Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier. Klaus Perschke
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Es wurde höchste Zeit, dass wir Alten ausgemustert wurden, als die SAP-orientierten Wirtschaftsinformatiker und Diplom-BWLer ans Ruder kamen. Hafenliegezeiten werden nach Stunden und Minuten reguliert. Der Inhalt der Container bleibt für den Ladungsoffizier bis auf das Gefahrengut im Großen und Ganzen anonym. Er hat nie einen Containerinhalt gesehen, es sei denn, der Containerinhalt wurde ausgeraubt, war explodiert, oder lag ausgebrannt verstreut an Deck. Der Kapitän darf nur noch Konnossemente unterzeichnen. Den Rest erledigen die Makler, Reedereiverwaltungen und die Shipplaner in den Terminal-Offices aller großen Häfen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten und wird auch so weiter gehen. Aber kein noch so tüchtiger Ladungsoffizier hat heute noch die Übersicht über 6.000 Container, die für 8 bis 10 Häfen bestimmt sind. Und wenn von diesen 6.000 Containern auch nur 10 Prozent mit Gefahrengütern beladen sind, dann kann man nur hoffen, dass er weiß, wo diese an Bord abgestellt und untergebracht sind. Sonst „gute Nacht“ oder „armes Schwein“!
Meine Idee war, die damalige Seefahrt der heutigen gegenüber zu stellen. Ich will sie nicht glorifizieren. Sie hatte viel mit Knochenarbeit zu tun. Dafür war auch mehr Personal an Bord. Aber eins gab es damals auf den meisten deutschen Schiffen, und das ist heute fast verloren gegangen: Eine so genannte Kameradschaft! Der Personalmanager der Reederei sagt dann: „Das Betriebsklima an Bord ist ausgezeichnet.“ Kameradschaft kennt er gar nicht. Klingt sentimental und lächerlich, war aber für uns damals sehr wichtig. Nur das findet man eben heute nicht mehr an Bord der schwimmenden Dinosaurier mit deren internationalen Besatzungen unter den „flags of convenience“. Money makes the world go round! Für uns alte Hasen bedeutete das: Abtreten, die Zeiten haben sich für immer geändert.
Im Band 41 berichtet Klaus Perschke über seine Herkunft, Kindheit und Jugend, den Beginn seiner Seefahrt als Moses 1951, seine Fahrtzeiten als Junggrad und Matrose auf verschiedenen Schiffen in der Nord-Ostseefahrt und seine Reisen nach Afrika bis Anfang 1956. In diesem Band 42 setzt er nun zunächst seine Erzählungen über seine Reisen vor dem Mast fort, bevor wir etwas über seine Nautiker-Ausbildung und die ersten Reisen als nautischer Wachoffizier erfahren.
Kurze Gastrolle auf MS REIFENSTEIN vom NDL im Hafen von Bremen
Ich hatte Glück beim Norddeutschen Lloyd in Bremen. Mein Aufenthalt in Cuxhaven entwickelte sich zu einem Kurzurlaub. Der NDL brauchte Mannschaftsnachwuchs. Ein Telegramm aus Bremen brachte mich auf Trab. Doch zunächst musste ich eine kurze Urlaubsvertretung auf dem „Schlachtschiff“ des NDL, MS „REIFENSTEIN“ absolvieren. Hier war Not am Mann, und ich musste während der Hafenliegezeit in Bremen einspringen.
Das MS REIFENSTEIN war als MS „MARBURG“ am 1.01.1943 von der Kriegsmarine als Etappenversorger bei der SA J. Cockerill in Hoboken in Belgien gebaut worden. Am 1.10.1943 wurde der Bau gestoppt, am 4.9.1944 wurde der noch nicht fertiggestellte Neubau an der Werft versenkt und im gleichen Monat wieder geborgen. Das Schiff wurde als Neubau 696 durch die Belgier übernommen und fuhr von 1946 bis 1955 als „HOUFFALIZE“ für die Cie. Maritime Belge, Antwerpen, im Westafrika-Dienst zum Kongo. Es wurde am 19.07.1955 vom NDL aufgekauft und als MS REIFENSTEIN in der Australienfahrt eingesetzt. Das Schiff hatte GL-Klasse. 1971 wurde das Schiff als REIFENS an die Costoula Shipping Co. Ltd. nach Famagusta – Zypern weiterverkauft.
Die REIFENSTEIN hatte eine Vermessung von 7.859 BRT und 4.513 NRT, weiterhin 22.263 dwt. Sie hatte eine Länge von 160,00 m, eine Breite von 19,66 m und einen Tiefgang von 9,55 m bis 10,35 m. Das Schiff hatte drei Hauptmaschinen, Hersteller unbekannt, 6x600/1000. Jede Hauptmaschine trieb eine eigene Schiffsschraube an. Weiterhin hatte das Schiff 6 Laderäume, Laderaum 1 hatte 3 Zwischendecks und einen Unterraum, die Laderäume 2 bis 6 hatten je 2 Zwischendecks und den Unterraum. Das Schiff hatte vier Masten. Das Ladegeschirr bestand aus 2 Schwergutbäumen und 20 normalen Ladebäumen, schon fast ein Wald. Wer hier anmusterte, musste auch einen Jagdschein besitzen.
Am 11. Januar 1956 war ich auf dem Wege nach Bremen. Die REIFENSTEIN, ein Schwesterschiff der „RODENSTEIN“ und der „RAVENSTEIN“, lag in Bremen und wurde gerade gelöscht. Kapitän Clausen war der „Master next God“ an Bord, eine berühmte Persönlichkeit beim Norddeutschen Lloyd, berühmt und gefürchtet, denn jeder nautische Offizier, der sich beim NDL etwas zuschulden kommen ließ, landete bei Kapitän Clausen. Und der war im Umgang mit jungen Kollegen nicht zimperlich. Bei Kapitän Clausen, ein Ostfriese wie er im Buche steht, durfte nichts verschwendet werden. Zu dem Zeitpunkt, als ich an Bord kam, war auch sein Sohn, der eine Reedereikaufmannsausbildung beim NDL absolvierte und später auch auf der BAYERNSTEIN als Assistent Purser (Zahlmeisterassistent) angemustert hatte, gerade für ein paar Tage zu Besuch an Bord. Auch für ihn fand sein Vater eine herausragende Beschäftigung. Das Schiff hatte bis auf Luke 1 zwei Zwischendecks von vorn bis achtern, in denen auf der vorangegangenen Reise Autos nach Australien verschifft worden waren. Alle Autos waren ausgehend von Bremen mit Herkulesdraht (3 mm starker mit Sisal umkleideter Draht) gelascht und mittels „spanischer Winde“ tight gedreht worden. Diese Methode hielt bombenfest. Die „longshoremen“ in Australien hatten diese Laschings aus Bequemlichkeit mit einem Seitenschneider gekappt, und die Reste der Laschings in den Zwischendecks liegen gelassen, eigentlich nur noch Abfall, denn wer wollte diese kurzen Enden noch benutzen? Doch Kapitän Clausens Kronsohn musste im Blaumann in die Zwischendecks abtauchen und Lasching für Lasching aus den an Deck geschweißten Laschaugen entfernen, in Bündeln á 25 Stück zusammenbinden und in einer Ecke des Zwischendecks aufstapeln. Und er tat es auch ohne zu murren. Wir machten alle einen großen Bogen um ihn, um ihn nicht von der Arbeit abzulenken.
Die REIFENSTEIN war, wie auch ihre Schwesterschiffe, ein ziemlich arbeitsintensives Schiff, das nur mit viel Deckspersonal gefahren werden konnte. Wir mussten alle Zwischendecks fegen, Stauholz in Hieven zusammenstapeln, damit die von den Hafenarbeitern an Deck gehievt wurden. Auf jeden Fall gab es genug für uns zu tun.
Ein Aha-Erlebnis sollte ich allerdings noch während meines fünftägigen Gastspiels auf der REIFENSTEIN bekommen. Ein alter NDL-Dampfer, er sah wie ein aufgekaufter Schwede aus, lag mit uns zusammen am Kai. Unter den Lloyd-Kapitänen gehörte es zum guten Ton, dass der dienstjüngere dem dienstälteren Kapitän während der Hafenliegezeit einen Besuch abstattete. Zufällig lief ich mit den anderen Jan Maaten von achtern nach vorn, als der Kapitän des anderen Lloydschiffes, aufgetakelt wie ein Admiral, die Gangway herauf kam und oben an Deck erschien. Ich schaute ihn an, er schaute mich an. Ich musste in diesem Moment grinsen, denn es war kein geringerer als Kapitän Alwin Otten von dem Tanker HARRIET E. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er mich an Bord dieses Schiffes sah. Er grüßte mich nicht, denn er erinnerte sich meiner mit Verachtung. Ich grüßte ihn auch nicht und ging wortlos mit den anderen an ihm vorbei.
Meine Stunden an Bord waren gezählt. Man hatte mir versichert, dass ich an Bord der BAYERNSTEIN einsteigen könne. Und die kam auch am 18. Januar 1956 nach Bremen. Ich durfte die REIFENSTEIN wieder verlassen. Mein Herz machte einen Hüpfer.
Erste Reise mit MS BAYERNSTEIN nach Ostasien
MS BAYERNSTEIN