Die schönsten Weihnachtsgeschichten II. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Die schönsten Weihnachtsgeschichten II - Charles Dickens страница 6
»Oder Tilly, soweit das möglich; oder auch Boxer.«
»Gerade viel zu tun, Kaleb?« fragte der Fuhrmann.
»O ja, ziemlich viel, John«, erwiderte dieser mit der zerstreuten Miene eines Mannes, der nicht weniger als den Stein der Weisen sucht. »Ja, ziemlich viel. Es ist jetzt starke Nachfrage nach Noahs Archen. Ich möchte die Noahsche Familie gern vollkommener machen, aber ich weiß nicht, wie es bei dem Preise möglich ist. Es würde mir Freude machen, wenn die Sems von den Hams, und die Männer von den Weibern deutlicher unterschieden werden könnten. Die Fliegen haben auch nicht das richtige Maß – wißt Ihr, wenn man sie mit den Elefanten vergleicht! Was ich sagen wollte, John, habt Ihr etwas unter den Paketen für mich?«
Der Fuhrmann steckte seine Hand in eine Tasche des Rockes, den er ausgezogen hatte, und brachte, sorgfältig in Moos und Papier gewickelt, einen kleinen Blumentopf zum Vorschein.
»Da ist's!« sagte er, ihn mit der größten Sorgfalt auspackend. »Es ist nicht ein einziges Blatt beschädigt. Ganz voller Knospen.«
Kalebs trübes Auge erhellte sich, als er ihn entgegennahm und dem Fuhrmann dankte.
»Teuer, Kaleb«, sagte der Fuhrmann; »sehr teuer um diese Jahreszeit.«
»Macht nichts, mir würde er immer billig sein, was er auch kosten mag«, erwiderte der kleine Mann. »Sonst noch was, John?«
»Eine kleine Schachtel«, erwiderte der Fuhrmann. »Da ist sie.«
»An Kaleb Plummer«, sagte der kleine Mann, die Adresse buchstabierend. »Mit Vorschuß, John? Ich glaube nicht, daß das für mich ist.«
»Mit Vorsicht«, entgegnete der Fuhrmann, ihm über die Schulter blickend. »Wie lest Ihr denn Vorschuß heraus?«
»Ach ja, richtig!« sagte Kaleb. »Ja, ja, richtig, mit Vorsicht! Jawohl, es ist für mich. Es hätte übrigens auch ›mit Vorschuß‹ heißen können, John, wenn mein lieber Junge, der nach dem goldenen Südamerika ging, noch lebte. Ihr liebtet ihn wie einen Sohn, nicht wahr? Ihr braucht nicht ja zu sagen. Ich weiß es ohnehin. An Kaleb Plummer, ›mit Vorsicht‹. Ja ja, ist ganz richtig. 's ist eine Schachtel mit Puppenaugen für die Arbeit meiner Tochter. Ich wollte, John, es wären Augen für sie selbst in der Schachtel.«
»Ich auch!« rief der Fuhrmann. »Oder doch, daß es so sein könnte!«
»Danke für den Wunsch«, sagte der kleine Mann. »Was Ihr sagt, kommt von Herzen. Wenn man so denkt, daß sie nie die Puppen sehen kann . . . und daß sie sie den ganzen lieben langen Tag so unverwandt anblicken! Das ist das Traurige dabei. Was bin ich Euch schuldig, John?«
»Das werdet Ihr gleich merken«, sagte John, »wenn Ihr sowas noch mal fragt. Dot, sehr nahe daran, he?«
»Ja, das sieht Euch ganz ähnlich«, bemerkte der kleine Mann. »Das ist so Eure freundliche Weise. Ich glaube, das wäre nun alles.«
»Ich glaub's nicht«, sagte der Fuhrmann. »Ratet noch mal.«
»Etwas für unsern Prinzipal, he?« sagte Kaleb nach kurzem Besinnen. »Jawohl, das ist's, warum ich herkam; aber mein Kopf steckt so voll Archen Noahs und dergleichen . . . Er ist doch nicht hier gewesen, nicht wahr?«
»Der!« versetzte der Fuhrmann. »Der hat den Kopf voll mit Heiraten.«
»Er muß jedoch herkommen«, sagte Kaleb; »denn er sagte mir, ich sollte auf dem Heimwege an der linken Seite gehen, und es gilt zehn gegen eins, daß er mich einholt. Übrigens, es ist wohl am besten, ich gehe . . . Möchtet Ihr wohl die Freundlichkeit haben, junge Frau, mich einen Augenblick Boxer in den Schwanz kneipen zu lassen – ja?«
»Aber Kaleb! Was fällt Euch ein!«
»O, es hat nichts zu bedeuten, junge Frau«, sagte der kleine Mann. »Er könnte es mir ja auch übelnehmen. Seht, ich habe da gerade einen ziemlich großen Auftrag auf bellende Hunde bekommen, und da möcht' ich es so natürlich herstellen, wie es sich für fünf Groschen machen läßt. Nichts für ungut, junge Frau.«
Da traf es sich glücklicherweise, daß Boxer, ohne, wie vorgeschlagen, gekniffen zu werden, mit großem Eifer zu bellen begann. Aber da dieses Bellen die Nähe eines neuen Besuches anzeigte, so lud sich Kaleb, indem er seine Studien nach der Natur auf günstigere Gelegenheit verschob, die runde Schachtel auf die Schulter und nahm hastig Abschied. Er hätte sich die Mühe sparen können, denn auf der Schwelle begegnete er bereits dem neuen Besuch.
»So, Ihr seid noch hier? Hm! Wartet ein Weilchen, ich werde Euch nach Hause bringen. John Peerybingle, Euer Diener; und vor allem der gehorsamste Diener Eures hübschen Weibchens. Alle Tage schöner! Auch besser, wenn möglich! und jünger«, murmelte der Redner leise; »das ist gerade der Teufel!«
»Ich würde mich wundern, daß Ihr so mit Komplimenten um Euch werft, Mr. Tackleton«, sagte Dot gerade nicht sehr gnädig, »wenn Eure neue Lage uns die Sache nicht erklärte.«
»Ihr wißt es also schon?«
»Ich hab's endlich fertiggebracht, es zu glauben«, sagte Dot.
»Vermutlich nach einem sehr heißen Kampf?«
»Nach einem sehr heißen.«
Tackleton, der Spielwarenhändler, ziemlich allgemein bekannt als Gruff und Tackleton – denn so hieß die Firma, obgleich Gruff schon längst ausgetreten war, seinem ehemaligen Kompagnon nur seinen Namen und seinem Geschäft, wie manche behaupteten, die Eigenschaft, die das Wörterbuch mit diesem WorteGruff: mürrisch, sauertöpfisch. bezeichnet, lassend – Tackleton, der Spielwarenhändler, war ein Mensch, dessen Beruf von seinen Eltern und Vormündern völlig mißverstanden worden war. Hätten sie einen Pfandleiher, einen Exekutor oder Makler aus ihm gemacht, so hätte er, wenn er seine widerwärtigen Hörner in der Jugend abgestoßen, und nachdem er die Bosheit seines Naturells in menschenfeindlichen Handlungen erschöpft, schließlich noch ein liebenswürdiger Mensch werden können, wäre es auch nur gewesen, weil es etwas ganz Neues für ihn bedeutet hätte. Aber das Schicksal hatte ihn dazu bestimmt, sich die Galle zu erhitzen in der friedlichen Beschäftigung eines Spielwarenhändlers, und so wurde er ein wahrer Hausteufel, der sein ganzes Leben lang von Kindern lebte, ohne darum aufzuhören, ihr unversöhnlicher Feind zu sein. Alle Spielsachen waren ihm ein Greuel, und er würde um alles in der Welt keine gekauft haben. Er fand in seiner Bosheit ein eigentümliches Vergnügen daran, den pappdeckelnen Pächtern, die ihre Schweine zu Markt trieben, den öffentlichen Ausrufern, die denjenigen, die verlorengegangene Advokatengewissen wiederfänden, eine angemessene Belohnung versprachen, den zappeligen alten Damen, die Strümpfe stopften oder Pasteten zerschnitten, und andern Figuren seines Lagers wilde, ingrimmige Gesichter zu geben. Es war ein wahrer Hochgenuß für ihn, schrecklich häßliche Fratzen zu erfinden, sowie häßliche, mit Haaren bedeckte, rotäugige Schachtelmännchen, vampirartige Papierdrachen, dämonische Springer, die nicht liegen bleiben wollten, sondern immer wieder jedem ins Gesicht sprangen und die Kinder bis zum Tode erschreckten. Sie waren sein einziger Trost und sozusagen der Kanal, der seine überströmende Bosheit abführte. Er war groß in solchen Erfindungen. Die Idee irgendeines Kinderälpchens war für ihn die Quelle eines unbeschreiblichen Entzückens. Er hatte sogar Geld dafür ausgegeben – und dies war das einzige Spielzeug, das er zärtlich liebte –, um Schiebegläser für Zauberlaternen zu bekommen, worauf die Mächte der Hölle als eine Art übernatürlicher Seekrebse mit menschlichen Gesichtern abgemalt waren. Auch hatte er ein kleines Kapital fest dafür angelegt, um Riesen von übernatürlicher Größe herzustellen, und obgleich nicht selbst Maler,