Professor Unrat. Heinrich Mann

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Professor Unrat - Heinrich Mann

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dessen oberem Rand mehrere gelbe Gräten staken, rollte, während

      er sprach, zwischen den hölzernen Mundfalten wie auf Geleisen, und sein

      Speichel spritzte bis auf die vorderste Bank. Er schrie auf:

      »Sie haben die Kühnheit, Bursche!... Fort, sage ich, ins Kabuff!«

      Aufgescheucht drängte von Ertzum sich aus der Bank hervor. Kieselack

      raunte ihm zu:

      »Mensch, wehr dich doch!«

      Lohmann, dahinter, verhieß unterdrückt:

      »Laß nur, den kriegen wir noch wieder kirre.«

      Der Verurteilte trollte sich am Katheder vorbei, in das Gelaß, das der

      Klasse als Garderobe diente, und worin es stockfinster war. Unrat

      stöhnte vor Erleichterung, als hinter dem breiten Menschen sich die Tür

      geschlossen hatte.

      »Nun wollen wir die Zeit nachholen,« sagte er, »die uns dieser Bursche

      gestohlen hat. Angst, hier haben Sie das Thema, schreiben Sie es an die

      Tafel.«

      Der Primus nahm den Zettel vor seine kurzsichtigen Augen und machte sich

      langsam ans Schreiben. Alle sahen mit Spannung unter der Kreide die

      Buchstaben entstehn, von denen so viel abhing. Wenn es nun eine Szene

      betraf, die man zufällig nie »präpariert« hatte, dann hatte man »keinen

      Dunst« und »saß drin«. Aus Aberglaube sagte man, noch bevor die Silben

      an der Tafel einen Sinn annahmen:

      »O Gott, ich fall' rein.«

      Schließlich stand dort oben zu lesen:

      »Johanna: Es waren drei Gebete, die du tatst;

      Gib wohl acht, Dauphin, ob ich sie dir nenne!«

      (Jungfrau von Orleans, erster Aufzug, zehnter Auftritt.)

      »Thema: Das dritte Gebet des Dauphins.«

      Als sie dies gelesen hatten, sahen alle einander an. Denn alle »saßen

      drin«. Unrat hatte sie »hineingelegt«. Er ließ sich mit einem schiefen

      Lächeln im Lehnstuhl auf dem Katheder nieder und blätterte in seinem

      Notizbuch.

      »Nun?« fragte er, ohne aufzusehn, als sei alles klar, »wollen Sie noch

      was wissen?... Also los!«

      Die meisten knickten über ihrem Heft zusammen und taten, als schrieben

      sie schon. Einige starrten entgeistert vor sich hin.

      »Sie haben noch fünfviertel Stunden,« bemerkte Unrat gleichmütig,

      während er innerlich jubelte. Dieses Aufsatzthema hatte noch keiner

      gefunden von den unbegreiflich gewissenlosen Schulmännern, die durch

      gedruckte Leitfäden es der Bande ermöglichten, mühelos und auf

      Eselsbrücken die Analyse jeder beliebigen Dramenszene herzustellen.

      Manche in der Klasse erinnerten sich des zehnten Auftritts im ersten

      Aufzug und kannten beiläufig die zwei ersten Gebete Karls. Vom dritten

      wußten sie nichts mehr, es war, als hätten sie es nie gelesen. Der

      Primus und noch zwei oder drei, darunter Lohmann, waren sogar sicher,

      sie hätten es nie gelesen. Der Dauphin ließ sich ja von der Prophetin

      nur zwei seiner nächtlichen Bitten wiederholen; das genügte ihm, um an

      Johannas Gottgesandtheit zu glauben. Das dritte stand schlechterdings

      nicht da. Dann stand es gewiß an einer andern Stelle oder ergab sich

      irgendwo mittelbar aus dem Zusammenhang; oder es ging gar ohne weiteres

      in Erfüllung, ohne daß man wissen konnte, hier ging etwas in Erfüllung?

      Daß es einen Punkt geben konnte, wo er niemals aufgemerkt hatte, das gab

      auch der Primus Angst im stillen zu. Auf alle Fälle mußte über dieses

      dritte Gebet, ja selbst über ein viertes und fünftes, wenn Unrat es

      verlangt hätte, irgend etwas zu sagen sein. Über Gegenstände, von deren

      Vorhandensein man nichts weniger als überzeugt war, etwa über die

      Pflichttreue, den Segen der Schule und die Liebe zum Waffendienst, eine

      gewisse Anzahl Seiten mit Phrasen zu bedecken, dazu war man durch den

      deutschen Aufsatz seit Jahren erzogen. Das Thema ging einen nichts an;

      aber man schrieb. Die Dichtung, der es entstammte, war einem, da sie

      schon seit Monaten dazu diente, einen »hineinzulegen«, auf das

      gründlichste verleidet; aber man schrieb mit Schwung.

      Mit der Jungfrau von Orleans beschäftigte die Klasse sich seit Ostern,

      seit dreiviertel Jahren. Den Sitzengebliebenen war sie sogar schon aus

      dem Vorjahr geläufig. Man hatte sie vor- und rückwärts gelesen, Szenen

      auswendig gelernt, geschichtliche Erläuterungen geliefert, Poetik an ihr

      getrieben und Grammatik, ihre Verse in Prosa übertragen und die Prosa

      zurück in Verse. Für alle, die beim ersten Lesen Schmelz und Schimmer

      auf diesen Versen gespürt hatten, waren sie längst erblindet. Man

      unterschied in der verstimmten Leier, die täglich wieder einsetzte,

      keine Melodie mehr. Niemand vernahm die eigen weiße Mädchenstimme, in

      der geisterhafte, strenge Schwerter sich erheben, der Panzer kein Herz

      mehr deckt, und Engelflügel weit ausgebreitet, licht und grausam

      dastehn. Wer von diesen jungen Leuten später einmal

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