Professor Unrat. Heinrich Mann

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Professor Unrat - Heinrich Mann

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Hirtin gezittert hätte, wer den Triumph der

      Schwäche in ihr geliebt hätte, wer um die kindliche Hoheit, die vom

      Himmel verlassen, zu einem armen, hilflos verliebten kleinen Mädel wird,

      je geweint hätte, der wird nun das alles nicht so bald erleben. Zwanzig

      Jahre vielleicht wird er brauchen, bis Johanna ihm wieder etwas anderes

      sein kann als eine staubige Pedantin.

      * * * * *

      Die Federn kritzelten; Professor Unrat lugte, mit nichts weiter

      beschäftigt, über die gebeugten Nacken hinweg. Es war ein guter Tag, an

      dem er einen »gefaßt« hatte, besonders wenn es einer war, der ihm

      »seinen Namen« gegeben hatte. Dadurch ward das ganze Jahr gut. Leider

      hatte er schon seit zwei Jahren keinen der heimtückischen Schreier mehr

      »fassen« können. Das waren schlechte Jahre gewesen. Ein Jahr war gut

      oder schlecht, je nachdem Unrat einige »faßte« oder ihnen »nichts

      beweisen« konnte.

      Unrat, der sich von den Schülern hinterrücks angefeindet, betrogen und

      gehaßt wußte, behandelte sie seinerseits als Erbfeinde, von denen man

      nicht genug »hineinlegen« und vom »Ziel der Klasse« zurückhalten konnte.

      Da er sein Leben ganz in Schulen verbracht hatte, war es ihm versagt

      geblieben, die Knaben und ihre Dinge in die Perspektive des Erfahrenen

      zu schieben. Er sah sie so nah, wie einer aus ihrer Mitte, der

      unversehens mit Machtbefugnissen ausgestattet und aufs Katheder erhoben

      wäre. Er redete und dachte in ihrer Sprache, gebrauchte ihr Rotwälsch,

      nannte die Garderobe ein »Kabuff«. Er hielt seine Ansprachen in dem

      Stil, den auch sie in solchen Fällen angewendet haben würden, nämlich in

      latinisierenden Perioden und durchwirkt mit »traun fürwahr«, »denn also«

      und ähnlichen Häufungen alberner kleiner Flickworte, Gewohnheiten seiner

      Homerstunde in Prima; denn die leichten Umständlichkeiten des Griechen

      mußten alle recht plump mitübersetzt werden. Da er selber steife

      Gliedmaßen bekommen hatte, verlangte er das gleiche von den andern

      Insassen der Anstalt. Das fortwährende Bedürfnis in jugendlichen

      Gliedern und in jugendlichen Gehirnen, in denen von Knaben, von jungen

      Hunden -- ihr Bedürfnis zu jagen, Lärm zu machen, Püffe auszuteilen, weh

      zu tun, Streiche zu begehn, überflüssigen Mut und Kraft ohne Verwendung

      auf nichtsnutzige Weise loszuwerden: Unrat hatte es vergessen und nie

      begriffen. Wenn er strafte, tat er es nicht mit dem überlegenen

      Vorbehalt: »Ihr seid Rangen, wie's euch zukommt, aber Zucht muß sein«;

      sondern er strafte im Ernst und mit zusammengebissenen Zähnen. Was in

      der Schule vorging, hatte für Unrat Ernst und Wirklichkeit des Lebens.

      Trägheit kam der Verderblichkeit eines unnützen Bürgers gleich,

      Unachtsamkeit und Lachen waren Widerstand gegen die Staatsgewalt, eine

      Knallerbse leitete Revolution ein, »versuchter Betrug« entehrte für alle

      Zukunft. Aus solchen Anlässen erbleichte Unrat. Schickte er einen ins

      »Kabuff«, war ihm dabei zumute, wie dem Selbstherrscher, der wieder

      einmal einen Haufen Umstürzler in die Strafkolonie versendet und, mit

      Angst und Triumph, zugleich seine vollste Macht und ein unheimliches

      Wühlen an ihrer Wurzel fühlt. Und den aus dem »Kabuff« Zurückgekehrten

      und allen andern, die ihn je angetastet hatten, vergaß Unrat es nie. Da

      er seit einem Vierteljahrhundert an der Anstalt wirkte, waren Stadt und

      Umgegend voll von seinen ehemaligen Schülern, von solchen, die er bei

      Nennung seines Namens »gefaßt« oder denen er es »nicht hatte beweisen«

      können, und die alle ihn noch jetzt so nannten! Die Schule endete für

      ihn nicht mit der Hofmauer; sie erstreckte sich über die Häuser

      ringsumher und auf alle Altersklassen der Einwohner. Überall saßen

      störrische, verworfene Burschen, die »ihr's« nicht »präpariert« hatten

      und den Lehrer befeindeten. Ein Neuer, noch ahnungslos, bei dem zu Haus

      ältere Verwandte über den Professor Unrat gelacht hatten wie über eine

      Jugenderinnerung von freundlicher Komik, und der nun mit dem Schub zu

      Ostern in Unrats Klasse gelangt war, konnte sich bei der ersten falschen

      Antwort anfauchen hören:

      »Von Ihnen habe ich hier schon drei gehabt. Ich hasse Ihre ganze

      Familie!«

      * * * * *

      Unrat auf seinem erhabenen Posten über all den Köpfen genoß seine

      vermeintliche Sicherheit; und inzwischen war neues Unheil am Ausbrechen.

      Es kam von Lohmann.

      Lohmann hatte seinen Aufsatz sehr kurz abgetan und dann zu einer

      Privatbeschäftigung gegriffen. Die wollte aber nicht vorwärtskommen,

      denn der Fall seines Freundes von Ertzum wurmte Lohmann. Er hatte sich

      gewissermaßen zum moralischen Schutzherrn des kräftigen jungen Edelmanns

      aufgeworfen und betrachtete es als ein Gebot der eigenen Ehre, die

      geistige Schwäche des Freundes, wo es ging, mit seinem so hoch

      entwickelten

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