Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens

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noch mehr verwirrt und bestürzt und verdoppelte seine Eile, sah sich indes nach einiger Zeit eingeholt und wurde obenein zu Boden geschlagen.

      In wenigen Augenblicken war ein zahlreicher Haufen um ihn versammelt. »Drückt ihn doch nicht tot!« – »Verdient er's besser?« – »Wo ist der bestohlene Herr?« – »Da kommt er schon; macht Raum für den Herrn!« – »Ist dies der Bursch, Sir?« – »Ja!«

      Oliver lag da, mit Schmutz bedeckt, blutend aus Nase und Mund und sah betäubt und geängstet umher.

      »Ich fürchte, daß es der Knabe ist,« sagte der Herr sehr milde.

      »Das fürchten Sie? Der ist auch wohl der Rechte.«

      »Der arme Kleine hat sich beschädigt,« fuhr der Herr fort.

      »Das hab' ich getan,« fiel ein vierschrötiger Mensch, hervortretend, ein; »traf ihn gerade mit der Faust auf die Schnauze – ich hab' ihn aufgehalten für Sie, Sir.«

      Er zog grinsend den Hut, eine Belohnung seiner Dienstfertigkeit erwartend; allein der alte dicke Herr blickte ihn unwillig an und hätte sich offenbar gern entfernt, wenn sich nicht ein Polizist, der in solchen Fällen gewöhnlich zuletzt kommt, in diesem Augenblick durch die Menge gedrängt und Oliver beim Kragen gepackt hätte.

      »Steh auf!« sagte der Mann barsch.

      »Ich bin es wirklich nicht gewesen, Sir, wirklich und wahrhaftig nicht. Es waren zwei andere Knaben,« sagte Oliver, die Hände bittend zusammenlegend. »Sie müssen hier irgendwo in der Nähe sein.«

      »O nein, sie sind nicht hier,« entgegnete der Beamte. Er meinte dies ironisch, aber es war die volle Wahrheit, denn der Baldowerer und Charley Bates hatten sich längst aus dem Staube gemacht. »Steh auf!«

      »Tun Sie ihm nichts zuleide,« sagte der menschenfreundliche Herr.

      »O nein, ich werde ihm nichts zuleide tun,« erwiderte der Polizist, indem er zum Beweise dafür Oliver die Jacke halb vom Rücken riß. »Komm nur; ich kenne dich schon. Willst du mal auf deinen Füßen stehen, verdammter kleiner Strolch!«

      Oliver machte einen Versuch, sich zu erheben, konnte sich aber kaum aufrecht erhalten und wurde am Kragen seiner Jacke im Laufschritt durch die Straßen geschleppt. Der alte Herr ging mit und ein immer anwachsender Volkshaufen folgte johlend und lärmend den drei nach der nächsten Polizeiwache.

      Kapitel 11

      Wie Mr. Fang die Gerechtigkeit handhabte

      Der Diebstahl war im Bezirke dieses Polizeiamtes begangen worden. Als der Zug auf der Wache anlangte, wurde Oliver vorläufig in ein kellerartiges Gemach eingeschlossen, das über alle Beschreibung schmutzig war, denn sechs Betrunkene hatten es fast drei Tage inne gehabt. Doch das will nichts sagen. Sperrt man doch Tag für Tag und Nacht für Nacht Männer und Weiber um der geringfügigsten, leichtfertigsten Anschuldigungen willen in Spelunken ein, gegen welche die Zellen der schwersten und bereits verurteilten Verbrecher im Newgategefängnisse für Prunkgemächer gelten könnten!

      Der alte Herr sah Oliver mitleidig und wehmütig nach.

      »Es liegt ein Ausdruck in den Zügen des Knaben, der mich ganz wunderbar ergreift,« sprach er bei sich selbst. »Sollte er nicht unschuldig sein? Er sah aus, als wenn er – hm! – ist mir's doch in der Tat, als wenn ich dieses Gesicht oder ein ganz ähnliches schon gesehen hätte.«

      Er sann und sann, rief sich die Züge seiner Freunde, Feinde und Bekannten, alter und neuer, längst vergessener, längst im Grabe ruhender ins Gedächtnis zurück, vermochte sich aber dennoch auf keines zu entsinnen, mit welchem Oliver Ähnlichkeit gehabt hätte. »Nein, es muß Einbildung sein,« sagte er endlich seufzend und kopfschüttelnd.

      Er wurde durch eine Berührung an der Schulter aus seinem Sinnen aufgeschreckt und bemerkte, als er sich umwandte, den Schließer, der ihn aufforderte, ihm ins Amtszimmer zu folgen. Als er eintrat, saß Mr. Fang, der Polizeirichter, bereits hinter einer Barriere am oberen Ende und neben der Tür befand sich eine Art von hölzernem Verschlag, in dem der arme Oliver, an allen Gliedern zitternd, dahockte. Mr. Fangs Antlitz hatte den Ausdruck der Härte und war sehr rot. Wenn er nicht mehr zu trinken pflegte, als ihm gut war, so hätte er gegen sein Gesicht eine Injurienklage anstellen können, und sicher würden ihm beträchtliche Entschädigungsgelder zuerkannt worden sein.

      Der alte Herr verbeugte sich ehrerbietig.

      »Hier ist mein Name und meine Adresse, Sir,« sagte er und reichte Mr. Fang seine Karte.

      Mr. Fang, der eben seine Zeitung las, war unwillig über die Störung und blickte ärgerlich auf.

      »Wer sind Sie?«

      Der alte Herr wies ein wenig erstaunt auf seine Karte.

      Mr. Fang stieß sein Zeitungsblatt nebst der Karte verächtlich zur Seite.

      »Gerichtsdiener! wer ist dieser Mensch?«

      »Sir, ich heiße Brownlow,« fiel der alte Herr mit dem Anstand eines Gentleman in starkem Kontrast zu Mr. Fang ein. »Erlauben Sie, daß ich um den Namen des Richters bitte, der einen anständigen Mann ohne alle Veranlassung im Gerichtslokale beleidigt.«

      »Gerichtsdiener!« herrschte Fang; »wessen ist dieser Mensch angeklagt?«

      »Er ist nicht angeklagt, Ihr Edeln, sondern erscheint als Ankläger des Knaben.«

      Seine Edeln wußten das sehr wohl, konnten jedoch auf die Weise ganz sicher unangenehme Dinge sagen.

      »Erscheint als Ankläger des Knaben – so!« sagte Fang, Brownlow verächtlich von Kopf bis zu Füßen betrachtend. »Nehmen Sie ihm den Eid ab.«

      »Bevor das geschieht, muß ich mir ein paar Worte erlauben,« fiel Brownlow ein. »Ich würde nämlich, ohne daß es mir wirklich widerfahren wäre, niemals geglaubt haben –«

      »Halten Sie den Mund, Sir,« unterbrach ihn Fang in befehlshaberischem Tone.

      »Ich will und werde reden,« sagte Brownlow ebenso bestimmt.

      »Sie halten augenblicklich den Mund, Sir, oder ich lasse Sie hinausbringen. Sie sind ein unverschämter Mensch! Wie können Sie es wagen, sich den Anordnungen eines Richters widersetzen zu wollen?«

      Dem alten Herrn stieg das Blut ins Gesicht.

      »Vereidigen Sie dieses Individuum!« rief Fang dem Schreiber zu. »Ich will durchaus nichts mehr hören.«

      Brownlow war im höchsten Grade entrüstet, glaubte aber dem Knaben möglicherweise schaden zu können, wenn er seine Gefühle nicht unterdrückte, und legte daher den Eid ab.

      »Wohin geht Ihre Anklage?« fragte ihn Fang darauf. »Was haben Sie zu sagen, Sir?«

      »Ich stand vor einem Bücherladen,« begann Brownlow, allein Fang unterbrach ihn.

      »Schweigen Sie, Sir. Wo ist der Polizist? Vereidigen Sie den Polizisten. Polizist – reden Sie!«

      Der Polizist berichtete mit gebührender Unterwürfigkeit, wie er den Knaben gefunden, und wie er ihm die Taschen durchsucht und nichts gefunden habe; – mehr wisse

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