Der Schatten Deiner Seele. Hazel McNellis
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»Zeig mir diesen Ort, bring mich dahin!«, sagte er deshalb.
02 – Sandmann
»Du nennst sie Hüter«, erklärte Kierans Begleiter auf dem Weg durch die Wüste. »Wir sagen: Wächter von Zeit und Raum.«
Sie hatten sich zügig auf den Weg gemacht, mit ein paar Wasserbeuteln und einer Tasche voll getrockneter Früchte.
»Wer weiß über sie Bescheid?«, fragte Kieran. Ihm perlte trotz der luftigen Kleidung der Schweiß aus den Poren.
»Das Wüstenvolk hütet Geheimnis. Wenige wissen von Existenz. Keiner sucht sie. Sie wollen Kontakt nicht.« Sein Blick streifte Kieran. »Sie mögen Fremde nicht.«
»Dann sind sie sicher begeistert, mich zu sehen.«
Der Wanderer klopfte ihm lachend auf die Schulter.
Kein einziges Wölkchen zog über ihren Köpfen hinweg. Kieran schaute oft zum Horizont hin. Immerzu rechnete er damit, die finstere Schwärze aus seiner Welt heraufziehen zu sehen. Diese fremdartigen Wolken, die wie Pech alles bedeckten und verseuchten. Er schauderte.
Sie errichteten ein kleines Lager für die Nacht, von dem sie sich früh wieder erhoben, um ihre Reise fortzusetzen. Das Gebirge, dass er bei seiner Ankunft in dieser Welt gesehen hatte, blieb währenddessen stets an ihrer Seite.
»Wo müssen wir hin?«, fragte Kieran im Verlauf des Vormittags. Sie waren heute schweigsamer als gestern. Obwohl ihre Heimatwelten sich voneinander unterschieden, hatte keiner von ihnen ein Interesse daran, den anderen näher kennenzulernen.
Kieran musste unbedingt zu diesen Wächtern, wenn er den Faden loswerden und Ariana finden wollte. Die Hüter dieser Welt waren seine Gelegenheit. Nur sie wussten, wohin er wirklich gehörte.
Sein Begleiter deutete voraus.
Das abflachende Gebirge zeichnete scharfe Kanten in den Himmel und mündete in einem kleineren Hügel. Eine pechschwarze Stelle offenbarte den Ort, wo der Felsen auf Sand traf. Schwarz wie die Nacht hob sie sich vom Rest des Gesteins ab.
»Ist das eine Höhle?«
Sein Führer nickte. »Eingang zum Archiv. Tunnel weisen den Weg zu den Antworten. Aber kaum einer wagt sich so tief hinein.«
Er schaute ihn schräg von der Seite aus an. Fürchtete er etwa, er liefe eingeschüchtert davon? Kieran ignorierte die Blicke und fixierte den Tunneleingang.
Die Höhle war größer als vermutet. Von innen drang kein Lichtschein hinaus. Nur ein kalter Luftstrom wehte ihnen entgegen. Sie trug den Atem kühlen Gesteins, abgestandener Feuchte und etwas anderes mit sich. Kieran konnte den Geruch nicht eindeutig zuordnen. Er legte sich jedoch schwer auf die Schleimhäute.
»Bereit?«
Kieran nickte.
Schon nach wenigen Schritten verengte sich der Tunnel und zwang sie, hintereinander zu laufen. An dieser Stelle tauchten endlich ein paar Fackeln auf. Sie brannten schwach, warfen aber genügend Licht an die schwarzen Wände, um dem Weg zu kennzeichnen. Anders als im Elfenreich verströmten sie nicht den charakteristischen Geruch von Feuer und verbranntem Trolldung. Kieran sah sie genauer an und erkannte eine Art geruchlos leuchtenden Stein in den Aussparungen der Felsen. Stirnrunzelnd folgte er seinem Führer tiefer in den Berg hinein. Der Tunnel verengte sich weiter. Sie krümmten sich, um hindurch zu gelangen. Kieran schnaufte.
»Wer hat sich diese Konstruktion erdacht?!«, brummte er. Sein Begleiter lachte.
»Das wissen die Götter.«
Der Luftstrom verstärkte sich und strich ihnen über ihre verschwitzten Hälse und Gesichter. Die bleierne Schwere löste sich und machte einer frischeren Kühle Platz.
Der unterirdische Gang wurde breiter und höher. Schließlich mündete er in eine Art Halle. Sie ähnelte jener der Hüter in seiner Welt. Hier aber sah er kein dickes Bündel roter Fäden. Der Saal lag vollkommen verlassen vor ihnen. Sand bedeckte den Boden. Wandhalter enthielten vereinzelt leuchtende Steine. Ein spärlicher, orange wirkender Lichtschein erhellte die Umgebung. Trotz des Schimmers auf Wänden und Boden herrschte eine bedrückende Atmosphäre im Raum.
»Wo sind die Wächter?«, fragte Kieran. Sein Begleiter antwortete nicht. Er trat bereits den Rückzug an und war drauf und dran, ihn in dieser sandigen Höhle allein zu lassen. Ihm blieb keine Zeit, um sich mit dem flüchtenden Wanderer zu befassen. Ein Geräusch drang an sein Gehör. Kieran neigte den Kopf und runzelte angestrengt die Stirn, um den Ursprung besser ausmachen zu können. Da sah er es schon.
Ein dünnes Rinnsal feinsten Sandes rieselte von der in Schatten verborgenen Decke herab und in die Mitte der Halle. Dort oben herrschte absolute Finsternis. Das hatten dieser Ort und die heilige Stätte in seiner Welt gemeinsam.
Korn für Korn türmte sich der Sand auf. Der Nomade hinter ihm war kaum noch im Tunnelgang auszumachen.
Am liebsten wäre er ebenfalls geflüchtet. Bevor alles einstürzte und er unter Sand begraben wurde. Stattdessen verharrte er an Ort und Stelle, die Hand am Griff des einzigen Dolches, den ihm die Wüstenwanderer überlassen hatten.
Das Rieseln veränderte sich, wurde lauter, summte und brummte, wie in einem Bienenstock. Eine kräftige Vibration durchzog die Halle und fuhr ihm durch sämtliche Glieder.
Schließlich fiel das letzte Sandkorn herab. Es glitzerte, als würde es von einer eigenen Lichtquelle angestrahlt. Trotz der Ungewissheit wuchsen die Faszination und das Interesse in ihm und er trat einen Schritt vor. Kieran starrte auf den unförmigen Haufen vor sich. Er hatte so etwas noch niemals zuvor gesehen.
Der Sand bewegte sich, bildete Wölbungen und Erhebungen, wo vorher keine waren. Plötzlich stürzte es in sich zusammen wie bei einem Ballon, aus dem die Luft entwich. Ein dumpfer Ton folgte der Bewegung. Er dröhnte grollend durch Kierans Adern. Hilflos sank er auf die Knie und presste sich die Hände auf die Ohren. Jedes einzelne Sandkorn strahlte lichterloh, sodass er kaum noch hinsehen konnte.
Er hielt sich einen Arm vor das Gesicht, um den grellen Lichtschein zu mildern. Gleichzeitig versuchte er, den Sand im Blick zu behalten. Die Sandkörner rollten wie winzige Murmeln in seine Richtung. Das Grollen verstummte.
Kieran stolperte zwei Schritte zurück. Dabei griff er hastig nach dem Dolch in seinem Hosenbund und stieß gegen eine der Sandmauern. Erschrocken blickte er um sich. Die Wände rückten näher. Eine andere Erklärung hatte er nicht. Überall schossen rote Fäden aus den sandigen Mauern. Aus jeder Ritze kamen sie hervor, wickelten sich blitzschnell um seine Gliedmaße. Sie umklammerten ihn, fixierten ihn an Ort und Stelle. Der Druck, den sie auf ihn ausübten, nahm zu. Sie umwickelten die Handgelenke wie bösartige Schlangen. Er zischte vor Schmerz. Die Fäden rissen seinen Arm zurück. Er prallte hart gegen die Mauer und die einzige Waffe entglitt seinen Fingern.
»Was passiert hier?«, rief er.
Sein Begleiter war längst auf und davon. Nur das leise Echo der eiligen Schritte war noch hörbar, ehe es einen Moment später verklang und Stille sich breitmachte.
»Was soll das?«, ertönte eine Stimme, deren Lautstärke ihm in den Ohren schmerzte. »Was willst du?«
Kieran zerrte an den Fesseln, aber sie gaben nicht nach.
»Ich