Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich страница 11
Marie schwieg eine Zeit lang; es war fast, als ob sie sich der Antwort schämte; endlich sagte sie leise und verlegen lächelnd:
„Ich will es Dir nur aufrichtig gestehen, ich - ich habe mich davor gefürchtet - gefürchtet, durch irgend ein zufälliges Wort irgend etwas aus jener fremden, geheimnißvollen Welt bestätigt zu hören. Wozu auch? die Zeit ist vorbei, und weshalb die alten Träume und Thorheiten wieder aufrühren?"
„Von der Frau habe ich übrigens in Hellburg auch schon gehört," sagte Helene, „Schwiebus hat mir davon erzählt."
„Der Famulus?" fragte Marie erstaunt; „aber woher kennt sie der?"
„Oh, der kennt alle Menschen," lächelte Helene. „Nicht wahr, sie legt Karten und prophezeit den Leuten ihr Schicksal aus Kaffeesatz und Bleiguß?"
„Allerdings - wenigstens behauptet die böse Welt das von ihr." sagte Marie.
„Und wenn sie's thäte, was wäre so Uebles daran?" entschuldigte sie Helene. „Es ist gewiß eine arme Frau, und findet sie Menschen, die thöricht genug sind, sie um etwas zu fragen, das nur Gott wissen kann, und die ihr für solche Antworten sogar Geld bezahlen, so wird sie klug genug sein, ihren Nutzen daraus zu ziehen. - Doch fort mit der Frau Bause und all' dem unheimlichen Spuk. Ich bin auch über haupt froh, daß es mit dem alten Hause da drüben nun endlich einmal zu einer Entscheidung kommt. Mag es sein, wie es will, aber es war mir doch manchmal ein unheimliches Gefühl, die dichtverhängten Fenster da drüben so Jahr nach Jahr zu sehen und die leeren, öden Räume dahinter zu wissen, in kurzer Zeit werden ja nun die Siegel geöffnet und die Zimmer wieder gelüftet und bewohnt werden."
„Ob sich das der alte Herr Quetzlinberger gefallen laßt," lachte Marie - „und ob er nicht nachher aus /48/ Aerger und Mißmuth Ketten über die Gänge schleift und in den Schlafkammern spukt! So viel weiß ich, so sehr ich mich danach sehne, das alte Haus im Innern zu sehen - wohnen und schlafen möchte ich doch um keinen Preis darin."
Marie war dabei von ihrem Stuhl aufgestanden, hatte sich an das Clavier gesetzt und mit leisen Fingern ein paar Accorde angeschlagen, während Helene zum Tische trat, die Lampe anzustecken. Es war schon fast dunkel im Zimmer geworden. Da tönten plötzlich die wilden, schrillen Töne einer Geige zu ihnen herüber, und Marie fuhr fast erschreckt empor, den wunderlichen Lauten zu horchen.
„Es ist nichts," lächelte aber Helene, indem sie die Glocke auf die noch düster brennende Lampe setzte, „Schwiebus hat einmal seinen guten Abend und musicirt."
„Das habe ich aber noch nie gehört!" rief Marie erstaunt.
„Es kommt auch nicht oft vor," sagte Helene, „denn meistens sitzt er auf seinem Zimmer bei festverschlossener Thür und läßt Niemanden zu sich hinein, selbst meinen Bruder nicht."
„Und was für wunderliche, eigenthümliche Melodien das sind, die er spielt!"
„Ja," sagte Helene, „er phantasirt auch nur und kennt keine Note, haßt sogar die Notenblätter; denn er sagt, die „schwarzen Dinger" lägen darauf herum, wie Knochen auf einem Kirchhofe. Wenn er einmal zu mir hereinkommt und ein Heft zufällig offen auf dem Instrumente liegt, macht er es jedesmal zu. Heute sollten wir übrigens zu ihm hinüber gehen, denn heute giebt er, wie es der Bruder nennt, „Audienz", und wenn wir ihn da bitten, erzählt er manchmal Geschichten zum Todtlachen oder - Todt fürchten - wie's ihm gerade durch den Sinn fährt."
„Ich glaube, ich würde mich todt fürchten," sagte Marie leise. „Der Mann, so freundlich und gutmüthig er sich immer gezeigt, hat für mich etwas kaum sagbar Unheimliches."
„Das macht sein Name, der todte Famulus," lächelte Helene. „Es giebt wirklich keinen besseren und ge-/49/fälligeren Menschen auf der Welt als ihn, und was er mir oder irgend Jemandem, den er gern hat, an den Augen absehen kann, thut er gewiß. - Aber er spielt nicht mehr, sagte sie, plötzlich hinüberhorchend - und da knarrt seine Thür. Er kommt wahrhaftig herüber. Nun, da hat er einmal seinen geselligsten Tag, und den müssen wir benutzen."
Ehe Marie etwas darauf erwidern konnte, lag eine Hand auf der Thürklinke, und als sich die Thür öffnete, trat Schwiebus, bleicher als je aussehend und allem Anscheine nach die beiden Damen gar nicht bemerkend, in's Zimmer. Er trug seine Violine mit dem Bogen unter dem linken Arm und ging langsam, ohne den Kopf nach rechts oder links zu wenden, zum Fenster. Marie sah erstaunt Helenen an, diese aber ergriff ihren Arm und drückte ihn leise, zum Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Die Lampe brannte noch ziemlich düster, und das Zimmer war deshalb nur matt erleuchtet. Der Famulus schien aber gar nicht an die Anwesenheit anderer Personen auch nur zu denken, denn er drehte den Kopf nicht ein einziges Mal dem Lichte zu. Langsam öffnete er das Fenster, in das die kalte Luft frostig hereinschlug, schaute ein paar Secunden nach den Sternen hinauf und dann nach dem gegenüberliegenden alten Hause, und beiden Mädchen kam es so vor, als ob er leise dort Hinüberwinke. Dann schloß er das Fenster wieder sorgfältig mit beiden Wirbeln, nahm sein Instrument vor und begann mit leisem Bogenstrich eine sanfte, unendlich weiche Melodie zu spielen.
Die beiden Jungfrauen horchten der wunderlichen, nie gehörten, aber tief ergreifenden Weise in athemlosem Schweigen. Hatten sie aber vorher in Scherz und Muthwillen den ernsten Mann zu belauschen gedacht, so waren sie jetzt kaum imstande, ihn zu unterbrechen, und hätten mit keinem Laut die rührenden Klänge stören mögen. Die weiche Stimmung des Famulus verlor sich jedoch bald. Scharfe, schrille Töne zuckten wie grelle Blitze über den blauen Himmel seines Liedes, und bald klangen einzelne dazwischen geworfene Tacte wie im Selbstspott über den weichlichen Sang, der sich aber doch immer und immer wieder die Bahn frei rang. Endlich, /50/ wie von seinen Gefühlen überwältigt, sank der Mann auf einen am Fenster stehenden Stuhl nieder und barg sein Antlitz in der linken Hand. Es schien fast, als ob der ganze Körper des Armen in irgend einem schweren innern Weh zucke und zittere, und als ob das, was in ihm tobte, nur gewaltsam zurückgehalten werden könne, hinaus in's Freie zu dringen.
Da stand Helene geräuschlos von ihrem Sitze auf, und über den weichen Teppich mit unhörbarem Fuß schreitend, glitt sie an seine Seite, blieb wenige Secunden wie scheu und furchtsam neben ihm stehen, und legte dann leise und schüchtern die Hand auf seine Schulter.
„Schwiebus," sagte sie dabei mit sanfter, bittender, kaum hörbarer Stimme, „Schwiebus, armer Schwiebus! fehlt Ihnen etwas, und kann ich Ihnen helfen?"
Der Famulus rührte sich nicht, nur das Zittern seines Körpers wurde heftiger.
„Sind Sie krank, Schwiebus?" bat Helene dringender; „sagen Sie mir, was Ihnen fehlt; ich meine es gut mit Ihnen."
„Der verwünschte Katarrh!" brummte da plötzlich der Famulus mit seiner gewöhnlichen trockenen, etwas knarrenden Stimme, indem er sich aufrichtete und die Haare langsam mit den langen, hageren Fingern ans der bleichen Stirn strich. „Der verwünschte Katarrh!" wiederholte er dann, ohne die geringste Ueberraschung über die Anwesenheit der beiden Damen zu zeigen. Rasch, aber ruhig glitt sein Blick über sie hin, und er fuhr, halblaut dabei vor sich hin hüstelnd, fort: „Läßt mir nicht einmal Ruh' in meinem Zimmer, und ich kam eigentlich nur herüber, nach dem Nordstern zu sehen. Wenn der auf dem Kopfe steht, wird es immer besser. Aber guten Abend, meine Damen," setzte er dann mit wieder freundlicher, ganz unbefangener Stimme hinzu, „hätte gar nicht geglaubt, daß Sie im Zimmer säßen."
Der Famulus legte dabei sein Instrument und seinen Bogen neben sich auf das Spiegelschränkchen und rieb sich die langen, knochigen Hände, als ob er sie in Feuer setzen wolle. /51/