Das Duell. Anton Tschechow

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Das Duell - Anton Tschechow

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den ist es doch wahrhaftig nicht schade,« sagte Herr von Koren, »wenn dieser angenehme Herr ins Wasser fiele, dann würde ich ihn mit dem Spazierstock tiefer hineinstoßen: Versauf' du nur, mein Teurer.«

      »Das ist nicht wahr, das würdest du nicht tun.«

      »Warum glaubst du das?« Der Zoolog zuckte mit den Schultern, »ich bin ebenso fähig zu einem guten Werk, wie du.«

      »Ist das ein gutes Werk, einen Menschen ertränken?« lachte der Diakon.

      »Lajewskij zu ersäufen, ja.«

      »In der Suppe fehlt, glaub' ich, etwas,« sagte Samoilenko. Er wollte auf ein anderes Thema kommen.

      »Lajewskij ist unbedingt schädlich und für die Gesellschaft genau so gefährlich wie ein Cholerabazillus,« fuhr Herr von Koren fort, »ihn zu ersäufen ist eine verdienstvolle Tat.«

      »Es macht dir wirklich keine Ehre, so von deinem Nächsten zu denken.«

      »Rede keinen Unsinn, Doktor. Einen Bazillus zu hassen und zu verachten ist dumm, aber jeden ersten Besten ohne Unterschied für seinen Nächsten zu halten, – dafür danke ich schön! Das heißt, überhaupt nicht urteilen, auf jedes gerechte Verhalten den Menschen gegenüber verzichten, sich sozusagen die Hände waschen. Ich halte deinen Lajewskij für einen Schurken, das verheimliche ich nicht und behandle ihn nach meinem Gewissen wie einen Schurken. Du aber hältst ihn für deinen Nächsten, also küsse ihn von mir aus! Du hältst ihn für deinen Nächsten, er bedeutet dir also dasselbe wie ich, wie der Diakon, – also gar nichts. Du bist gegen alle in gleichem Maße gleichgültig.«

      »Einen Menschen einen Schurken nennen!« brummte Samoilenko, den Mund verziehend. »Das ist so häßlich ... ich kann dir gar nicht sagen, wie häßlich es ist!«

      »Menschen beurteilt man nach ihren Taten,« sagte Herr von Koren, »nun sehen Sie selbst, Diakon – die Tätigkeit dieses Herrn Lajewskij liegt wie eine lange chinesische Schriftrolle vor unseren Augen, und wir können sie vom Anfang bis zum Ende lesen. Was hat er die zwei Jahre vollbracht, die er hier ist? Man kann's an den Fingern abzählen. Erstens hat er den Leuten das Whistspielen beigebracht. Vor zwei Jahren war dies Spiel hier unbekannt. Jetzt spielt jeder vom frühen Morgen bis in die späte Nacht Whist, sogar die Frauen und die halbwüchsigen Bengel. Zweitens hat er den Leuten das Biersaufen gelehrt, was früher auch nicht Mode war. Außerdem sind sie ihm auch dafür zu Dank verpflichtet, daß er sie mit den verschiedenen Schnapssorten bekannt gemacht hat. Jetzt kann ja jeder mit verbundenen Augen den Koscheljowschen Branntwein von dem Smirnowschen unterscheiden. Drittens hat man hier früher mit anderer Leute Frauen heimlich gelebt, aus denselben Beweggründen, aus denen die Diebe heimlich und nicht öffentlich stehlen. Den Ehebruch hielt man für etwas, was man sich schämen mußte öffentlich auszustellen. Lajewskij erschien als Pionier in dieser Hinsicht. Er lebt öffentlich mit eines anderen Mannes Frau zusammen. Viertens –«

      Herr von Koren aß schnell seine Suppe auf und gab den Teller dem Burschen.

      »Ich war mir schon im ersten Monat unserer Bekanntschaft ganz klar über Lajewskij,« fuhr er fort und wandte sich an den Diakon, »wir sind zu gleicher Zeit hergekommen. Menschen von seinem Schlag lieben die Freundschaft, Anschluß, Solidarität und dergleichen, weil sie immer Gesellschaft für Whistspielen und Schnapstrinken brauchen; außerdem sind sie geschwätzig und brauchen Zuhörer. Wir wurden befreundet, d. h. er kam jeden Tag zu mir gelaufen, störte mich in meiner Arbeit und kramte allerlei Intimitäten über seine Maitresse aus. Anfangs überraschte er mich durch seine Verlogenheit, die mir einfach den Hals zuschnürte. Als Freund wusch ich ihm den Kopf, weil er zu viel trank, über seine Mittel lebte, Schulden machte, gar nichts tat und nicht einmal las, weil er so wenig gebildet war und nichts wußte. Auf alle meine Vorwürfe lächelte er nur bitter und sagt«: ›Ich bin ein Pechvogel, ein überflüssiger Mensch!‹ oder: ›Was verlangen Sie, Liebster, von uns, den Epigonen der Leibeigenschaftszeit?‹ oder: ›Wir degenerieren …‹ Oder er fing an, eine lange, blödsinnige Rede zu halten über Puschkins Onegin, Lermontows Petschorin, Byrons Kain, Turgenjews Basarow, von denen allen er behauptete: ›Sie sind unsere Väter im Fleische und Geiste.‹ Es folgte daraus, daß es nicht seine Schuld war, daß die amtlichen Korrespondenzen wochenlang unerbrochen herumlagen, daß er selbst trank und andere betrunken machte, sondern die Schuld Onegins, Petschorins und Turgenjews, der den Pechvogel und überflüssigen Menschen erfunden hat. Der Grund für seine Liederlichkeit und den ganzen Unfug liegt also nicht in ihm selbst, sondern irgendwo im Raume! ... Und dann noch dieser Witz: liederlich, verlogen und eklig ist nicht er allein, sondern ›die ganze Generation der 80er Jahre‹, ›wir, die welken, nervösen Spätgeborenen der Leibeigenschaftsperiode‹, ›die Zivilisation hat uns zu Krüppeln gemacht‹... Mit einem Worte, Sie müssen begreifen, daß ein so großer Mann wie Lajewskij auch in seinem Fallen groß ist, daß seine Liederlichkeit, Unbildung und Unwirklichkeit eine naturhistorische, von der Notwendigkeit geheiligte Erscheinung darstellen, daß dem universale, elementare Ursachen zugrunde liegen und daß man vor Lajewskij eine Ampel – wie vor einem Heiligenbilde – entzünden muß, weil er das unglücklichste Opfer des Zeitalters, der geistigen Strömungen, der Vererbung usw. ist. Alle die Beamten und ihre Damen machten Ach und Oh, wenn er loslegte, und ich konnte lange nicht herauskriegen, mit wem ich es eigentlich zu tun hätte: mit einem Zyniker oder einem gewandten Schwindler? Solche Subjekte, die scheinbar intelligent sind, ein bißchen an der Bildung gerochen haben und viel von ihrem eigenen Edelmut reden, verstehen es, sich den Anschein zu geben, als wären sie ungewöhnliche Naturen.«

      »Schweig' still,« fuhr Samoilenko auf, »ich dulde nicht, daß man in meiner Gegenwart von einem vorzüglichen Menschen schlecht spricht.«

      »Unterbrich mich nicht, Alexander Dawidowitsch,« sagte Herr von Koren kühl, »ich bin gleich fertig. Lajewskij ist ein ziemlich einfacher Organismus. Man kann ihn folgendermaßen moralisch analysieren: morgens: Pantoffeln, Baden und Kaffee; nachher bis Mittag: Pantoffeln, Motion und Unterhaltung; um zwei Uhr: Pantoffeln, Mittag und Wein; um fünf Uhr: Baden, Tee und Wein; nachher Whist und Lügen; um zehn Uhr: Abendessen und Wein; und nach Mitternacht: Schlafen und la femme. Seine Existenz ist in dies enge Programm eingeschlossen, wie das Ei in seine Schale. Ob er geht oder sitzt, sich ärgert, schreibt oder sich freut, alles bezieht sich auf Wein, Karten, Pantoffeln und Weiber. Das Weib spielt eine verhängnisvolle, erdrückende Rolle in seinem Leben. Er selbst berichtet, daß er schon mit dreizehn verliebt war; als Student im ersten Semester hatte er ein Verhältnis mit einer Dame, die eine wohltuende Wirkung auf ihn gehabt und der er seine musikalische Bildung zu verdanken hat. Als Student im dritten Semester befreite er eine Prostituierte aus einem Bordell und hob sie zu sich empor, das heißt machte sie zu seiner Maitresse; sie aber kehrte nach einem halben Jahr wieder zu ihrer Wirtin zurück, und diese Flucht verursachte ihm nicht wenig seelische Qualen. Der Ärmste quälte sich so furchtbar, daß er die Universität verlassen und zwei Jahre zu Hause, ohne jede Beschäftigung bleiben mußte. Aber alles wendete sich zum besten. In seiner Heimat wurde er mit einer Witwe intim, die ihm den Rat gab, das juristische Studium aufzustecken und mit dem philologischen zu beginnen. Das tat er auch. Als er ausstudiert hatte, verliebte er sich in seine jetzige – wie heißt sie noch? – die Verheiratete und mußte mit ihr hierher, nach dem Kaukasus fliehen, angeblich der Ideale wegen. Wenn nicht heute, so morgen wird er ihrer überdrüssig und brennt nach Petersburg durch, auch der Ideale wegen.«

      »Woher weißt du das?« brummte Samoilenko mit einem bösen Blick auf den Zoologen. »Iß doch lieber.«

      Der Bursche brachte gekochte Thunfische mit polnischer Sauce. Samoilenko legte jedem seiner Pensionäre einen ganzen Fisch auf den Teller und goss eigenhändig die Sauce darüber. Ein paar Minuten vergingen im Schweigen.

      »Das Weib spielt eine wesentliche Rolle im Leben jedes Menschen,« sagt der Diakon, »dabei ist nichts zu machen.«

      »Ja, aber in welchem Grade? Jeder von uns hat ein

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