Der Schatten Deiner Seele. Hazel McNellis
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Читать онлайн книгу Der Schatten Deiner Seele - Hazel McNellis страница 6
Er starrte den Wächter an, die Fäuste geballt und die Zähne angespannt zusammengebissen.
Der Hüter fuhr fort: »Was ist mit deiner Heimatwelt, Kieran Maktùr? Was ist mit den Elfen dort? Mit all den Missständen? Der Sklaverei? Warst du nicht derjenige, dem dieser Zustand nicht behagte? Der nicht wagte, sich seinem eigenen Volk zu widersetzen, obwohl du ihr Gebieter warst? Willst du die Menschenfrau, an die du dein Herz so fest gehängt hast, wieder mitnehmen ins Elfenreich? Was soll aus dieser Prinzessin werden, die du liebst?«
Kieran sah zu Boden. Widerstrebend gestand er sich ein, dass der Hüter in dem Punkt recht hatte. Er durfte den Emotionen nicht leichtfertig nachgeben, wenn so viel mehr auf dem Spiel stand. Er dachte an das schwarze Nichts, das seine Welt bedrohte. An all die Menschen, die für die Elfen arbeiteten. All die Brandmale, die Zeichen der Zugehörigkeit auf ihren Leibern ...
»Ich muss sie wiedersehen.«
»Das sollst du.«
Sein Kopf fuhr hoch. »Wie?«
Der Sandmann lächelte.
Der Sand toste um Kieran herum und hüllte ihn ein.
Er wollte schreien, dem Sandsturm trotzen und gleichzeitig entgehen. Der Sand wirbelte um ihn her, wirbelte ihn umher – und brachte den Wandel. Er bemerkte es tief in seinem Inneren. Sie entrissen ihm etwas Entscheidendes. Und er konnte nichts dagegen tun.
Der Sturm legte sich. Die Hüter waren fort. Ebenso der Sand und die Halle. Es gab keine Fäden um ihn herum, keine Anzeichen für die Wüste. Stattdessen hockte er mitten auf einer belebten Straße mit groben Pflastersteinen, die vom Regen nass glänzten. Die Menschen um ihn herum starrten befremdet auf ihn herab. Einige flüsterten miteinander, andere schüttelten den Kopf. Wieder andere wandten hastig den Blick ab.
Er setzte sich auf und bemerkte dabei seine bemitleidenswerte Erscheinung. Er trug einen fadenscheinigen groben Umhang in dreckigem Braun am Leib – mehr nicht. Entsetzen und Beschämung stellten sein Empfinden auf den Kopf. Hektisch raffte er den dünnen Stoff um sich. Er schwankte, ihm schwindelte kurz, und er taumelte zwei Schritte zur Seite. Dort prallte er mit einem Mann zusammen, der ihn murrend von sich stieß.
Das Pflaster unter seinen nackten Sohlen war schmierig, kaltnass und finster wie die Nacht. In der Ferne hörte er Marktschreier Handelsware anpreisen. Die Häuser waren ihm fremd. Wo war er gelandet?
Er hatte diesen Ort niemals zuvor gesehen.
Woher kam er?
Wie sah sein Leben aus?
Wer war er?
Verzweiflung wallte in ihm auf. Er runzelte aufgebracht die Stirn. Er zerbrach sich den Kopf, hielt ihn fest umklammert, als könne er seine Erinnerung auf diese Weise zurechtrücken.
Und doch fand er keine Antworten.
Wie war sein Name?
Er hatte keine Ahnung.
All seine Erinnerungen waren zu einem dunklen Loch mutiert, das alles verschluckte und im Geheimen hielt. Es gab sie noch, das fühlte er. Sie existierten. Gleichzeitig fiel ihm überhaupt nichts ein. Diese Erkenntnis führte ihn unumstößlich zu den beiden nächstliegenden Fragen: Was war mit ihm passiert und was sollte er jetzt tun?
03 – Wissen
Die Dunkelheit wich zurück, um dem neuen Tag Platz zu schaffen. Vor dem Fenster prasselten die Regentropfen auf das Gestein des Palastes. Ariana lauschte einem Augenblick dem steten Klopfen und Rauschen. Am Horizont lockerte die Wolkendecke bereits auf. Sobald die Sonne sich zeigte, würden sie und Fionn umziehen. Der Gedanke bereitete ihr Bauchschmerzen. Sie waren seit zwei Wochen verheiratet, aber all die Zeit mit dem breiten Ring am Finger änderte ihre Gefühle nicht.
Sie liebte ihren Ehemann nicht, würde es nie.
Er war ihr bester Freund.
Ihr Vertrauter.
Immer wieder erklärte er ihr seine Liebe und dass er als Mann mehr von ihr begehrte als ihre Freundschaft. Doch all seine Beteuerungen, all sein Bitten und Fluchen änderten nichts. Sie war trotz allem nicht fähig, ihr Herz zu öffnen, um ihn hineinzulassen. Seit ihrer Rückkehr aus dem Reich der Elfen war es ihr unmöglich, einen anderen als Kieran Maktùr zu lieben.
Jede Nacht erinnerte sie sich an den Elfenkönig. Er war ihre persönliche Seelenkrankheit. Sie vermisste ihn so sehr. Immer wenn sie Fionn nicht länger ausweichen konnte, war es der Dunkelelf, der ihre Gedanken einnahm. Er half ihr durch all die finsteren Stunden der Nacht, machte ihr den ehelichen Beischlaf eine Winzigkeit aushaltbarer. Dabei war alles grundlegend falsch. Sie kam sich vor wie eine Betrügerin.
Die Nächte neben oder unter dem Prinzen erschienen ihr wie ein doppelter Betrug. Obwohl sie ihn anflehte, heulte, fluchte und bettelte, konnte sie ihn nie abhalten. Und in der letzten Nacht war schließlich das Unaussprechliche geschehen:
Sie hatte seinen Namen gesagt. Es war lediglich ein hilfesuchendes Flüstern gewesen. Doch Fionn hatte es gehört. Vermutlich würde sie nie vergessen, wie er sie danach angesehen hatte. Er sprach seither kein Wort mehr zu ihr. Stattdessen hatte er sich komplett von ihr zurückgezogen. Er hatte sie mit den erniedrigenden Gedanken, der Verwirrung und der Last der Schuld, die sie trotz allem empfand, alleingelassen. Es sollte sie erleichtern, dass er ihr fernblieb. Immerhin verschonte sie dieser Umstand von seinen körperlichen Zuwendungen. Doch die Erleichterung kratzte nur kurz an der Oberfläche ihrer Gefühle. Vielmehr lag ihr Herz abermals in Scherben. Sie hatte nicht nur die Liebe ihres Lebens in einer anderen Welt zurücklassen müssen, sondern ebenso ihren besten Freund verloren. Als wäre all das nicht schlimm genug, hatte sie ihre Verpflichtung als Prinzessin von Tarnàl sträflich vernachlässigt. Mit ihrer unbedachten Äußerung und Rebellion gegen die Ehe riskierte sie die Allianz, die beide Reiche einen sollte. Jetzt saß sie im Schimmer der Kristalle vor dem Spiegel und starrte in ihr fahles Gesicht. Das Puder, das sie nutzte, half ihrem Teint auch nicht weiter. Ihre Augen waren dunkel umrandet. Eine erschütternde Röte füllte das Weiß ihrer Augen und in ihre Stirn hatte sich eine dünne Sorgenfalte eingegraben. Die halbe Nacht lang hatte sie sich ihrem Schmerz und damit den Tränen der ohnmächtigen Hilflosigkeit ergeben. Neue Verzweiflung verengte ihr die Kehle, da ging die Tür auf und Fionn kam herein. Bei seinem Anblick verkrampften ihre Muskeln. Stockstarr sah sie ihn an, wischte sich geistesabwesend über die Wangen, um die Spuren ihres Kummers zu verwischen. Er beachtete sie kaum. Der Bartschatten zierte sein sonst gepflegtes Gesicht. Unter seinen Augen waren ebenfalls Schatten sichtbar. Das Hemd war zerknittert und sie erkannte sandfarbene Tropfen auf der Knopfleiste. Offensichtlich war die Nacht an ihm ebenso schlecht vorübergegangen wie an ihr. »Fionn, es-« Er hob abwehrend die Hand. »Sag kein Wort. Wir müssen uns fertigmachen, die Kutsche steht zur Abfahrt bereit.« Die Scherben ihres Herzens wurden bleiern. All die ungesagten Worte, all die neue Feindseligkeit zwischen ihnen, verdichteten sich in ihrem Hals zu einem mächtigen Kloß, den es runterzuschlucken galt. Sollte ihre Ehe so aussehen? Ihre Zukunft und ihr Leben? Sie schluckte abermals und kniff die Augen fest zusammen, bis es schmerzte und die Tränen keinen Raum mehr hatten, um zu fließen. Ariana zwang sie zurück in ihren Körper und zurück in ihr Herz. Sie strich mit der Bürste durch ihre weißblonden Haare. Dabei verfolgte sie, wie Fionn zügig die Kleidung wechselte, ihr keinen einzigen Blick zuwarf, und an die Tür trat. Wie würde er mit ihr umgehen, sobald sie in seinem Heim angekommen waren? Schnell verbannte