Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens

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erst nach acht Tagen aus einem langen und unruhigen Traum, wie es ihm schien. »Wo bin ich?« rief er mit schwacher Stimme. »Wer hat mich hierher gebracht?«

      Der Vorhang seines Bettes wurde rasch zurückgeschoben, und eine mütterlich aussehende, sauber gekleidete alte Frau beugte sich über ihn und sagte: »Ruhig, mein Söhnchen, du mußt ganz still liegen oder wirst sonst wieder krank werden. Denn du hast an der Schwelle des Todes gestanden; also verhalte dich ja recht ruhig.«

      Sie sah so freundlich und liebevoll dabei aus und strich ihm so sorglich das Haar von der Stirn zurück, daß er sich nicht enthalten konnte, seine abgezehrte Hand auf die ihrige zu legen und einige, wenn auch unverständliche Worte gerührten Dankes zu murmeln.

      »Was es für ein lieber Kleiner ist!« sagte sie mit Tränen in den Augen. »Wie würde sich seine Mutter freuen, wenn sie so wie ich bei ihm gesessen hätte und ihn jetzt sähe!«

      »Vielleicht sieht sie mich,« flüsterte Oliver und faltete seine Hände. »Vielleicht war sie bei mir, Ma'am. Es ist mir fast, als wäre sie hier gewesen.«

      »Das macht das Fieber, mein Kind,« bemerkte Frau Bedwin.

      »Kann wohl sein,« erwiderte Oliver nachdenklich; »denn der Himmel ist sehr fern, und die Seligen haben es dort zu gut, als daß sie an das Krankenbett eines armen Knaben herunterkommen sollten. Wenn sie es aber gewußt hat, daß ich krank war, so hat sie gewiß Mitleid mit mir gehabt, denn sie war selbst sehr krank, ehe sie starb. Aber – sie mag wohl nichts von mir wissen, denn wenn sie mich hätte niederschlagen sehen, so würde sie sehr betrübt geworden sein, und ihr Gesicht war immer so froh und vergnügt, wenn ich von ihr geträumt habe.«

      Frau Bedwin wischte sich die Augen, brachte ihm zu trinken und ermahnte ihn abermals, ganz still zu liegen, weil er sonst wieder krank werden würde. Er schwieg daher und hielt sich vollkommen ruhig, teils weil er der guten Frau nicht ungehorsam sein wollte, und andernteils, weil er durch das, was er gesagt hatte, bereits vollkommen erschöpft war. Er schlief ein, und als er erwachte, stand ein Herr an seinem Bette, der seinen Puls fühlte. »Nicht wahr, mein Kind, du fühlst dich weit besser?« fragte ihn der Herr.

      »Ja, ich danke, Sir,« antwortete Oliver.

      »Das wußte ich wohl. Und du bist hungrig – nicht wahr?«

      »Nein, Sir.«

      »Hm! Ja, ganz recht. Du kannst auch in der Tat keinen Hunger empfinden. Er ist nicht hungrig, Frau Bedwin,« sagte der Herr mit sehr weiser Miene.

      Frau Bedwin neigte ehrfurchtsvoll den Kopf, wodurch sie andeuten zu wollen schien, daß sie den Doktor für einen äußerst gescheiten Mann hielte. Der Doktor schien vollkommen derselben Meinung zu sein.

      »Du bist müde, nicht wahr, mein Sohn?« sagte er.

      »Nein, Sir.«

      »Nicht?« wiederholte der Doktor; »das freut mich, und ich dachte es wohl. Aber durstig bist du?«

      »Ach ja, Sir,« erwiderte Oliver.

      »Ganz wie ich es erwartet habe. Frau Bedwin, es ist sehr natürlich, daß er Durst fühlt. Sie können ihm ein wenig Tee mit Weißbrot ohne Butter geben. Halten Sie ihn nicht zu warm, Ma'am, und haben Sie acht, daß er nicht zu kalt wird.«

      Frau Bedwin knickste, und der Doktor ging. Oliver schlief bald wieder ein, und als er erwachte, war es fast zwölf Uhr. Frau Bedwin sagte ihm gute Nacht und überwies ihn der Pflege einer eingetretenen alten Frau, die in ihrem Bündel ein kleines Gebetbuch und eine große Nachtmütze mitgebracht hatte, sich an den Kamin setzte und sehr bald einschlief.

      Oliver lag noch einige Zeit wach. Es herrschte eine feierliche Stille, und als er daran dachte, daß der Tod viele Tage und Nächte über seinem Bette geschwebt hätte und das Gemach auch wohl noch mit Schmerz und Wehe erfüllen könnte, begann er inbrünstig zu beten. Er versank darauf wieder in jenen festen Schlummer, den nur heitre Ruhe nach erduldeten Leiden gibt und aus welchem man nicht ohne Bedauern erwacht. Wenn es der Tod wäre – wer möchte aus ihm wieder aufwachen wollen zu den Mühen und Ängsten des Lebens, zu den Nöten der Gegenwart, den Sorgen um die Zukunft, und zumal den trüben Erinnerungen an die Vergangenheit!

      Es war heller Tag, als Oliver die Augen aufschlug, er fühlte sich heiter und froh, die Krise war überstanden, und er gehörte der Welt wieder an. – Nach drei Tagen konnte er, durch Kissen gestützt, in einem Lehnstuhl sitzen. Frau Bedwin ließ ihn in ihr kleines Zimmer hinunterbringen, setzte sich zu ihm an das Feuer und fing vor Freude von Herzen zu schluchzen an.

      »Sie sind sehr gütig gegen mich, Ma'am,« sagte Oliver.

      Sie wollte nichts davon hören und bereitete ihm sorglich ein für seinen Zustand passendes Frühstück. Oliver heftete unterdes seine Blicke auf ein ihm gerade gegenüber an der Wand hängendes Porträt. Sie wurde aufmerksam darauf.

      »Magst du gern Bilder leiden, mein Kleiner?«

      »Ich habe noch wenige gesehen; aber wie schön und liebevoll das Gesicht der Dame ist!«

      »Ah, die Maler machen die Damen immer hübscher, als sie sind, denn sie würden sonst keine Kundschaft haben. Der Mann, der die Konterfeimaschine erfand, hätte vorauswissen können, daß es nichts damit wäre, denn es ist viel zu viel Ehrlichkeit dabei.«

      Sie lachte, Oliver aber blieb ernst und fragte: »Wen stellt denn das Bild vor, Ma'am?«

      »Ich weiß es nicht, mein Kind; aber sicher niemand, den wir beide kennen. Es scheint dir ja erstaunlich zu gefallen.«

      »Ach, es ist gar zu schön!« rief Oliver aus.

      »Du fängst doch nicht an, dich zu fürchten?« sagte Frau Bedwin, denn sie gewahrte mit großer Verwunderung, daß Oliver das Porträt mit einer Art von Beben betrachtete.

      »O nein, nein,« erwiderte er rasch; »aber die Augen blicken so traurig, und es ist, als wären sie gerade, wo ich sitze, auf mich geheftet. Es macht mir das Herz schlagen,« setzte er mit leiser Stimme hinzu, »als wenn es lebte und zu mir reden wollte und könnte doch nicht.«

      »Gott sei uns gnädig!« rief Frau Bedwin bestürzt aus; »sprich nicht so, Kind. Du mußt noch sehr schwach und fieberisch sein. So, so – nun kannst du es nicht mehr sehen.«

      Sie drehte bei diesen Worten seinen Stuhl herum; Oliver aber sah im Geist das Bild so deutlich, als ob es ihm noch immer vor Augen hinge. Er wollte indes die gute, alte Frau nicht ängstigen und lächelte ihr freundlich zu, als sie ihm seine Brühe mit Weißbrot brachte. Er hatte kaum einen Löffel voll genossen, als Mr. Brownlow eintrat.

      Oliver sah noch sehr blaß und abgezehrt aus; er machte einen vergeblichen Versuch, aufzustehen, um seinem Wohltäter zu danken, dem die Tränen in die Augen traten.

      »Armes Kind, armes Kind,« sagte er. »Wie befindest du dich heute, mein Lieber?«

      »Vortrefflich, Sir,« erwiderte Oliver; »und ich bin Ihnen sehr dankbar für alle Ihre Güte.«

      »Gutes Kind,« sagte sein Wohltäter, erkundigte sich darauf, was ihm Frau Bedwin zur Stärkung gegeben und bemerkte: »Brühe – pfui! ein paar Gläser Portwein würden ihm besser geschmeckt haben – nicht wahr, Tom?«

      »Ich heiße Oliver, Sir,« entgegnete der kleine Patient sehr verwundert.

      »Oliver! –

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