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Petersburg oder Fürst auf dem Kaukasus werden, ich würde lieber Schornsteinfeger sein, als hier unter einer Platane liegen und irgendeine idiotische, dreckige Lesghinierin anglotzen. Und die Tscherkessinnen, was für ein Schund ist das bei Licht besehen.«

      »Sag' das nicht.«

      Lajewskij versank in Gedanken. Samoilenko musterte seine gebeugte Gestalt, die ins Leere starrenden Augen, das blasse, schweißige Gesicht, die eingefallenen Schläfen, die abgekauten Nägel und den Pantoffel, der von der Ferse hinunterhing und einen mangelhaft gestopften Strumpf sehen ließ, und fühlte Mitleid mit ihm. Und wahrscheinlich, weil er ihm wie ein hilfloses Kind vorkam, fragte er:

      »Lebt deine Mutter noch?«

      »Ja, aber wir sind ganz auseinander. Sie konnte mir diese Verbindung nicht verzeihen.«

      Samoilenko hatte seinen Freund gern. Er sah in ihm einen guten Kerl, eine studentische Seele, einen zwanglosen Menschen, mit dem man gut ein Glas Wein trinken, einen Scherz machen und nach Herzenslust schwatzen konnte. Was er an ihm verstand, gefiel ihm durchaus nicht. Lajewskij trank viel und außer der Zeit, spielte Karten, kümmerte sich nicht um seine Arbeit, lebte über seine Mittel, gebrauchte häufig im Gespräch unpassende Ausdrücke und zankte sich in Gegenwart dritter mit Nadeschda Fjodorowna – das alles gefiel Samoilenko durchaus nicht. Andererseits hatte Lajewskij Philosophie studiert, war auf zwei dickleibige Zeitschriften abonniert, redete oft so klug, daß nur wenige es verstanden, und lebte mit einer intelligenten Frau zusammen – das alles verstand Samoilenko nicht, und es gefiel ihm. Dafür stellte er Lajewskij über sich und empfand Hochachtung vor ihm.

      »Noch eine Kleinigkeit,« sagte Lajewskij kopfschüttelnd, »es bleibt aber unter uns. Ich verheimliche es noch vor Nadeschda Fjodorowna, verplappere dich nicht ihr gegenüber. Vorgestern hab' ich einen Brief bekommen: ihr Mann ist an Gehirnerweichung gestorben.«

      »Gott hab ihn selig!« stieß Samoilenko hervor, »warum verheimlichst du ihr das denn?«

      »Ihr diesen Brief zeigen, das hieße einfach: sei so freundlich und komm in die Kirche zur Trauung. Aber zuerst muß Klarheit in unsere Beziehungen kommen. Wenn sie sich überzeugt hat, daß ein weiteres Zusammenleben zwischen uns unmöglich ist, dann zeig' ich ihr den Brief. Dann hat es keine Gefahr mehr.«

      »Ich will dir was sagen, Wanja,« sagte Samoilenko, und sein Gesicht bekam plötzlich einen betrübten und bittenden Ausdruck, als wollte er eine sehr große Bitte tun und fürchtete ein Nein: »Heirate sie, lieber Freund.«

      »Warum?«

      »Erfülle deine Pflicht gegen diese reizende Frau. Ihr Mann ist gestorben, und auf diese Weise hat dir ja die Vorsehung selbst gezeigt, was du tun sollst.«

      »Merkwürdiger Kauz, kapierst du denn nicht, daß das unmöglich ist? Heiraten ohne Liebe ist ebenso schlecht und menschenunwürdig wie das Abendmahl nehmen ohne Glauben.«

      »Aber es ist deine Pflicht.«

      »Warum ist es meine Pflicht?« fragte Lajewskij ärgerlich.

      »Du hast sie ihrem Mann entführt und die Verantwortung für sie übernommen.«

      »Verstehst du denn nicht? Ich spreche doch russisch: ich lieb' sie nicht.«

      »Wenn du sie nicht liebst, so achte sie, verehre sie –«

      »Achte sie, verehre sie,« äffte Lajewskij nach, »ist sie denn eine Heilige? Ein schlechter Psychologe und Physiologe bist du, wenn du glaubst, man könnte mit einem Frauenzimmer nur auf der Basis von Achtung und Verehrung zusammenleben. Den Weibern kommt es vor allem auf das Bett an.«

      »Wanja, Wanja –« sagte der Doktor verlegen.

      »Du bist ein altes Kind und ein Theoretiker, ich aber bin ein junger Greis und ein Praktiker. Wir werden uns nie verstehen. Hören wir lieber auf. – Mustapha,« rief Lajewskij den Kellner, »zahlen!«

      »Nein, nein,« sagte der Doktor erschrocken und ergriff Lajewskijs Hand, »ich bezahle das, ich hab's bestellt. – Schreib es auf meine Rechnung,« schrie er Mustapha zu.

      Die Freunde standen auf und gingen. Am Anfang des Boulevards blieben sie stehen und drückten sich zum Abschied die Hand.

      »Sehr verwöhnt bist du, mein Lieber,« seufzte Samoilenko, »da schickt dir der Himmel eine junge, schöne, gebildete Frau, und du willst sie los sein. Und ich – wenn mir der liebe Gott nur eine bucklige alte Schachtel bescherte, wie zufrieden wäre ich, wenn sie nur gutmütig und freundlich wäre. Ich würde mit ihr auf meinem Weinberg leben und –«

      Samoilenko wurde verlegen und sagte:

      »Und da könnte mir die alte Hexe Tee kochen.«

      Als er sich von Lajewskij verabschiedet hatte, schlenderte er den Boulevard hinunter. Er gefiel sich außerordentlich, und ihm schien, jedermann betrachte ihn mit Vergnügen, wenn er so daherkam, gewichtig, majestätisch, mit strengem Gesichtsausdruck, in seinem schneeweißen Waffenrock und mit den vorzüglich blankgewichsten Stiefeln, die Brust mit dem Wladimirorden darauf mächtig vorgewölbt. Ohne den Kopf zu wenden, blickte er nach beiden Seiten und fand, daß der Boulevard vorzüglich angelegt wäre, daß die jungen Zypressen, Eukalyptus und die häßlichen, kümmerlichen Palmen sehr schön wären und mit der Zeit einmal prachtvoll Schatten geben würden, und daß die Tscherkessen ein ehrliches und gastfreundliches Volk wären. Merkwürdig, dachte er, daß der Kaukasus Lajewskij nicht gefällt, höchst merkwürdig. Jetzt begegneten ihm fünf Soldaten mit Gewehren und machten ihre Ehrenbezeugung. Dann ging auf dem rechten Trottoir die Frau eines Beamten vorüber mit ihrem Sohn, der Gymnasiast war.

      »'n Morgen, Marja Konstantinowna,« rief Samoilenko ihr liebenswürdig lächelnd zu, »kommen Sie vom Baden? Ha, ha, ha – Empfehlung an Nikodim Alexandrowitsch.«

      Er ging weiter und lächelte noch immer liebenswürdig. Da erblickte er aber den Oberlazarettgehilfen Bylin, der ihm entgegenkam; plötzlich zog er die Stirn in Falten, hielt ihn an und fragte:

      »Keine Kranken im Lazarett?«

      »Nein, Exzellenz!«

      »Was?«

      »Niemand, Exzellenz.«

      »Gut. Marsch.«

      Majestätisch schaukelnden Ganges schritt er auf die Selterswasserbude zu, hinter deren Ladentisch eine dicke alte Jüdin saß, die sich für eine Georgierin ausgab, und sagte laut, als gelte es ein Regiment zu kommandieren:

      »Bitte schön, ein Sodawasser.«

      2

      Daß Lajewskij Nadeschda Fjodorowna nicht liebte, äußerte sich vornehmlich darin, daß er alles, was sie sagte und tat, für eine Lüge oder etwas Ähnliches hielt. Und alles, was er gegen die Weiber und die Liebe las, schien ihm, als könnte es nicht treffender in Bezug auf ihn, Nadeschda Fjodorowna und ihren Mann gesagt sein. Als er nach Hause kam, saß sie schon angezogen und frisiert am Fenster und trank mit sorgenvollem Gesicht Kaffee und blätterte in einer dickleibigen Zeitschrift. Er dachte: das Kaffeetrinken ist doch wirklich kein so wichtiges Ereignis, daß man deshalb ein sorgenvolles Gesicht zu machen braucht. Und die Zeit, die sie auf ihre moderne Frisur verwandt hat, ist auch fortgeworfen. Hier war niemand, dem man gefallen konnte. Auch in der Zeitschrift erblickte er eine Lüge. Er dachte: sie putzt und frisiert

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