Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich страница 12
„Aber was meinen Sie damit, Schwiebus," sagte Helene endlich - wirklich verlegen, wie das Gespräch wieder zu beginnen - „wenn der Nordstern auf dem Kopfe steht? - Wie kann denn ein Stern auf dem Kopfe stehen, und wenn er's thäte, wie wären wir im Stande, das zu erkennen?"
„Der Nordstern ist ein komischer Gesell," lachte der Famulus leise vor sich, indem er die Hände stärker zusammenrieb, daß sich die bleichen Wangen ordentlich zu färben anfingen - „komischer Gesell und macht komische Streiche - aber ich habe ihn gern. Ganz allein am Himmel steht er da droben, hat den kleinen Bären am Schwanz und schlenkert ihn sich um den Kopf Nächte lang. Ist er doch auch der Stern der Todten und schützt ihre stillen Stätten über Nacht, wenn sie der Mond oft und oft im Stiche gelassen."
„Was Sie da wieder für tolles Zeug reden, Schwiebus!" sagte Helene kopfschüttelnd - „wenn man nicht wüßte, daß Sie Spaß machten, könnte man sich ordentlich fürchten."
„Spaß? - ja, Spaß!" lachte der Famulus, aber es war kein wirkliches Lachen, sondern fast nur ein krampfhaftes Verziehen der Mundwinkel. Diese zogen sich in tausend und tausend kleine Fältchen zusammen, bis der Mund mit den schmalen, dünnen Lippen ordentlich darin verschwand und dem bleichen Gesichte mit den sparsam rothblonden Haaren etwas entsetzlich Unheimliches gab. „Es ist unendlich spaßhaft, wenn der Nordstern da drüben so kalt und still auf ein frisches Grab niederfunkelt und wir uns dann den Todten da drinnen denken, wie er, die Hände auf der Brust gefaltet, die Glieder ausgestreckt und starr in seinem engen Hause da unten liegt und wir nicht hinunter können zu ihm , - er nicht herauf zu uns."
"Schwiebus hat heut Abend einmal wieder seine geister-/52/hafte Laune," lächelte Helene zu Marien hinüber. „Oh, wenn Du ihn doch da einmal könntest erzählen hören! Er weiß gar zu prächtige Märchen, und ich bin da wie ein kleines Kind und wäre im Stande, ihm Nächte lang zuzuhören."
„Märchen - ja, das ist ja wohl der Name, den die Menschen für derlei haben," sagte der Famulus, langsam dazu mit dem Kopfe nickend - „Märchen - ein ungemein bequemes Wort, und damit sind sie fertig. Märchen - das erklärt ihnen Alles, und sie zerbrechen sich den Kopf nicht weiter über Dinge, die ihnen sonst am Ende das Hirn auseinander treiben könnten. Aber sie haben auch Recht. Wozu sich das Herz schwer machen und den Kopf mit Dingen füllen, die nichts Anderes neben sich dulden und die ruhigen, friedfertigen Gedanken hinauswerfen, ihrem eigenen tollen Sein den Spielplatz frei zu halten! Märchen ist auch ein höchst charmantes Wort dafür. Im Ofen knistert und knattert das Feuer, daß die Fensterscheiben ordentlich an zu schwitzen fangen. Die Kinder und Erwachsenen rücken dicht um den Tisch, auf dem die Lampe düster brennt; draußen heult wo möglich ein Schneesturm über das Land und kos't mit den Trauerweiden, bis sie verlangend und zitternd die nackten Arme hinter ihm drein strecken, pfeift in die Kamine hinunter und fegt sich die Straßen rein zum Tanz, während droben am Himmel die Wolken an der dünnen Mondessichel vorüberjagen, als ob sie zu spät zum neuen Tage kämen. - Das ist die Zeit, ein Märchen zu erzählen, und weshalb?
- weil es draußen gleich mit spielt in Lebensgröße, an die Läden klopft und durch die gefrorenen Fenster schaut und seine wilden Weisen summt zu den drinnen gesprochenen Worten. Die Menschen rücken dann dicht zusammen im warmen Zimmer, horchen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf das Erzählte, und freuen sich wie die Kinder über den Nervenkitzel, der ihnen eben nur leichthin über das Leben streift. Es ist ja nur ein Märchen!"
„Aber wie ich noch ein Kind war," rief Marie lächelnd, „hab' ich wahrhaftig geglaubt, daß das Alles auch wirklich passirte!"
„So?" sagte der Famulus und fing wieder an, sich die /53/ knochige» Hände zusammen zu reiben, „so? - wirklich passirt. - Es ist doch toll, was sich die Menschen manchmal für wunderlichen Gedanken hingeben - wirklich passirt - hihihihi!"
„Wie ich ein Kind war, Schwiebus, hab' ich gesagt," entschuldigte sich die Jungfrau dem Lachenden gegenüber, der sie ja sonst für noch immer so kindisch halten konnte - „jetzt weiß ich wohl, daß das nur Thorheit war."
„Und doch hören wir die Märchen noch gern, wenn wir auch erwachsen sind," sagte Helene; „es ist ordentlich wie eine Erinnerung aus der Kinderzeit, von der sich das Herz ja doch nur ungern und schwer trennt, und was früher so viel mehr den Reiz des Schauerlichen hatte, das ersetzt jetzt reichlich die Erinnerung an die vergangenen Tage."
„Ja, es ist entsetzlich, wie gescheidt und klug wir werden mit der Zeit," sagte der Famulus und griff wieder seine Geige auf, über deren Saiten er leise und wie herausfordernd mit dem Bogen strich - „und wir haben nachher eine Erklärung für Alles - auch für das Unerklärliche, mit dem wir eigentlich am allerleichtesten fertig werben."
„Das Unerklärliche?" sagte rasch Helene; „allerdings giebt es dessen genug für uns arme Sterbliche hier, und ich gehöre gewiß nicht zu denen, Schwiebus, die Alles nur einfach fortleugnen, weil sie eben nicht gleich in das geheime Schaffen und Walten der Natur den Blick thun können oder dürfen, der ihnen die Räthsel derselben enthüllen würde. Ich glaube zum Beispiel an eine geheime Verbindung unserer Seelen mit einer andern Welt, in die wir oft hineinragen, ohne es mit unseren gröberen Sinnen zu verstehen, und die uns wieder zu Zeiten berührt und mit Ahnungsschauern jenes unerforschten Reiches durchzittert, das unser Fuß nie betreten soll, bis einst der Körper im stillen Grabe schlummert."
„Helene," lächelte Marie, „Du darfst mich nicht mehr mit meinem Aethertraum necken und mit dem alten Herrn Quetzlinberger und der Frau Bause."
Der Famulus zuckte bei Nennung der Namen zusammen und hörte mit Spielen auf; endlich sagte er langsam:
„Die Frau Bause? - Kennen Sie die denn auch?"
„Warum sollen wir sie nicht kennen?" sagte Helene; /54/ „wohnt sie nicht hier in der Stadt, und prophezeit sie den Leuten nicht, die zu ihr kommen?"
Schwiebus sah wohl ein paar Minuten lang still und schweigend vor sich nieder, ohne irgend etwas darauf zu erwidern. Dann griff er sein Instrument wieder auf, und die Worte mit den leisen Tönen begleitend, fuhr er langsam fort:
„Die Frau Bause ist eine gar würdige alte Dame, die schon etwas durchgemacht hat in der Welt - mehr, als sich manche Menschen vielleicht träumen lasten. Wenn die erzählen wollte, müßte es gar interessant sein, zuzuhören, aber" - und wieder sprangen die Töne in die frühere schrille und schroffe Weise über, und er lachte dabei still und unheimlich vor sich hin - „sie darf nur nicht."
„Und das ist auch nicht mehr als recht!" rief Marie. - „Mutter hat noch neulich davon gesprochen, daß die Polizei das Prophezeien und Kartenlegen eigentlich gar nicht dulden sollte. Einzelne, zufällig eingetroffene Sachen machen die Leute nur verwirrt. Viele setzen sich tolle Ideen in's Hirn - lassen sich ihren Todestag sagen und sterben zur prophezeiten Stunde, nur weil sie sich so entsetzlich davor gefürchtet. Andere treiben andern Unsinn, der ihr Vermögen oder ihre Gesundheit ruinirt, um einem geweissagten Unglück auszuweichen oder ein versprochenes Glück zu erjagen. Der liebe Gott hat es gar unendlich weise eingerichtet, daß uns nicht allein die ferne Zukunft, nein, schon die nächste Stunde ein verschlossenes, unberührbares Buch bleibt. Ich würde nie die Hand danach ausstrecken, es zu öffnen."
Schwiebus hatte das junge Mädchen indessen mit hoch aufgezogenen Brauen, weit ausgespitzten Lippen und einem unendlich komischen Ausdruck in den wunderlichen Zügen stier angesehen. Die Violine stützte er dabei, um besser hören zu können, auf sein linkes Knie, während die rechte Hand mit dem Bogen auf dem andern ruhte.
„Die Polizei," sagte er, als sie