausleihen und nach langem Suchen war Bruder Ferlau bereit, die Melodie „Es ist ein Schnitter, der heißt der Tod“ mit der Geige zu spielen. Im Weinberg (altes Gemäuer mit Saal) wurde das Stück aufgeführt. Wir haben es gewagt, obwohl auch manche die Nase rümpften. Zu Weihnachten hatte ich für die Öffentlichkeit den Adventspruch aufgesagt: „Das Licht scheint in der Finsternis. Aber die Finsternis hatte es nicht begriffen.“ Bruder Noack spielte den Weihnachtsmann und hat dabei Bruder Düwel mit der Rute verdroschen; der aber konnte keinen Spaß vertragen.
1939
Ja, und dann feierten wir den Beginn des Jahres 1939. Im Nachhinein wissen wir, es war ein schicksalschweres Jahr. Unter uns jungen Brüdern hatten sich Freundschaften angebahnt, etwa mit Bruder Bull und Bruder Konopatzki. Der erstere trat später aus. Von Konopotzki bekam ich nach dem Krieg ein Lebenszeichen. Er war Sekretär im CVJM geworden, und dann riss die Verbindung ab. Bruder Bull hatte Dienst in der Küche.
So kam dann auch die Verbindung zu den Mädchen zustande. Dort machte ein Fräulein Gabriel ihr Haushaltsjahr. Am 20.01.1939 sollte auf der Heideburg ein Treffen der Jugend sein mit einem Vortrag von Pastor Wegeleben. An diesem Sonntag hatte ich nun in der Zentrale bis mittags Dienst. Also verabredeten wir uns zu 14 Uhr im Stormarnweg – Hohle Rönne, Ecke Warendorf. Vom Rauhen Haus durfte niemand sehen, dass wir uns mit Mädchen trafen. Die eine hatte noch ihre Schwester Emmi für Bruder Bull mitgebracht. Also los ging es mit der Bahn bis Harburg, dann durch den Wald. Wir hatten dabei angeregte Gespräche. Auf der Heideburg nahmen wir am Vortrag teil, später saßen wir in der Sonne. Es war für Januar ein warmer Tag. Vor dem Weg saßen wir in der Heideburg bei einem Heideburggetränk auf dem „berühmten" Sofa, was später nochmals in unserem Blickpunkt auftauchen sollte. Auf dem Heimweg durch den Wald sprang dann der gewisse Funken über. Lisa Gabriel und der junge Bruder Wietholz wussten auf einmal, was los war, und ein paar Tage später kam dann von Lisa das Ja-Wort. Wie auf leisen Sohlen flogen wir förmlich dahin. Bruder Bull und ich gingen vom Berliner Tor zu Fuß ins Rauhe Haus. Es war ein Weg, der uns zu kurz vorkam. Am Tag später hatten wir uns durch den Verbindungsmann für den 1. Februar 1939 spät abends verabredet. Von uns Brüdern durfte abends keiner das Gelände verlassen. Ich hatte mir noch Maiglöckchen besorgt, und abends bin ich dann über das Gitter hinter dem Rauhen Haus geklettert. Wir trafen uns und gingen Hand in Hand durch die Weddestraße. Da kam es dann zu dem berühmten Satz: "Bin ich Ihnen auch genehm?" Die Maiglöckchen und diese Erklärung taten mir das Nächste. Man muss die Lisa, die heute 11 Enkel hat, fragen. Jetzt hatte für uns beide das Rauhe Haus noch einen besonderen Glanz. Es kam vieles auf uns zu. In der Concordia-Hoheluft stellte ich nun mein Mädel vor. Es gab eine Enttäuschung, denn jetzt musste man mich teilen. Aber bei jeder Stunde in Hoheluft begleitete Lisa mich. Meine Mutter hatte mich schon immer gewarnt. „Die Mädel taugen alle nichts“, war ihre Behauptung. Später wurde sie aber eines Anderen belehrt. Nicht zu vergessen, ich hatte auch eine 4 Jahre jüngere Schwester, die aber früh ihre eigenen Wege ging, heiratete und später in der Knauerstraße 11e, I. Etage, wohnte.
Dann passierte es, dass ich eines Tages vor unserer Wohnungstür stand, die man versiegelt hatte. Schlüssel musste ich bei der Polizei abholen. Mutter hatte in ihrem schweren Gemütszustand Hitler und Genossen aus dem Fenster rufend beleidigt. Daraufhin wurde sie von einem Nazi angezeigt und abgeholt. Mir wurde gesagt, sie sei in der Anstalt Friedrichsberg. Später kam sie nach Langenhorn und dann nach Pinneberg, immer unter Aufsicht. Sie wurde mit Medikamenten vollgepumpt, um diese Gemütsanfälle zum Stillstand zu bringen, was aber nicht gelang.
Zwischendurch traf Helmut Wittmack, einer unserer neuen Concorden, im Rauhen Haus ein. Mit meinem Mädchen trafen wir uns oft, wenn wir Freizeit hatten. Es wurden Wanderungen an der Elbe entlang gemacht oder in die Heide. Manchmal waren wir auch im Garten, Horner Landstraße 439, wo Lisas Vater Mitbesitzer eines Hauses war. Es waren schöne Sommerabende in der Laube. Vom Schwarzen Weg hinter dem Grundstück konnte man durch eine Pforte in den Garten gelangen. Natürlich waren die Eltern gespannt, was wohl ihre Tochter da herangeschleppt hatte. Aber noch blieb ich für die Eltern im Dunkeln.
Es gab allerlei Ereignisse in unserem Leben. Abends spät in der Anstalt schrieb ich Nachrichten der Bekennenden Kirche, besuchte auch Versammlungen bei Pastor Remé in der St. Gertrud-Gemeinde. Zu Ostern erfüllte sich mein Wunsch, ins Seminar DW II - Diakonsklasse zu kommen. Am ersten Schultag hatte ich gleich eine Auseinandersetzung mit zwei Dozenten: Sie fragten, warum ich kein Abzeichen der Partei trüge. Zwei Stunden lang versuchte man, uns vom Nationalsozialismus zu überzeugen. Unsere Antwort vor ca. 12 Schülern: "Wir sind in der bekennenden Kirche." Dies schlug natürlich wie eine Bombe ein. Eine Dozentin wollte uns klarmachen, dass es ums Rauhe Haus gehe. Wir säßen alle in einem Boot! Wir aber nicht! Daraus ergab sich eine Unstimmigkeit unter den Schüler-Brüdern. Ältere wollten austreten. Wir verabredeten am Nachmittag im Blohmspark ein geheimes Treffen, denn im Rauhen Haus waren wir uns nicht sicher genug. Viele der älteren Brüder gehörten ja verschiedenen Parteiorganisationen an. Im Park kam dann eine Aussprache zustande. Manche wollten austreten und nach Moritzburg gehen, was dann auch geschah. Mein Entschluss galt für alle anderen: Durch Weggehen ändern wir nichts. Aushalten, auch unter schwierigen Bedingungen. Es wird die Stunde kommen, wo es wieder anders werden wird.
In der nächsten Zeit wurden wir schulwissenschaftlich auf Vordermann gebracht. Hier nahm sich Bruder Germer viel Zeit. Wir profitierten von dem, was er uns mitgab, doch eine ganze Menge. Von der Wichernschule tauchte auch ein Lehrer auf, der für Biologie zuständig war, auch ein SS-Mann. Er versuchte, uns zusammen mit seiner Kollegin zu beeinflussen und erreichte das Gegenteil. Bei den Auseinandersetzungen ging es hart her, und in der I. Etage lagen Füßinger und Jahnke aus dem Fenster und hörten mit. Man wagte aber nicht, uns zur Rede zu stellen, sondern suchte wohl einen Ausweg. Habe mit den verantwortlichen Leuten verhandelt, um 14 Tage Urlaub zu bekommen, um nach Borkum ins Bibellager zu fahren. Dies wurde von der RH-Leitung genehmigt. Nun sollte auch Lisa mit. Das Hindernis waren die Eltern. Flugs kaufte ich einen Blumenstrauß und besuchte Lisas Eltern. Stellte mich als Diakonsschüler des Rauhen Hauses vor und betörte die Mutter mit meinem nicht vorhandenen Charme. Immerhin, nach langem „Wenn und Aber“, bekamen wir die Genehmigung gemeinsam zu reisen. Hoffentlich bekämen sie ihre Tochter heil wieder. Wir sind vom Hauptbahnhof Richtung Bremen mit dem Zug gefahren. Unsere Fahrräder hatten wir aufgegeben. Ab Bremen ging es per Pedes nach Apen ins Pfarrhaus. Pastor Stöver und Frau nahmen uns herzlich auf. Es sollte der letzte Besuch sein. Später hörten wir, das