Der Jakobsweg am Meer. Michael Sohmen

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Der Jakobsweg am Meer - Michael Sohmen

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die Hoffnung schon längst aufgegeben, dass wir der Wildnis noch entkommen können. Als wir durch eine Bahnunterführung gehen und auf einen Schotterweg gelangen, bin ich mir immer noch sicher, dass Umkehren die einzige vernünftige Lösung gewesen wäre. Einige Kilometer weiter erreichen wir einen Asphaltweg, der den Eindruck erweckt, als ob er seit Jahrzehnten verfällt. Wir folgen ihm dennoch und kommen an eine Abbruchkante. An dieser Stelle gab es wohl einen Erdrutsch. Weiterzugehen ist vollkommen unmöglich. Wir kehren abermals um und entdecken seitlich eine Wegmarkierung, die auf einen Trampelpfad im Wald weist.

      Das Gelände wird nochmals unwegsamer und führt so steil bergab, dass auch ich Schwierigkeiten habe, nicht abzurutschen. Man muss sich an Bäumen oder Grasbüscheln festhalten, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nahezu unmöglich wird es für jemand, der kaum mehr laufen kann. Wie für Jennifer. An einigen Stellen wird sie zu einer logistischen Herausforderung. Oben hält sie jemand fest, während sie bis auf Armlänge mit ihren Ballerina-Schuhen herabrutscht, während sich unten ein anderer bereithält, um sie aufzufangen. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als wir endlich das Tal erreichen, ohne dass jemand bei dieser Expedition tödlich verunglückt ist. Der Weg leitet uns an einer Kläranlage vorbei, die einen unappetitlichen Geruch verbreitet und führt wieder steil bergauf. Der Anstieg ist zum Glück mit Stahlseilen gesichert, an denen man sich festklammern kann. Endlich hören wir Zeichen der Zivilisation, den Lärm von Autos und Lastwagen.

      Nach wenigen Metern an der dicht befahrenen Straße können wir schon die Stadt Deba vor uns im Tal sehen. Eilig überqueren wir eine schmale Brücke, auf der hupende Schwertransporter hemmungslos dicht an uns vorbeibrausen und sehen gegenüber die gelben Pfeile des Jakobsweges. Sie führen einen Pfad hinauf, der wieder einmal von Brombeerranken überwuchert ist. Nach kurzer Diskussion entscheiden wir uns gegen diese Variante, da nach den dramatischen Ereignissen in der Idylle alle genug von Abenteuern haben. Den Rest des Weges legen wir am Rand der Schnellstraße zurück.

      Kurz hinter dem Ortsschild liegt eine Blondine auf einer Parkbank. Die Spanier eilen zu ihr und wecken sie.

      »Marina!« Sie fallen sich gegenseitig in die Arme und unterhalten sich aufgeregt. Offensichtlich gibt es auch von Natur aus blonde Spanierinnen. Sie schließt sich uns für die letzten Meter in die Stadt an, hinkend auf einen Wanderstock gestützt. Soweit ich verstehe, hatte sie sich auf die Parkbank gelegt, da sie unter Knieproblemen gelitten hatte und wäre eingeschlafen. Es müssen viele Stunden gewesen sein, die der Blonden in der knappen Kleidung sichtbar nicht gut getan haben. Ihre linke Seite ist kreidebleich, während Rücken, Arm und das Knie auf ihrer rechten Seite feuerrot leuchten. Mich schmerzt schon der Anblick ihres furchtbaren Sonnenbrands.

      Wenig später erreichen wir das Tourismusbüro, vor dem sich eine Schlange von Pilgern gebildet hat, um sich für die Herberge anzumelden. Ich stelle mich mit Gabriel in die Reihe und bin erleichtert, als ich an die Reihe komme und nebst Stempel für meinen Pilgerausweis sogar eine Bettnummer und einen Schlüssel ausgehändigt bekomme. Nach mir ist der Belgier an der Reihe. Die Dame am Schalter schüttelt den Kopf.

      »Das war der letzte Platz in der Unterkunft«, entschuldigt sie sich. »Es tut mir leid.«

      »Ich hätte eine Isomatte dabei. Könnte ich mich nicht einfach auf den Boden legen?« Entgeistert starrt Gabriel sie an.

      »Nein, in der Herberge ist dies nicht erlaubt.«

      Als wir das Büro verlassen, ist mir klar, dass ich nur zufällig vor ihm in der Schlange stand. Er war vor mir in der Pilgergruppe und soll jetzt leer ausgehen? Mein schlechtes Gewissen meldet sich und ich biete ihm an, ihm mein Bett zu überlassen.

      »Vielen Dank, nein.« Er lehnt ab. »Das geht schon irgendwie. Ich rolle einfach meine Isomatte zwischen den Betten aus.«

      Die Spanier hatten in der Zwischenzeit vor dem Eingang gewartet und dabei die Adresse eines Arztes herausgefunden.

      »Wir gehen mit Jennifer zum Doktor. Danach entscheiden wir, wie es weitergeht.«

      Die Arztpraxis ist nicht weit entfernt. Bis zum Termin müssen wir jedoch eine halbe Stunde warten. Jennifer hatte ihre Schuhe ausgezogen und nun ist zu sehen, dass ihr rechter Fuß auf die doppelte Größe angeschwollen ist. Als sie aufgerufen wird, schließt sich auch Marina an, da ihr Sonnenbrand jetzt Wirkung zeigt und sie sich Schmerzmittel verschreiben lassen will. Als die zwei zurückkommen, schütteln sie traurig den Kopf. Es bedeutet nichts Gutes.

      »Nach der Diagnose des Arztes wird Jennifer zwei Wochen lang nicht laufen können«, erklärt Mario, der Spanier, als wir zurück zum Stadtzentrum laufen. »Wir haben beschlossen, die Tour abzubrechen und nach Madrid zurückzufahren.«

      »Bleibt ihr noch eine Nacht?«, frage ich, da wir noch als Gruppe unterwegs sind.

      »Nein. Die Herberge liegt auf dem Weg, direkt beim Bahnhof.«

      Als wir ankommen, finde ich des Rätsels Lösung: Die Pilgerherberge ist das ehemalige Bahnhofsgebäude und befindet sich zwischen den Gleisen.

      Mit dem Belgier gehe ich zur Unterkunft und schließe die Eingangstür auf. Innen befindet sich ein Empfangstisch. Gabriel gelingt es, sich an der Kontrolle vorbei zu schummeln. Abends bin ich erleichtert, dass sich keiner beschwert, als er die Isomatte zwischen den Stockbetten ausbreitet, mit der die Bewegungsfreiheit im Raum stark beeinträchtigt wird.

      Betrug

      5. August, Deba → Markina-Xemein / Bolibar

      Morgens sitze ich mit Gabriel im Café und wir schweigen uns an. Ich bin noch nicht richtig wach und spüre Muskelkater. Bisher gab es nur Bekanntschaften, die sich nach kurzer Zeit wieder verloren haben und nicht einmal der Blick durch die Panoramafensterscheibe versetzt mich in Pilgerstimmung. Nieselregen fällt, es ist grau und trüb. Der Wind, der zur Tür hereinweht, macht mir klar, dass es stark abgekühlt hat. Am Tresen sitzen einige Ortsbewohner und trinken ihr morgendliches Glas Rotwein. Oder zwei. Es scheint hier ein typisches Morgenritual zu sein.

      Irgendwann überwinden wir unsere Trägheit und begeben uns auf dem Weg. Dieser entfernt sich vom Meer und wir wandern durch eine alpine Landschaft.

      »Dies sind eigentlich Kampfstiefel für den Einsatz in der Wüste«, bricht der Belgier sein Schweigen und zeigt auf seine sandfarbenen Schuhe. »Sie sind extra hochgeschlossen, damit der Sand nicht hereinrieselt. Solches Schuhwerk tragen die Marine-Soldaten im Irak auch. Ich habe gleich zwei Paar gekauft.«

      »Ich habe schlechte Erfahrungen mit Stiefeln. Meine sind beim Wandern auseinandergefallen. Seitdem setze ich auf Turnschuhe«, erwidere ich in Erinnerung an meine Bergstiefel, die ich kaum benutzt hatte und deren Sohle sich unterwegs gelöst hatte. Sie waren mit einem Kunststoff zusammengeklebt, der nach wenigen Jahren zerfiel. Auch ein zweites Paar Stiefel hat sich in der gleichen Weise verabschiedet. Teure Markenstiefel waren es. Gabriel lässt sich jedoch nicht beirren und erzählt weiter.

      »Ich habe vor kurzem meinen Wehrdienst in Belgien abgeleistet. Als Soldat konnte man die Stiefel für 50 Euro kaufen. Normalerweise kosten sie ein Vielfaches.«

      Inzwischen wird die Gegend bestimmt durch Wald, Wiesen und endloses Gebirge. Eine Herde Rinder, die an einem steilen Hang weiden, ziehen mich magisch an. Sie sind außergewöhnlich. Eines trägt besonders auffällige Hörner. Während das linke nach unten gebogen ist, weist das rechte Horn in die Höhe. Ungemein spannend. Als ich das Naturwunder betrachte und mein belgischer Kollege weitermarschiert, höre ich ein schrilles Pfeifen. Verärgert blicke ich mich um, wer diese Naturidylle stört. Ein Bartträger mit Strohhut. Schon auf den ersten Blick wirkt er unsympathisch. Ich entscheide mich, ihn zu ignorieren und betrachte die Kuh.

      »Sieht

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